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Städte am Rhein: Wiege der modernen Welt (Foto: oxie99/Fotolia.com)
Nachgefragt bei: Dr. Gabriel Zeilinger

Zeilinger: „Die Stadt als Wiege der politischen Moderne“

ESV-Redaktion Philologie
24.01.2018
Spätmittelalterliche Städte gelten als Grundlage für die politische Moderne der westlichen Welt. Woher diese Idee stammt und was wir heute noch vom Mittelalter lernen können: Darüber spricht Dr. Gabriel Zeilinger im Interview mit der ESV-Redaktion.
Lieber Herr Zeilinger, politische Partizipation ist auch heute noch ein aktuelles Thema. Welche Parallelen können Sie ziehen zwischen dem heutigen Stand der Dinge und dem im Mittelalter?

Gabriel Zeilinger: Historikerinnen und Historiker tun sich meist schwer mit historischer Parallelen – oder gar Analogiebildung. Oft sind die Rahmenbedingungen doch zu unterschiedlich. Aber dann gibt es durchaus auch Ähnlichkeiten: So lässt die heutige digitale „Revolution“ als fundamentale Basisinnovation in ihren medien-, politik- und sozialgeschichtlichen Auswirkungen einige Ähnlichkeiten zu der des Buchdrucks Mitte des 15. Jahrhunderts erkennen.

Können wir heute noch etwas von damals lernen?

Gabriel Zeilinger:
Womöglich, dass mehr gemeindliche Partizipation zumindest vorübergehend für die Beruhigung eines labil gewordenen Verhältnisses von Gemeinde und politischer Führung führen konnte, aber nicht musste. Es gibt dafür im Spätmittelalter – und somit auch in unserem Buch – bei aller kritischen Würdigung nicht wenige Beispiele.

Warum gelten die Städte des Spätmittelalters als Wiege der politischen Moderne der westlichen Welt?

Gabriel Zeilinger:
Zunächst einmal ist schon der Bürgerbegriff der modernen Staatenwelt aus der vormodernen Stadt entlehnt – und das mit gutem Grund. Denn die genossenschaftliche Verfasstheit der mittelalterlichen Stadt und die zumindest prinzipielle Gleichberechtigung ihrer Vollbürger, die als solche allerdings nur die Minderheit der – männlichen – Stadtbevölkerung darstellten, waren das Vorbild für demokratische Politikmodelle seit der Aufklärung.

Politische Beteiligung im Mittelalter 16.01.2018
Politische Partizipation heißt auch Verantwortung
Inwieweit können wir die Politik mitbestimmen? Wie weit geht unser Mitspracherecht? Fragen wie diese geben seit Jahrhunderten Anlass zu Diskussionen. Ein neu erschienener Band untersucht die politische Partizipation im Mittelalter. Lesen Sie hier einen Auszug über die Rolle der Zünfte. mehr …

Gab es in Städten im Spätmittelalter überhaupt ein Mitspracherecht?

Gabriel Zeilinger: Spätmittelalterliche Städte wurden zwar von Eliten regiert – seien es eher patrizische oder partiell bis deutlich zünftisch bestimmte. Doch musste sich die jeweilige Elite zumindest in gewissem Turnus immer wieder zurückbinden an die Gesamtheit der Bürgergemeinde und ihren Normenhorizont von Friede und Gleichheit. Es ist auffällig, dass der sogenannte Große Rat oft in Zeiten besonderer Herausforderungen wie Kriege oder Katastrophen einberufen wurde. Darüber hinaus gab es viele Mitsprachemöglichkeiten im Alltag: von Bruderschaften über Zünfte bis hin zu Ratswahl oder Eidesleistung oder eben -verweigerung.

Hätten Sie selbst gerne im Mittelalter gelebt? Welche Rolle in der Gesellschaft könnten Sie sich für sich vorstellen?

Gabriel Zeilinger:
Aufgrund der hygienischen und medizinischen Bedingungen, der hohen Kindersterblichkeit und so weiter eher ungern – aber das ist natürlich der Blick ex post. Wenn man sich eine Rolle wünschen müsste, wäre es vorzuziehen, mindestens Herzog zu sein, denn selbst die politischen Eliten der Städte waren mitunter recht unsicher aufgestellt. Freilich wäre auch eine Parallelfunktion zu unserer heutigen Tätigkeit, also als Hochschullehrer oder gelehrter Rat, vorstellbar.

Zur Person
Gabriel Zeilinger wurde 1975 in Freiburg im Breisgau geboren und ist derzeit wissenschaftlicher Mitarbeiter und Privatdozent an der Universität Kiel. Er lehrt und forscht zur mittelalterlichen Wirtschafts-, Sozial- und Politikgeschichte besonders der Stadt und des Adels sowie zur Geschichte mittelalterlicher Katastrophen. Er hat bereits zahlreiche Veröffentlichungen besonders zur Stadtgeschichte des Reichs im Spätmittelalter publiziert.

Politische Partizipation in spätmittelalterlichen Städten am Oberrhein / La participation politique dans les villes du Rhin supérieur à la fin du Moyen Âge

Herausgegeben von: Prof. Olivier Richard, PD Dr. phil. Gabriel Zeilinger

Die aktuellen Debatten über die verschiedenen Möglichkeiten und die Grenzen politischer Partizipation der Bürger in den europäischen Staaten liegen diesem Buch zu Grunde, das eine historische Betrachtung beisteuern möchte. Stellten die Städte des Spätmittelalters, die als eine Wiege der politischen Moderne der westlichen Welt gelten, eher einen Raum des Zwangs oder des ausgehandelten Miteinanders dar?

Politische Partizipation wird in all ihren Facetten untersucht: von der Entstehung städtischer Gemeinden über die Rolle der Zünfte oder der Schützengesellschaften bis hin zu Kontrollrechten der Stadtbürger etwa im Steuerwesen oder der Verweigerung der Eidesleistung gegenüber der Obrigkeit.

Die Beiträge des Sammelbandes sind in deutscher, französischer und englischer Sprache verfasst.

 



(ESV/lp)

Programmbereich: Romanistik