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Verhaltensänderung gelingt nur mit Feedback (Foto: Lisa F. Young und photo 5000/Fotolia.com)
Nachgefragt bei: Prof. Dr. Christoph Bördlein

„Verhaltensänderung gelingt nur mit Feedback”

ESV-Redaktion Arbeitsschutz
16.09.2015
Die meisten Arbeitsunfälle passieren verhaltensbedingt. Verhaltensorientierte Arbeitssicherheit ist eine erfolgreiche Methode, um die Zahl der Arbeitsunfälle erfolgreich zu reduzieren. Ein Interview der ESV-Redaktion mit dem Psychologen Prof. Dr. Christoph Bördlein.

Was ist verhaltensorientierte Arbeitssicherheit und wie funktioniert sie in der Praxis?

Christoph Bördlein: Behavior Based Safety (BBS), also verhaltensorientierte Arbeitssicherheit, ist die Anwendung der Erkenntnisse der Verhaltenswissenschaften auf das Problem der Arbeitssicherheit. Fehlerhafte Technik ist heutzutage nur noch selten die Ursache eines Arbeitsunfalls. Verschiedenen Untersuchungen zufolge liegt der Anteil so genannter verhaltensbedingter Unfälle zwischen 70 und 96 %. Üblicherweise begegnen die Unternehmen diesem Problem mit einer Mischung aus Belehrung und Druck. Mitarbeiter, die sich nicht sicher verhalten, werden erneut belehrt und müssen mit allerlei Sanktionen rechnen: von der Kritik des Vorgesetzten bis hin zur Abmahnung oder Entlassung. Dies hat sich jedoch als wenig erfolgreich erwiesen. Aus der Verhaltenswissenschaft weiß man schon lange, durch welche Prinzipien eine dauerhafte Verhaltensänderung erreicht werden kann. Auf das Problem des arbeitssicheren Verhaltens übertragen lauten diese Prinzipien:
• klare Definition des sicheren Verhaltens
• Beobachtung des Verhaltens
• positives und konstruktives Feedback
• objektive Veränderungsziele
• Motivation durch positive Verstärkung.

In der Praxis legen die Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen meist selbst fest, durch welche Verhaltensweisen sie die Chancen erhöhen, am Abend gesund nach Hause gehen zu können. Sie beobachten sich gegenseitig bei der Arbeit und besprechen, wie sie es erreichen können, eine Arbeit immer zu 100 % sicher auszuführen. Der Betrieb unterstützt diesen Prozess, indem er den Mitarbeitern die Autonomie und die Ressourcen gibt, die sie benötigen, um ihr Verhalten zu verändern und den Betrieb zu einem sichereren Ort zu machen. Der Anreiz zur Verhaltensänderung besteht vor allem in der gezeigten - und messbaren - Wertschätzung für das sichere Arbeiten.

Unterweisungen, Gefährdungsbeurteilungen – gibt es nicht ausreichend Instrumente, um Arbeit sicher zu machen?

Christoph Bördlein: Gefährdungsbeurteilungen sind ein unersetzliches Instrument der Arbeitssicherheit. Durch diese kann man feststellen, welche technischen und organisatorischen Veränderungen erforderlich sind, damit man überhaupt sicher arbeiten kann. Auch Unterweisungen und Schulungen sind unabdingbar, um die Voraussetzungen für sicheres Arbeiten zu schaffen. Doch zeigt die Praxis, dass diese Instrumente alleine oft nicht ausreichen. Viele Unternehmen, die das Thema Arbeitssicherheit ernst nehmen, stellen fest, dass sie sich alsbald, was die Zahl der Arbeitsunfälle angeht, auf einem Plateau bewegen. Der Betrieb tut alles, was er kann, um das Arbeiten sicherer zu machen, dennoch passieren immer wieder Unfälle. Für dieses Delta ist BBS gedacht.

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Welche besonderen oder neuen Ansätze kann BBS für die Herausforderungen der Zukunft der Arbeit liefern – Stichwort Industrie 4.0?

