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Expertin für Compliance-Strukturen: Birgit Galley (Foto: privat)
Nachgefragt bei: Birgit Galley

„Bei Compliance haben wir in Deutschland noch einen weiten Weg zu gehen”

ESV-Redaktion Management und Wirtschaft
22.12.2015
Warum es in Deutschland bei der Compliance noch Nachholbedarf gibt - und welche Vorteile unternehmenseigene Ermittlungen für die Wirtschaft haben können, erklärt die Betrugsermittlerin Birgit Galley im Interview mit der ESV-Redaktion.

Interne Revision, Controlling, Compliance – und jetzt unternehmenseigene Ermittlungen. Wieviel Kontrolle braucht ein Unternehmen?


Birgit Galley: Ich würde unternehmenseigene Ermittlungen ungern als Kontrollen bezeichnen, sondern als echte Aufklärungsarbeit. Ein Anfangsverdacht liegt vor, der durchaus durch Kontrollen ans Tageslicht gekommen sein kann. Deshalb kurz: die regulären Kontrollen brauchen wir unbedingt, die Ermittlungen hoffentlich ganz selten. Zudem kommen Sie einem echten Täter nur mit guten Kontrollen, professionellen Ermittlungen und konsequenten Sanktionen bei, garantiert nicht mit Regeln und ethischen Verhaltensnormen.

Verfolgt man die aktuellen Wirtschaftsnachrichten, kann man sich des Eindrucks nicht erwehren, dass kriminelle Handlungen in Unternehmen immer weiter zunehmen – trotz der oben aufgeführten Instrumente. Nehmen die wirtschaftskriminellen Fälle in Unternehmen tatsächlich zu?

Birgit Galley: Valide Vergleichszahlen haben wir nicht wirklich, aber das Gefühl dürfte hier täuschen. Wir reden bei Wirtschaftskriminalität immer von einem sogenannten Kontrolldelikt – also: je mehr Sie hinschauen, umso mehr sehen Sie auch. Und natürlich auch: je professioneller Sie hinschauen, umso besser klären Sie auch auf und können ein Kind beim Namen nennen, nämlich dass es kein Fehlverhalten war, sondern eben Täterverhalten. Da wir in den letzten etwa 20 Jahren überhaupt mehr hinschauen und auch noch darüber reden oder sogar Bücher schreiben, führt dann unweigerlich dazu, dass sich bei uns das Gefühl verstärkt, nun passiert es überall. So leid es mir für die betroffenen Unternehmen immer tut, aber große Fälle von Wirtschaftskriminalität sind wichtig, damit alle Unternehmen davon lernen können. All dies macht uns letztlich besser im Denken gegen kriminelle Machenschaften.

Welche Bereiche in den Unternehmen sind besonders gefährdet?

Birgit Galley:
Alle Bereiche, in denen eine Kollision zwischen den eigenen Interessen und denen des Unternehmens entstehen kann und in denen die Balance durch die Einflussmöglichkeiten von Menschen in die falsche Richtung verschoben werden kann. Also sind dies: Kundenbetreuung, Vertrieb/Verkauf, Einkauf, Vertragswesen, Strategisches Management, Produktion, Lager, Logistik, Geschäftsleitung, Kontrollen, Service- und Dienstleistungsbereiche… also in etwa alle (lacht).

Besonders gefährdet sind schon diejenigen, wo wir eher eine Häufung bestimmter Delikte aufgrund des Geschäfts haben – und das sind dann ganz sicher Vertrieb und Einkauf, Lager, Geschäftsführung und Dienstleistungen…

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Worin unterscheiden sich unternehmenseigene Ermittlungen von Ermittlungen durch staatliche Ermittlungsbehörden?

Birgit Galley: Was sie vereint ist die Verfolgung von wirtschaftsdeviantem Verhalten, was sie trennt sind zuweilen die Rahmenbedingungen und die berechtigten unterschiedlichen Interessen, die aus einer staatlichen Verfolgung und einer unternehmensgeprägten Verfolgung entstehen. Die Unternehmen haben natürlich zunächst das Interesse, den Sachverhalt aufzuklären, um daraus zu lernen, den Schaden und den Täter zu identifizieren und ggf. den Schaden zu regulieren. Die Strafverfolgungsbehörden verfolgen das Ziel, den Täter zu überführen und zu bestrafen. Das kann sehr gut, muss aber nicht zwingend immer im Gleichklang laufen.

