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Clemens Engelhardt: „Innovation kommt durch Nachfolge fast automatisch” (Foto: Trustberg)
Nachgefragt bei: Dr. Clemens Engelhardt

Engelhardt: „Recht soll eine verlässliche Größe bilden”

ESV-Redaktion Recht
15.09.2016
Warum Industrie 4.0 keine Bedrohung für den Mittelstand ist, was die mittelständischen deutschen Unternehmen zu Wachstumstreibern macht und warum Gesetze nicht jede Mode mitmachen sollten, erläutert der Rechtsanwalt Dr. Clemens Engelhardt im Interview mit der ESV-Redaktion.
Herr Dr. Engelhardt, 52 Prozent der gesamten Wirtschaftsleistung wird vom deutschen Mittelstand erbracht, rund 60 Prozent aller sozialversicherungspflichtigen Beschäftigten sind im Mittelstand tätig. Was macht aus Ihrer Sicht den deutschen Mittelstand aktuell zum Wachstumstreiber?

Clemens Engelhardt: Die besondere Innovationskraft des deutschen Mittelstandes liegt sicherlich in dessen Anpassungsfähigkeit begründet. Wer sein Handwerk versteht und zudem noch die Fähigkeit besitzt, Trends zu erkennen und hieraus Handlungsnotwendigkeiten abzuleiten - der kann nur erfolgreich sein. Dazu kommt: Erfolg macht sexy - so banal das klingen mag, so wahr ist es doch; deutsche Mittelständler, die in ihren Bereichen teilweise Weltmarktführer sind, strahlen auf Mitarbeiter und Kunden eine besondere Attraktivität aus.

Gilt diese Einschätzung auch angesichts von Industrie 4.0 – oder wird Industrie 4.0 dieses Wachstum bremsen, weil man etwa die damit verbundenen neuen Herausforderungen unterschätzt hat?

Clemens Engelhardt: Diese Einschätzung gilt gerade angesichts unserer sich stark verändernden Welt. Stillstand ist niemals ein Kennzeichen erfolgreichen Unternehmertums gewesen. Weise muss der Unternehmer abschätzen, welche Veränderungen für ihn von Bedeutung sind und welche Chancen sich bieten. Die Veränderung der Arbeitswelt ist in unserer Gesellschaft permanent in den vergangenen Jahrzehnten deutlich sichtbar gewesen und gerade daher können unsere Unternehmerfamilien auf Erfahrungen mit Wandel - gering oder gravierend - zurückgreifen.

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Sind denn zudem die rechtlichen Rahmenbedingungen tatsächlich genügend auf die Industrie 4.0 ausgerichtet, etwa auf den Gebieten des Arbeitsrechts, des Steuerrechts und des Datenschutzrechts?

Clemens Engelhardt: Datenschutz und Datenschutzrecht ist sicherlich zunächst ein kulturelles Thema. In den USA beispielsweise geht man bereits im alltäglichen Leben viel entspannter mit Daten um - ob dies von den üblichen Verdächtigen wie Google oder Facebook liegt oder bereits in der dortigen Lebensart verankert ist, mag wohl nicht zu klären sein.

Ähnliches gilt für das Arbeitsrecht. Als Rechtsanwalt bin ich der Meinung, dass die Gesetze nicht jeden Trend der Wirtschaft reflexartig mitmachen sollten; es schadet nicht, wenn die Gesetze etwas „hinterher hinken”, dabei aber nicht jede Mode mitmachen. Immerhin soll das Recht eine verlässliche Größe bilden. Der sogenannte Wettbewerb der Rechtsordnungen international zeigt übrigens: die attraktivsten Länder für Unternehmer sind häufig diejenigen mit strengen Gesetzen, die auch durchgesetzt werden von fachkundigen Gerichten und Behörden.

Wo sehen Sie im rechtlichen und steuerlichen Bereich aktuell die größten Wachstumshindernisse für den Mittelstand?

Clemens Engelhardt: Unternehmerfamilien sehen natürlich in der Erbschaftsteuer immer ein Hindernis. Das ist verständlich ein Spannungsfeld zu dem ordnungspolitischen Versuch, Verteilungsgerechtigkeit durch Steuern zu erreichen. Aufgrund der Vielzahl an anstehenden Nachfolgen und Übertragungen in Familienunternehmen dürfte hier in den kommenden Jahren viel Zündstoff liegen.

Die Rahmenbedingungen sind nur eine Seite der Medaille. Was wird auf betrieblicher Ebene angesichts der neuen industriellen Revolution – nichts anderes ist ja Industrie 4.0 - gerne versäumt?

Clemens Engelhardt: Auch hier kann nur betont werden, dass Stillstand problematisch ist. Auf betrieblicher Ebene können Prozesse und Abläufe mit Augenmaß und weiser Voraussicht so angepasst werden, dass diese Revolution ihre Chancen zeigt und nicht als Bedrohung erscheinen wird.

Laut der Biesalski/Wiwo-Markenstudie sind Markenbewusstsein, Transparenz im B2B-Umfeld sowie eine neue integrative Führungskultur wichtige Erfolgsfaktoren für den Mittelstand. Deckt sich das mit Ihren Erfahrungen aus dem Beratungsalltag?

Clemens Engelhardt: Absolut. Markenbewusstsein und Präsenz in sämtlichen Kanälen sind heutzutage stark zu spüren. Domain-Schutz und Markenthemen - national und international - sind für viele Mittelständler inzwischen selbstverständlich geworden. Ob sich die Führung wirklich neu erfinden muss, bezweifele ich allerdings. Unternehmertum - zumal erfolgreich - geht stets mit intelligenter Führung einher. Daran wird sich nichts ändern.

Und was überwiegt letztlich: Die Verunsicherung oder die Bereitschaft, die neuen Herausforderungen zu nutzen?

Clemens Engelhardt: Unsere Beobachtung ist, dass die Unternehmerfamilien sich sehr wohl bewusst sind, dass Neuerungen anstehen. Aber das verwundert auch nicht. Unternehmerfamilien unterliegen demselben Generationswechsel wie die übrige Gesellschaft. Daher kommt Innovation durch Nachfolge fast automatisch.

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Zur Person
Dr. Clemens Engelhardt (Jahrgang 1978) ist Rechtsanwalt und Partner der auf Gesellschaftsrecht und Venture Capital spezialisierten Kanzlei Trustberg LLP Rechtsanwälte in München und Berlin (www.trustberg.com). Engelhardt hat in München, Heidelberg und Frankfurt Jura studiert und promovierte dort im Aktienrecht. Er war zunächst für internationale Großkanzleien sowie für die Deutsche Bank in Frankfurt und London und für die Deutsche Börse tätig. Vor seiner Zeit bei Trustberg war er mehrere Jahre für das inländische Gesellschaftsrecht und die Unternehmenstransaktionen eines mittelständisch geprägten Familienunternehmens verantwortlich.

Zusammen mit Dr. Andreas Wagenseil ist mit Engelhardt Herausgeber des im ESV erschienenen Werks Der mittelständische Konzern.

(ESV/map)

Programmbereich: Wirtschaftsrecht