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Verschiedene Kulturen (Foto: Patricia Hofmeester/Fotolia.com)
Einführung in die Kulturwissenschaft

Verschiedene Zugänge zur Kulturwissenschaft

ESV-Redaktion Philologie
17.01.2017
Im heutigen Zeitalter sind Medien allgegenwärtig. Welchen Einfluss haben sie auf uns? In der Kulturwissenschaft gelten Medien als Mittler zwischen Mensch und Welt, sie konstruieren unsere Wirklichkeit.
Unter anderem damit beschäftigt sich Aleida Assmanns „Einführung in die Kulturwissenschaft. Grundbegriffe, Themen, Fragestellungen“, die in diesem Monat bereits in der 4. Auflage erscheint. Das Buch gliedert sich in die Kapitel ,Zeichen‘, ,Medien‘, ,Körper‘, ,Zeit‘, ,Raum‘, ,Gedächtnis‘, ,Identität‘ und behandelt damit zentrale Kategorien der Kulturwissenschaft.

Das Buch eröffnet verschiedene Einstiege in komplexere theoretische und historische Zusammenhänge und erkundet den Zusammenhang von Textlektüre und wichtigen aktuellen Grundfragen der Kultur. Lesen Sie hier einen Ausschnitt:

„Medien als Mittler?


Der menschliche Wirklichkeitsbezug, so hat es der Philosoph Hans Blumenberg einmal ausgedrückt, ist „indirekt, umständlich, verzögert, selektiv und vor allem metaphorisch.“ In dieser Indirektheit nisten sich die Medien ein. Mithilfe der Medien schärft der Mensch seine Sinne, elaboriert er seine Ausdrucksfähigkeiten und dehnt den Radius seiner Kommunikations- und Speichermöglichkeiten radikal aus.

Das Wort ‚Medien‘ bedeutet wörtlich ‚Mittler‘. Vom spiritistischen Medium bis zur technischen Apparatur stellen sie einen Zugang her, wo wir sonst keinen unmittelbaren Zugang haben. Diese Definition von Medium als Mittler reicht aber nicht aus, sie ist sogar irreführend. Denn indem Medien zwischen Mensch und Welt vermitteln, bringen sie die Welt und den Menschen zugleich erst eigentlich hervor.

Medien sind deshalb produktive Instrumente der Weltgestaltung und Welthervorbringung, Konstrukteure der Wirklichkeit und damit auch des Menschen, der in dieser Wirklichkeit lebt. Diese Einsicht in den konstruktiven Charakter der Medien, die man heute in jedem der zahlreichen Bücher über Medien und Medientheorie nachlesen kann, gilt bereits für Zeichen und Bilder, wie der Philosoph Ernst Cassirer betont hat. Diese alle, so schrieb er, „treten zwischen uns und die Gegenstände; aber sie bezeichnen damit nicht nur negativ die Entfernung, in welche der Gegenstand für uns rückt, sondern sie schaffen die einzig mögliche, adäquate Vermittlung und das Medium, durch welches uns irgendwelches geistige Sein erst fassbar und verständlich wird.“

Medien übertragen nicht einfach Botschaften

In einer neueren Formulierung klingt das so: Medien übertragen nicht einfach Botschaften, sondern entfalten eine Wirkkraft, welche die Modalitäten unseres Denkens, Wahrnehmens, Erinnerns und Kommunizierens prägt. (...) ‚Medialität‘ drückt aus, dass unser Weltverhältnis und damit alle unsere Aktivitäten und Erfahrungen mit welterschließender (...) Funktion geprägt sind von den Unterscheidungsmöglichkeiten, die Medien eröffnen, und den Beschränkungen, die sie dabei auferlegen.

Geistiges Sein, um an die Formulierung Cassirers anzuschließen, bleibt in seiner ätherischen Gestaltlosigkeit unfasslich; damit Menschen überhaupt etwas aufnehmen können, muss es zuvor eine materielle Stütze und eine sinnliche Form erhalten. Geist, der kommuniziert werden soll, kommt also nicht ohne Medien aus, das heißt im Einzelnen: Sprache kann nicht ohne akustische Schwingungen, Gedanken können nicht ohne Schrift, Druck und Buch, Bilder können nicht ohne Farbe, Leinwand und Rahmen, Musik, Klang und Ton nicht ohne Instrumente und technische Magnetbänder, Filme nicht ohne Zelluloid oder digitale Aufzeichnungsträger wahrgenommen werden.