Eine privatwirtschaftliche Strafprozessordnung haben wir nicht, aber ganz unreguliert sind die unternehmenseigenen Ermittlungen auch nicht. Sicherlich sind die finanziellen Möglichkeiten, die Geschwindigkeit, die Ressourcen für die Handlungsfähigkeit, die Möglichkeiten der Informationsgewinnung im Zuge von unternehmensinternen Befragungen und die länderübergreifenden Kapazitäten der unternehmenseigenen Ermittlungen vielversprechend, die Ermittlungsbehörden haben jedoch auch Zugriffsrechte, die der Privatwirtschaft zum Beispiel im Zuge der Durchsuchung und Beschlagnahme verwehrt sind.

In Ihrem Buch sprechen Sie in Bezug auf unternehmenseigene Ermittlungen von einem Spagat zwischen Sehen und Suchen. Was meinen Sie damit?

Birgit Galley: Unternehmen sind in Bezug auf schädigendes Verhalten nicht angehalten, dieses zu suchen, also förmlich überall eine Straftat zu wittern und alles und jeden zu kontrollieren – das ist höchst schädlich für die Kultur des Hauses. Sollten aber Sachverhalte durch regelmäßige Kontrollen oder auch eingegangene Hinweise zu Tage treten, die einer Verfolgung bedürfen, dann muss man schon in der Lage sein, dies zu erkennen. Alles andere wäre unprofessionell und ebenfalls für die Unternehmenskultur schädlich… es ist also ein Spagat, immer im richtigen Maß mit Fehlverhalten oder sogar Täterverhalten im Unternehmen umzugehen.

Handelt es sich inzwischen um ein gelebtes Thema oder nur um ein geduldetes?

Birgit Galley: Tja, gute Frage, und schwierig, das kurz zu beantworten. Bei Compliance haben wir in Deutschland noch einen weiten Weg zu gehen, weg von der bloßen Haftungsvermeidung hin zur Entwicklung einer echten Haltung. Wirtschaftskriminalität wird gelebt, spätestens von den kreativen Tätern… allerdings hat sich auch die Professionalität in der Verbrechensbekämpfung verbessert, sowohl auf der behördlichen Seite, als auch auf der privatwirtschaftlichen. Ich wünsche mir da dennoch mehr ein Miteinander dieser beiden Welten, auch mehr Austausch und Wechselmöglichkeiten, die keine Einbahnstraße sind. Dies würde uns allen in Hinblick auf die Bekämpfung des schädigenden Verhaltens gut tun.

Weiterlesen? Teil 2 des Interviews lesen Sie hier.

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(ESV/ms, map)

Zur Person

Birgit Galley studierte Betriebswirtschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin mit dem Schwerpunkt Recht. Sie ist Betrugsermittlerin (Certified Fraud Examiner) und Geschäftsführerin der Forensic Management GmbH, mit der sie seit Mitte der 1990er Jahre Unternehmen verschiedener Branchen in der Aufbereitung eingetretener Schadensfälle und in der präventiven Beratung zum Aufbau geeigneter Compliance-Strukturen betreut.

Sie hat mehrere Aufsichtsratsmandate und ist Initiatorin, Gründungsmitglied und Mitglied im Verwaltungsrat des DICO - Deutsches Institut für Compliance e.V. Als Direktorin der School GRC und School CIFoS an der Steinbeis-Hochschule Berlin verantwortet sie den MBA in Compliance & Wirtschaftskriminalität sowie den Master Kriminalistik.

Soeben ist im Erich Schmidt Verlag das Buch „Unternehmenseigene Ermittlungen” von Birgit Galley, Dr. Ingo Minoggio und Prof. Dr. Marko Schuba erschienen. Das eBook steht Abonnenten von COMPLIANCEdigital kostenfrei zur Verfügung.

Programmbereich: Management und Wirtschaft