Christoph Bördlein: BBS ist ein datengetriebener Prozess. Entscheidungen werden immer auf der Grundlage von objektiven Daten getroffen. Andere Ansätze zur Verhaltensänderung im Bereich der Arbeitssicherheit setzen eher auf das Prinzip „train and hope“: Man schult die Mitarbeiter und hofft dann, dass sie sich auch tatsächlich anders verhalten. BBS gibt dem Betrieb die Möglichkeit, den Faktor Verhalten konstruktiv und objektiv anzugehen. Statt Druck auszuüben und Schuldgefühle zu erzeugen, kann man aufgrund der Beobachtungsdaten entscheiden, durch welche Maßnahmen das sichere Verhalten begünstigt wird. Ein Beispiel: Verhaltensänderung gelingt nur mit Feedback. Gestalte ich die Prozesse so, dass der Mitarbeiter unmittelbar und automatisch Feedback darüber erhält, ob er sich gerade sicher oder unsicher verhält, erhöhe ich die Chancen, dass er dauerhaft das sicherer Verhalten zeigt. Das ist anders, wenn nur alle paar Stunden der Vorgesetzte vorbeikommt und dem Mitarbeiter mitteilt, was er richtig und falsch macht.

Ein Kritikpunkt an BBS ist, dass je nach Betriebs- und Führungskultur die Methode dazu benutzt wird, den Mitarbeitern die Verantwortung für Arbeitssicherheit zuzuschieben. Welche Rahmenbedingungen brauche ich für ein erfolgreiches BBS?

Christoph Bördlein: Den wichtigsten Part bei BBS nehmen natürlich die Mitarbeiter ein. Sie sind es, die den Risiken ausgesetzt sind und von denen erwartet wird, dass sie sich auf eine bestimmte Weise verhalten. BBS kann nur gelingen, wenn man die Mitarbeiter aktiv beteiligt und ihnen die Kompetenz zubilligt, ihr Verhalten - mit den Mitteln, die BBS bereitstellt - selbst zu verändern. Auch wenn der sichtbarste Teil von BBS - das Beobachten, die Feedbackgrafiken, die Besprechungen und Feiern der Beobachtergruppen usw. - vor allem von den Mitarbeitern getragen wird, ist es doch der Betrieb als Ganzes, der sich verändern muss. Nur wenn die Unternehmensleitung und alle Vorgesetzten wissen, wie sie die Bemühungen der Mitarbeiter um sicheres Arbeiten konstruktiv unterstützen können, gelingt BBS.

BBS ist die am besten untersuchte und erfolgreichste Methode zur Verhaltensänderung im Bereich der Arbeitssicherheit. Doch nur „richtiges“ BBS ist wirksam: Wenn man die verhaltenswissenschaftlichen Grundlagen von BBS vernachlässigt, erreicht man nicht, dass die Mitarbeiter dauerhaft sicherer arbeiten und langfristig die Zahl der Arbeitsunfälle zurückgeht. Am besten und nachhaltigsten funktioniert BBS dann, wenn der Betrieb nicht nur im Bereich der Arbeitssicherheit sondern generell seine Kultur auf das Prinzip der positiven Verstärkung umstellt. Nur ein Mitarbeiter, der merkt, dass es sich „lohnt“, gute Arbeit zu erbringen - weil sie authentisch wertgeschätzt und gefördert wird -, wird auch dauerhaft dafür motiviert sein. (ESV/ck)

Zur Person
Prof. Dr. Christoph Bördlein ist Dipl.-Psychologe und Dozent an der Hochschule für angewandte Wissenschaften in Würzburg-Schweinfurt und Autor im Erich Schmidt Verlag.

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Literaturempfehlung zum Thema

Verhaltensorientierte Arbeitssicherheit - Behavior Based Safety (BBS) ist die erfolgreichste und am besten untersuchte Methode, um das arbeitssichere Verhalten von Mitarbeitern zu fördern. Tausende Betriebe weltweit setzen sie bereits erfolgreich ein, in deutschsprachigen Ländern ist das System dagegen noch immer fast unbekannt.

Anerkennung für sicheres Arbeiten

BBS setzt auf Feedback und Anerkennung für sichere Arbeitsweisen statt auf Strafen für riskantes Verhalten. Mit Christoph Bördlein erläutert Ihnen ein äußerst erfahrener Spezialist, warum und wie BBS in der betrieblichen Praxis ganz unterschiedlicher Branchen überzeugt, welche Varianten verhaltensorientierter Arbeitssicherheit es gibt und wie Sie selbst erfolgreich mit BBS-Methoden arbeiten, wie Sie passgenaue Maßnahmen entwickeln, um mit BBS Arbeitsunfälle erfolgreich zu reduzieren – mit vielen Fallbeispielen, Checklisten und Vorlagen – und wie sich verhaltensanalytische Methoden von BBS auch außerhalb der Arbeitssicherheit nutzen lassen. Die 2. Auflage dieses noch immer einzigen deutschsprachigen Werks erscheint voraussichtlich im Oktober. Es gilt als Pflichtlektüre für alle, die beruflich mit Arbeitssicherheit zu tun haben.

Programmbereich: Arbeitsschutz