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Ausgewiesener E.T.A. Hoffmann-Kenner: Eckart Kleßmann (Foto: Dieter Geimer)
E.T.A. Hoffmann-Medaille für Eckart Kleßmann

„Haben Sie etwas von E.T.A. Hoffmann?“

ESV-Redaktion Philologie
10.11.2016
Die diesjährige E.T.A. Hoffmann-Medaille wurde an Eckart Kleßmann verliehen. Der Schriftsteller ist der sechste Träger dieser undotierten Auszeichnung der E.T.A. Hoffmann-Gesellschaft. Lesen Sie im Folgenden seine Dankesworte.
Vor Eckart Kleßmann waren die Professoren Hartmut Steinecke, Wulf Segebrecht, Klaus Kanzog, der Intendant Rainer Lewandowski und die Museumskuratorin Valentina Pietrovna Pokladova Träger der seit 2011 verliehenen Medaille.

Dankesworte


Als vor wenigen Jahren eines der größten Antiquariate Hamburgs aufgeben musste, weil antiquarische Bücher heute kaum noch gekauft werden, erzählte mir der Inhaber, er habe sein großes Romanlager, 10.000 Bücher, dem Reißwolf übergeben, weil Romane nahezu unverkäuflich seien. Bei dem derzeitigen Jahresausstoß von hunderttausenden Romanexemplaren, von denen die meisten das erste Jahr nicht überdauern, ist diese Nachricht nicht erstaunlich, sie hat mich aber dennoch bewegt. Denn meine Generation hat einen Mangel an Büchern erlebt, den man sich heute in einer Zeit des Überflusses gar nicht mehr vorstellen kann. Die wenigen Bücher, die nach 1945 gedruckt wurden (der Mangel setzte aber schon während des Krieges ein), waren auf grauem Papier gedruckt, in oftmals brüchigen Pappbänden gebunden und nur in sehr kleinen Auflagen verfügbar.

Überraschung zum 15. Geburtstag

Und so kam es, dass am 17. März 1948, dem Tag, an dem ich 15 Jahre alt wurde, auf meinem Gabentisch nur ein einziges Buch lag (daneben noch zwei nützliche Kleinigkeiten), ein dünner cremefarbener Band, dessen Einband schon beim ersten Aufblättern aufplatzte: Der goldene Topf von E.T.A. Hoffmann. Wer es mir geschenkt hat, weiß ich nicht mehr. Titel und Autor sagten mir nichts. Im Bücherschrank meiner Eltern standen Werkausgaben von Lessing, Goethe, Schiller, Kleist und Fritz Reuter; Romantiker gab es nicht, und weder meine Eltern noch meine drei Geschwister, alle überaus belesen, konnten mir sagen, was dies für ein Buch sei. Das umfangreiche Konversationslexikon der Eltern informierte mich über den Autor und seine wichtigsten Werke, und da fiel mir ein, dass ich vier Jahre zuvor, mit elf Jahren, in der Bibliothek meines Gymnasiums, Nussknacker und Mausekönig entdeckt und entliehen hatte, in der Edition mit den Holzstichen von Bertall.

„Der Goldene Topf” von E.T.A. Hoffmann

Nun ist der Goldene Topf keine Lektüre für einen Fünfzehnjährigen, und natürlich begriff ich kaum, was da erzählt wurde. Aber mich entzückten die Bilder! Die goldenen Schlänglein, der geheimnisvolle Archivarius Lindhorst, der feindliche Türklopfer, die geheimnisvolle Bibliothek: Es war die Bilder- und Phantasiewelt des Dichters, die mich hinriss und mich Jahr für Jahr immer wieder zu dem Büchlein greifen ließ.

Ein Jahr später, ich war nun 16, nahm mich mein Vater, Chirurg, mit auf einen Ärztekongress in Frankfurt. Es waren Ferien, ich erinnere mich an einen warmen Frühsommer, mein Vater kam erst abends in unsere Pension zurück, sodass ich den ganzen Tag für mich hatte. Inzwischen lag die Währungsreform hinter uns, es gab wieder eine stabile Währung, und es gab endlich auch wieder Bücher. Aber keinen E.T.A. Hoffmann. Also beschloss ich, in allen mir erreichbaren Frankfurter Antiquariaten nach ihm zu fragen. Frankfurt lag damals noch in Trümmern, und die Antiquariate, die ich aufsuchte, befanden sich zumeist in Kellern, die den Bomben standgehalten hatten.

