LSG Niedersachsen-Bremen: Auch Hirnschädigung kann Grundlage für Merkzeichen „Blind” sein
Landesamt für Soziales: Klägerin hat keine Sehstörung
Dennoch lehnte das beklagte Landesamt für Soziales, Jugend und Familie die Eintragung das Merkzeichen „Bl” in den Schwerbehindertenausweis der Klägerin ab. Nach Auffassung der Behörde liegt keine Störung des Seh-Apparates vor, sondern eine Störung des Erkennens und der Verarbeitung der optischen Sinneseindrücke im Gehirn. Gegen die Entscheidung des Landesamtes legte die Klägerin erfolglos Widerspruch ein.Bereits die Vorinstanz - das Sozialgericht (SG) Aurich - teilte in Auffassung des Landesamtes nicht und verurteilte die Behörde zur Eintragung des Merkzeichens „Bl” in den Schwerbehindertenausweis der Klägerin. Gegen diese Entscheidung legte die Beklagte Berufung ein.
LSG: Die Klägerin ist blind im Sinne des Gesetzes
Auch die Berufung der Beklagten blieb ohne Erfolg. Dabei berief sich der 13. Senat des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 11.08.2015. Mit dieser Entscheidung, so der Senat, habe das BSG klargestellt, dass eine spezifische Sehstörung nicht mehr Voraussetzung ist, um eine Person als blind anzuerkennen. Ob ein Defekt der Augen oder des Gehirns vorliegt, wäre unerheblich. Damit, so der 13. Senat des LSG weiter, habe das BSG seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben.Hintergrund - Störungen beim „Erkennen” und beim „Benennen” - nach BSG-Urteil vom 11.08.2015 - AZ: B 9 BL 1/14 R |
Das BSG hatte bis zu seiner Entscheidung vom 11.08.2015 wie folgt zwischen Schädigungen des Sehapparates und solchen bei der Verarbeitung optischer Reize unterschieden:
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Die weiteren Erwägungsgründe
Vor diesem Hintergrund ließ sich das LSG von folgenden weiteren tragenden Erwägungen leiten:
- Ausreichend für die Zuerkennung des Merkmals „bl” sei, dass objektiv ein Sehvermögen festgestellt wird, das unter der Blindheitsschwelle liegt. Hierfür wäre nicht entscheidend, ob die Ursache in einem Defekt der Augen, des Sehnervs oder des Gehirns liegt.
- Vielmehr würden der Gleichheitssatz des Grundgesetzes sowie der UN-Behindertenrechtskonvention die Gleichbehandlung der unterschiedlichen Ursachen gebieten.
- Zwar fehle der Klägerin das Augenlicht nicht vollständig. Ebenso konnte nicht bewiesen werden, dass deren Sehschärfe beidäugig mehr als 1/50 beträgt.
- Der Senat zeigte sich aber überzeugt davon, dass bei der Klägerin andere schwere Sehstörungen vorliegen, die der oben genannten Beeinträchtigung der Sehschärfe gleichzustellen sind. Zu einer differenzierten Sinneswahrnehmung sei die Klägerin jedenfalls nicht in der Lage.
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(ESV/bp)
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