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Tobias Schneider:  "Fehlerhaft geltend gemachter Vorsteuerabzug kann weiterhin sanktioniert werden" (Foto: CMS Hasche Sigle)
Vorsteuerabzug

Schneider: „Der EuGH hat die Rückwirkung der Rechnungskorrektur bestätigt”

ESV-Redaktion Steuern
12.10.2016
Der EuGH hat vor kurzem zur rückwirkenden Korrektur von Rechnungen beim Vorsteuerabzug entschieden. Über die sich daraus ergebenden Folgen für die Unternehmen sprach die ESV-Redaktion mit Steuerberater Tobias Schneider, Umsatzsteuerexperte bei CMS Hasche Sigle.
Herr Schneider, die Anforderungen an Rechnungen und deren rückwirkende Korrektur sind in Außenprüfungen immer wieder Anlass für Streitigkeiten. So auch in einem Verfahren, dass nun vor dem EuGH landete. Wie hat der EuGH entschieden?

Tobias Schneider: Die umsatzsteuerrechtlichen Rechnungsanforderungen sind in der Tat von großer praktischer Bedeutung, insbesondere bei Prüfungen durch das Finanzamt. Lassen Sie mich zunächst kurz die Gründe hierfür beleuchten: Eine Rechnung mit vermeintlich nur unbedeutenden formalen Mängeln berechtigt ein Unternehmen nicht zum Vorsteuerabzug. Als Beispiele für solche kleinen Mängel kommen das Fehlen der Steuernummer oder auch eine ungenaue Beschreibung der abgerechneten Leistungen in Betracht. Stellte das Finanzamt solche Mängel in der Vergangenheit in der Regel im Rahmen einer Außenprüfung fest, musste der Unternehmer die bereits gezogene Vorsteuer zurückzahlen und erhielt den Vorsteuerabzug erst dann und in dem Besteuerungszeitraum, in welchem er es schaffte, eine berichtigte Rechnung von seinem Lieferanten zu erhalten. Auch nach einer erfolgreichen Rechnungsberichtigung führte dies zu erheblichen wirtschaftlichen Belastungen durch Zinsen von jährlich sechs Prozent.

„Korrekturen wirken nicht erst ab dem Zeitpunkt der Korrektur”

Bereits die sogenannte Pannon-Gép-Entscheidung des EuGH hatte im Jahr 2010 die Diskussion - erneut - entfacht, ob diese Handhabung in Deutschland mit den Vorgaben der Mehrwertsteuersystemrichtlinie in Einklang steht oder ob eine Rechnungskorrektur auch rückwirkend anzuerkennen ist. Die Interpretation der Pannon-Gép-Entscheidung war jedoch sehr uneinheitlich, was letztlich auch zu der Vorlage der Rechtssache Senatex an den EuGH durch das Niedersächsische Finanzgericht führte.

Der EuGH hat nun erfreulicher Weise am 15. September 2016 zur Frage der Rückwirkung einer Rechnungskorrektur entschieden und deren Rückwirkung bestätigt. Demnach wirken Korrekturen beziehungsweise Ergänzungen von Rechnungen nicht erst ab dem Zeitpunkt der Korrektur, sondern der Vorsteuerabzug ist bereits für das Jahr zu gewähren beziehungsweise bleibt für das Jahr erhalten, in welchem die Rechnung erstmals vorlag.

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Dies ist in der Praxis eine sehr gute Nachricht für Unternehmen. Sie müssen bei gelungener Rechnungskorrektur nun nicht mehr die oftmals wirtschaftlich erheblichen Zinsen von jährlich sechs Prozent tragen. Auch wird man wohl davon ausgehen können, dass die Entscheidung es für die Finanzbehörden schlicht unattraktiv macht, ihre Prüfungsressourcen auf derartige Formalismen zu konzentrieren. Letzteres soll allerdings nicht heißen, dass die Entscheidung eine Ermutigung zur Nachlässigkeit bei der Rechnungseingangskontrolle wäre. Dies ist bereits deshalb nicht der Fall, weil auch die bloße Prozedur einer Rechnungsberichtigung sehr aufwendig sein kann. Manchmal stößt man dabei sogar an die Grenzen des Machbaren, z.B. wenn der Rechnungsaussteller bereits liquidiert ist.

Durch die Entscheidung des EuGH wird dem in Außenprüfungen immer weiter fortschreitenden Formalismus begegnet und stärkt die Rechte der Unternehmen. Welche Folgen hat das EuGH-Urteil für die Unternehmer: Können nunmehr alle fehlerhaften Rechnungen rückwirkend korrigiert werden? Was ist den Unternehmen zu raten?

