BGH: Sozialhilfeträger muss auch auf Rentenansprüche hinweisen
Im Jahr 2011 erfuhr die Mutter von einer neuen Sachbearbeiterin des Landratsamts erstmals, dass der Kläger einen Anspruch auf Leistungen aus der gesetzlichen Rentenversicherung wegen voller Erwerbsminderung habe. Nach seinem umgehend eingereichten Rentenantrag bewilligte die Deutsche Rentenversicherung Bund dem Kläger eine monatliche Erwerbsunfähigkeitsrente ab dem 01.08.2011. Der Rentenbescheid enthielt auch den Hinweis, dass die Anspruchsvoraussetzungen bereits seit dem 10.11.2004 erfüllt waren.
Kläger: Beklagter hat Amtspflicht verletzt
Der Kläger meinte, dass der Beklagte Landkreis seine Hinweispflichten verletzt habe. Dementsprechend verlangt er Schadensersatz in Höhe der Differenz zwischen der Grundsicherung, die ihm 10.11.2004 bis 31.07.2011 gewährt wurde, und der Rente, die ihm für diesen Zeitraum bei rechtzeitiger Antragstellung zugestanden hätte. Dieser Differenzschaden, so der Kläger, wäre nicht eingetreten, wenn die Sachbearbeiter des Beklagten ihn oder seine Betreuerin schon 2004 auf die Möglichkeit des Rentenbezugs hingewiesen hätten.Instanzgerichte entscheiden unterschiedlich
Die Ausgangsinstanz, das Landgericht (LG) Dresden hat der Zahlungsklage von 50.322,61 Euro stattgegeben. Allerdings hatte die hiergegen gerichtete Berufung des Beklagten zum Oberlandesgericht (OLG) Dresden Erfolg. Das OLG hat die Klage unter Abänderung des erstinstanzlichen abgewiesen. Hiergegen legte der Kläger Revision ein.Der kostenlose Newsletter Recht - Hier geht es zur Anmeldung! |
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BGH: Landratsamt hat sozialrechtliche Beratungspflichten verletzt
Mit einem Teilerfolg: Der III. Zivilsenat des BGH – zuständig für Amtshaftungssachen – hat das Urteil des OLG aufgehoben und die Sache an das Berufungsgericht zurückverwiesen. Nach Auffassung der Karlsruher Richter hat der Beklagte seine besonderen soziallrechtlichen Beratungs-und Betreuungspflichten im Sinne der §§ 2, 14 Satz 1 und 17 Absatz 1 SGB I verletzt. So hätte er den Kläger unter den gegebenen Umständen darauf hinweisen müssen, dass auch ein Anspruch auf Gewährung einer Erwerbsunfähigkeitsrente in Betracht kam. Deshalb wäre eine Beratung durch den zuständigen Rentenversicherungsträger geboten gewesen, so der III. Zivilsenat des BGH. Die tragenden Gründe:- Umfassende Beratungspflicht: Nach BGH-Auffassung ist eine umfassende Beratung des Versicherten die Grundlage für das Funktionieren des immer komplizierter werdenden sozialen Leistungssystems unerlässlich. Hierbei steht nicht nur die Beantwortung von Fragen oder das Bitten um Beratung, sondern die verständnisvolle Förderung des Versicherten im Vordergrund. Zudem muss der betreffende Behördensachbearbeiter aufmerksam prüfen, ob auch ein Anlass besteht, den Versicherten von Amts wegen auf Gestaltungsmöglichkeiten oder Nachteile hinzuweisen, die im Zusammenhang mit seinem Anliegen stehen.
- Kompliziertheit des Sozialrechts: Bereits gezielte Fragen, so der Senat weiter, setzen eine Sachkunde voraus, die der Antragsteller oft nicht hat. So liege die Kompliziertheit des Sozialrechts nicht nur in der Verzahnung seiner Sicherungsformen bei den verschiedenen versicherten Risiken, sondern auch in der Verknüpfung mit anderen Sicherungssystemen.
- Beratungspflicht auch für andere Sachgebiete: Die Beratungspflicht beschränkt sich daher nicht nur auf die Normen, die der betreffende Sozialleistungsträger anwenden muss. Ist ein zwingender rentenversicherungsrechtlicher Beratungsbedarf erkennbar, muss der aktuell angegangene Leistungsträger dem Bürger auch ohne ein ausdrückliches Beratungsbegehren nahelegen, sich zusätzlich von dem Rentenversicherungsträger beraten zu lassen.
- Beratungsbedarf erkennbar: Nach den bisherigen Feststellungen der Vorinstanzen hat nach BGH-Auffasusng dringender Beratungsbedarf in einer wichtigen rentenversicherungsrechtlichen Frage vorgelegen. Dies hätte die Grundsicherungsbehörde ohne weiteres erkennen können. So war der Kläger auf Grund seiner Behinderung nicht in der Lage, seinen notwendigen Lebensunterhalt aus eigenen Mitteln zu bestreiten. In dieser Situation hätte ein Sachbearbeiter, der mit Fragen der Grundsicherung bei Erwerbsminderung befasst ist, wegen der Verzahnung und Verknüpfung der Sozialleistungssysteme in Erwägung ziehen müssen, dass bereits vor Erreichen der Regelaltersgrenze ein gesetzlicher Rentenanspruch wegen Erwerbsunfähigkeit in Betracht kam. Somit wäre auch ein Hinweis auf die Notwendigkeit einer Beratung durch den Rentenversicherungsträger geboten gewesen.
Im Wortlaut: § 2 SGB I - Soziale Rechte |
Die nachfolgenden sozialen Rechte sind bei der Auslegung der Vorschriften dieses Gesetzbuchs und bei der Ausübung von Ermessen zu beachten; dabei ist sicherzustellen, daß die sozialen Rechte möglichst weitgehend verwirklicht werden. |
Im Worltaut: § 14 SGB I - Beratung |
Jeder hat Anspruch auf Beratung über seine Rechte und Pflichten nach diesem Gesetzbuch. Zuständig für die Beratung sind die Leistungsträger, denen gegenüber die Rechte geltend zu machen oder die Pflichten zu erfüllen sind. |
Im Wortlaut: § 17 SGB I - Ausführung der Sozialleistungen (Auszug) |
(1) Die Leistungsträger sind verpflichtet, darauf hinzuwirken, dass
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Datenbank Hauck/Noftz Modul SGB I: Allgemeiner Teil Autoren: Bernd Häusler, Dr. Jutta Häusler, Dr. Karl Hauck, Dr. Danny Hochheim Die Datenbank HauckNoftzSGB.de zum SGB I bietet Ihnen
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Quelle: PM des BGH vom 02.08.2018 zum Urteil vom selben Tag – AZ: III ZR 466/16
(ESV/bp)
Programmbereich: Sozialrecht und Sozialversicherung