Ich betrat sie mit dem Satz: „Haben Sie etwas von E.T.A. Hoffmann?“ Ja, man hatte, aber es waren fast nur mehr oder minder schlecht erhaltene Reclam-Bändchen, doch das störte mich nicht. Die Büchlein kosteten selten über eine Mark, ich kaufte, was ich bekommen konnte, und saß nun jeden Tag in der Sonne und las das Neuerworbene: Das Majorat war darunter, Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und Meister Floh, – an diese Titel erinnere ich mich noch, aber es sind weitaus mehr gewesen. So wurde ich zum passionierten Hoffmann-Leser.

Seligkeit des Entdeckens

Bis ich seine musikalischen Schriften kennenlernte, dauerte es noch, und sehr spät erst las ich dann die erste Biographie, weiß mich aber nicht mehr zu besinnen, von wem sie war. Wer heute als junger Mensch Hoffmann kennenlernen will, hat es sehr leicht, er muss nicht suchen. Mein Leseerlebnis verbindet sich mit der Mühe des Anfangs, die aber auch eine Seligkeit des Entdeckens war, die man so rein wohl nur als junger Mensch erlebt. Sie ähnelt ein wenig der ersten Liebe. Und es gab die Freude des Aufspürens. So habe ich die besonders geliebte Prinzessin Brambilla erst sehr spät kennengelernt, denn es gab lange keine Ausgabe.

Nehme ich die erste Lektüre des Elfjährigen hinzu, so hat mich Hoffmann jetzt 72 Jahre lang durchs Leben begleitet. Eines Tages reizte es mich, selber über sein Leben und Werk zu schreiben, weil ich Hoffmann in einer anderen Sicht darstellen wollte, als es meist geschah. Die Kritik hat das sehr skeptisch, zum Teil auch feindselig aufgenommen. Ich habe an dieser Sicht auch heute, nach 28 Jahren, nichts zu widerrufen, auch wenn ich Details ändern würde. Aber der umfangreiche Band ist längst vergriffen und wird nie in einer überarbeiteten Fassung noch einmal gedruckt werden.

Nun hat die E.T.A. Hoffmann-Gesellschaft diese Biographie ausgezeichnet, was sich der junge Hoffmann-Leser von 1948/49 nie hätte träumen lassen.

Ich danke Ihnen von Herzen für die Auszeichnung, die Ehre.

Eckart Kleßmann


Der ESV gratuliert Eckart Kleßmann zu dieser Auszeichnung!
 
Der Preisträger
Eckart Kleßmann wurde 1933 in Lemgo (Lippe) geboren. Zunächst war Kleßmann Redakteur bei verschiedenen Tageszeitungen, von 1970 bis 1976 arbeitete er für die Wochenzeitung Die Zeit. Seit 1977 ist Kleßmann freier Schriftsteller. 1988 erschien seine mittlerweile vergriffene Biographie über E.T.A. Hoffmann: „E. T. A. Hoffmann oder die Tiefe zwischen Stern und Erde. Eine Biographie“. Darüber hinaus verfasste Kleßmann mehrere Bücher zur deutschen Romantik, darunter eine Biografie über Caroline Michaelis/Böhmer/Schlegel/Schelling, sowie mehrere Gedichtbände. 2007 veröffentlichte Kleßmann autobiographische Episoden über seine Kindheit in der Zeit des Nationalsozialismus. Er lebt seit 1995 in einem Dorf in Mecklenburg.

E.T.A. Hoffmann-Jahrbuch
Im soeben im Erich Schmidt Verlag erschienenen E.T.A. Hoffmann-Jahrbuch 2016 können Sie wie jedes Jahr Neues aus der Hoffmann-Forschung lesen, u.a. zum Roman „Die Elixiere des Teufels“ und zum Märchen „Nussknacker und Mausekönig“. Auch die oben stehenden Dankesworte von Herrn Kleßmann sind dort nachzulesen. Sie können das Jahrbuch bequem hier bestellen.

(ESV/Philologie)

Programmbereich: Germanistik und Komparatistik