Tobias Schneider: Fehlerhafte Rechnungen können - und das ist die zentrale Botschaft der EuGH-Entscheidung - jedenfalls dann noch mit Rückwirkung korrigiert werden, wenn der Fehler von der Finanzverwaltung in einer Prüfung aufgegriffen wird. Vieles spricht dafür, dass eine Korrektur auch noch nach dem Ergehen eines Steuerbescheids über die Rückforderung der Vorsteuer und auch noch während eines Finanzgerichtsverfahrens möglich ist. Hierzu hat sich der EuGH allerdings nicht ausdrücklich geäußert, so dass aus Vorsichtsgründen und auch aus praktischen Erwägungen stets zu einer schnellen Rechnungskorrektur zu raten ist, wenn der Fehler erst einmal entdeckt ist.

Ferner muss man auch bedenken, dass Unternehmen verpflichtet sind, Umsatzsteuerklärungen selbst unverzüglich zu berichtigen, wenn sie eine aus Versehen fehlerhaft geltend gemachte Vorsteuer selbst entdecken. Auch in solchen Situationen wird man unter Vermeidung strafrechtlicher Risiken schnell handeln müssen.

„Unternehmen sollten wegen entrichteter Zinsen einen Blick in die Vergangenheit werfen”

Von der Rechnungskorrektur ist das erstmalige Empfangen einer Rechnung zu unterscheiden. Hier bleibt es bei der Maßgeblichkeit des Rechnungseingangs. Noch nicht zu Ende diskutiert ist, ob ein Rechnungsfragment, also ein Dokument, mit dem über eine Leistung abgerechnet wird, aber in dem erhebliche Angaben fehlen, auch mit Rückwirkung korrigiert werden kann, oder ob in diesen Fällen keine Rückwirkung möglich ist. Eine Tendenz zu letzterem hatte der Bundesfinanzhof geäußert. Meines Erachtens spricht vieles dafür, eine rückwirkende Rechnungskorrektur auch in diesen Fällen zuzulassen. Insoweit wird man aber die weitere Entwicklung abwarten müssen.

Ob ein Unternehmen im konkreten Fall bereits entrichtete Zinsen von einem Finanzamt zurückfordern kann, hängt davon ab, ob man gegen den entsprechenden Umsatzsteuerbescheid rechtzeitig Rechtsbehelf eingelegt hat oder anderweitige Änderungsvorschriften einschlägig sind. Es könnte sich aber für viele Unternehmen durchaus lohnen, insoweit einen Blick in die Vergangenheit zu werfen.

Welche Sanktionen können zukünftig auf die Unternehmen zukommen?

Tobias Schneider: Unternehmen müssen unbedingt daran festhalten, ihre Eingangsrechnungen sorgfältig zu kontrollieren. Die EuGH-Entscheidung ist keinesfalls als Freibrief für die Inanspruchnahme eines Vorsteuerabzugs auf Basis von fehlerhaften Rechnungen zu verstehen.

Obgleich der EuGH die Sichtweise der deutschen Finanzverwaltung und damit eine generelle Nachverzinsung bei fehlerhaften Rechnungen ablehnt, bejaht er die Möglichkeit, dass ein Staat einen fehlerhaft geltend gemachten Vorsteuerabzug mit Sanktionen belegen kann. Diese müssen allerdings in einem angemessen Verhältnis zur Schwere des Verstoßes stehen und dürfen insbesondere nicht den Neutralitätsgrundsatz der Umsatzsteuer in Frage stellen.

Es ist nicht auszuschließen, dass dieser Teil der Ausführungen des EuGH bei der deutschen Finanzverwaltung Begehrlichkeiten wecken könnte und wir häufiger als bislang bei einer fehlerhaften Rechnungseingangskontrolle über eine etwaige unter Umständen bußgeldbewerte „Leichtfertigkeit“ des Unternehmers sprechen müssen; wünschenswert und sachgerecht wäre dies freilich nicht.

Zur Person
Tobias Schneider ist Partner im Geschäftsbereich Steuerrecht bei CMS Hasche Sigle am Standort Stuttgart. Unternehmen diverser Branchen suchen regelmäßig seinen Rat zu Fragen des Umsatzsteuerrechts. Tobias Schneider übernimmt die Analyse komplexer Vertragsstrukturen, führt im Auftrag seiner Mandanten Rechtsbehelfsverfahren und unterstützt sie nicht zuletzt in schwierigen Betriebsprüfungssituationen.

Weiterführende Literatur
Umsatzsteuerliche Probleme bei Eingangs- und Ausgangsrechnungen können für Unternehmen zu empfindlichen finanziellen Konsequenzen führen. Es gilt daher, das immer komplexere Geflecht aus Rechtsprechung, Verwaltungsanweisungen und der laufend geänderten Gesetzeslage sicher zu überschauen. Denn unter der Lupe des Betriebsprüfers können sich Ungenauigkeiten noch Jahre später rächen, z.B. wenn der Vorsteuerabzug wegen nicht mehr korrigierbarer Fehler versagt wird.

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(ESV/fl)

Programmbereich: Steuerrecht