Während die Geisteswissenschaften ihre fundierende Einheit im kollektiv-metaphysischen Begriff des ‚menschlichen Geistes‘ fanden, aus dem die Kulturen ebenso hervorgehen wie die Weltschöpfung aus dem göttlichen Odem (Hebr: ruach), fragen die Kulturwissenschaften, und hier insbesondere natürlich die Medienwissenschaften, nach den Medien als konkrete Voraussetzungen jeglicher künstlerischen Hervorbringung und Darstellung.

Medien sind materiale – und je näher wir der Gegenwart kommen: apparative – Träger von Zeichensystemen. Ein Zeichen, so stellen wir jetzt fest, ist als Komplex von Signifikant und Signifikat unvollständig beschrieben; es bedarf, um überhaupt wahrnehmbar zu werden, auch einer materiellen Außenseite, eines Mediums.

Materielle Träger

Von diesen materiellen Trägern hat man lange Zeit wenig Aufhebens gemacht. Diese Modalitäten galten als trivial oder selbstverständlich, sie waren jedenfalls keine ernsthafte Überlegung wert. Und das mit gewissem Recht. Als „tacit dimension“ unserer Kommunikationsprozesse sind sie nämlich darauf angelegt, übersehen zu werden, und zwar nicht nur, weil sie in der Handhabung zur Gewohnheit und damit zur Selbstverständlichkeit geworden sind wie die schwarzen Buchstaben auf der Druckseite oder der flimmernde Lichtstrahl, der das Kinobild auf die
Leinwand projiziert. Wir sind kulturell geradezu darauf programmiert, von der Materialität der Medien abzusehen, denn wenn wir uns den Medien selbst zuwenden, können wir nicht mehr das sehen, was sie uns zeigen: kodierte Information auf der Buchseite oder das projizierte Bild auf der Leinwand. Medium und Darstellung können nicht zugleich wahrgenommen werden; wie die Kippfiguren der Psychologen, in denen man mal einen Hasen- und mal einen Entenkopf sieht, kann man sie nur abwechselnd in den Blick nehmen. Mit anderen Worten: Medien sind dazu da, etwas in Erscheinung zu bringen und nicht selbst in Erscheinung zu treten.“

Zum Band
Der Band Einführung in die Kulturwissenschaft. Grundbegriffe, Themen, Fragestellungen erscheint Ende Januar in vierter Auflage im Erich Schmidt Verlag. Wenn wir Sie neugierig darauf gemacht haben, mehr zu den Grundbegriffen, Themen und Fragestellungen der Kulturwissenschaft zu lesen, dann können Sie ihn bequem hier bestellen.

Zur Autorin

Aleida Assmann studierte Anglistik und Ägyptologie. Sie hat an Ausgrabungen in Oberägypten mitgearbeitet und zusammen mit Jan Assmann 1979 einen kulturwissenschaftlichen Arbeitskreis gegründet, aus dem inzwischen zehn interdisziplinäre Publikationen hervorgegangen sind. Von 1993–2014 lehrte sie Anglistik und Allgemeine Literaturwissenschaft an der Universität Konstanz. Sie unterrichtete als Gastprofessorin u. a. an den Universitäten Princeton, Yale und Chicago. 2008 erhielt sie einen Ehrendoktor der theologischen Fakultät der Universität Oslo; 2014 wurde sie mit dem Heineken Preis für Geschichte der Königlichen Akademie der Wissenschaften der Niederlande ausgezeichnet. Mit den Mitteln des Max Planck-Forschungspreises leitete sie von 2009–2015 die Forschungsgruppe ‚Geschichte und Gedächtnis’.

Ausgewählte Publikationen: Erinnerungsräume. Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses (3. Aufl. 2006); Das neue Unbehagen an der Erinnerungskultur (2013); Ist die Zeit aus den Fugen? Aufstieg und Niedergang des Zeitregimes der Moderne (2013); Im Dickicht der Zeichen (2015); Formen des Vergessens (2016).

(ESV/ln)

Programmbereich: Anglistik und Amerikanistik