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Die Daten der Volkszählung 2011 bleiben vorerst erhalten (Foto: Michael Schütze/Fotolia.com)
Datenschutz

Bundesverfassungsgericht stoppt Löschung der Zensus-Daten

ESV-Redaktion Recht
02.09.2015
Die Daten aus der Volkszählung 2011 dürfen vorerst nicht gelöscht werden. Am Dienstag erließ das Bundesverfassungsgericht eine einstweilige Anordnung – und zeigt damit, dass „Datenschutz nicht absolut gilt“, sagt Datenschutzexperte Professor Niko Härting.
Am 9. Mai 2011 war Stichtag: Knapp 20 Jahre nach der letzten Volkszählung führten die statistischen Bundes- und Landesämter eine Bevölkerungs- Gebäude und Wohnungszählung durch. Die Einwohnerzahl von Bund, Ländern und Gemeinden sollte verbindlich festgestellt werden. Die Zählung erfolgte – so regelt es das Zensusgesetz 2011 – im Wesentlichen auf der Auswertung der Melderegister und weiterer Verwaltungsregister. Nur ergänzend fand die Befragung in einzelnen Haushalten statt.

Die Totalerhebung verbot damals das Bundesverfassungsgericht

Eine Totalerhebung, bei der die Erfassung der Einwohnerzahlen durch die Befragung von Beamten von Tür zu Tür erfolgt, sah das Volkszählungsgesetz von 1983 vor. Das Vorgehen wurde damals aber durch das Bundesverfassungsgericht gestoppt: Wegen des im Dezember 1983 ergangenen Volkszählungsurteils wurde die für Mai 1983 geplante Volkszählung erst 1987 in abgeänderter Form durchgeführt. In diesem Grundsatzurteil machte das Gericht Vorgaben für das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG.

470 Millionen Euro verlor Berlin durch die Volkszählung

Für Berlin zählte das Amt für Statistik Berlin-Brandenburg 3.292.365 Personen. 180.000 weniger als nach den fortgeschriebenen Zahlen der letzten Volkszählung. An die Einwohnerzahl knüpfen sich wichtige Entscheidungen: Mit wie vielen Stimmen erfolgt die Beteiligung im Bundesrat? Wie verteilen sich die Bundeswahlkreise? Und wie hoch ist die Zuweisung aus dem Länderfinanzausgleich? Berlin gingen durch das nach unten korrigierte Ergebnis 470 Millionen Euro aus dem Länderfinanzausgleich verloren. Gegen die umstrittene Volkszählung klagte das Land Berlin vor dem Bundesverfassungsgericht. Im Rahmen der abstrakten Normenkontrolle soll das Gericht nun einzelne Vorschriften des Zensusgesetzes 2011 für nichtig erklären. So auch § 19, der die Löschung der Daten vorsieht.

Im Wortlaut:

§ 19 Löschung

(1) Die Hilfsmerkmale sind von den Erhebungsmerkmalen zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu trennen und gesondert aufzubewahren. Sie sind, soweit sich nicht aus § 22 Absatz 2 und § 23 etwas anderes ergibt, zu löschen, sobald bei den statistischen Ämtern die Überprüfung der Erhebungs- und Hilfsmerkmale auf ihre Schlüssigkeit und Vollständigkeit abgeschlossen ist. Sie sind spätestens vier Jahre nach dem Berichtszeitpunkt zu löschen.
(2) Die Erhebungsunterlagen sind nach Abschluss der Aufbereitung des Zensus, spätestens vier Jahre nach dem Berichtszeitpunkt zu vernichten.

Gleichzeitig beantragte das Land Berlin die Löschung bis zur Entscheidung in der Hauptsache zu stoppen. Dazu erließen die Richter nun einen Beschluss.

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Längere Datenspeicherung von verhältnismäßig geringem Gewicht

Die Löschung der Daten aus dem Zensus 2011 wird vorläufig gestoppt – so entschied jetzt das Bundesverfassungsgericht (Az.: 2 BvF 1/15). Die einstweilige Anordnung sei „dringend geboten“, da die im Gesetz geregelte Vier-Jahres- Frist für die Aufbewahrung der Daten zum 9. Mai 2015 abgelaufen sei. Werden die Daten gelöscht, so hätten die Gemeinden, die gegen die Ergebnisse der Zählung geklagt hatten, keine Möglichkeit mehr, eine etwaige fehlerhafte Berechnung ihrer Einwohnerzahl gerichtlich effektiv überprüfen zu lassen, so das Gericht.

Die längere Datenspeicherung würde zwar tiefer in das Recht der betroffenen Bürgerinnen und Bürger auf informationelle Selbstbestimmung eingreifen. Dieser Eingriff sei jedoch von verhältnismäßig geringem Gewicht. Die Vorteile aber, welche die einstweilige Anordnung für die Rechtsschutzmöglichkeiten der Gemeinden mit sich bringe, habe demgegenüber ein erheblich höheres Gewicht.

Folgen der Entscheidung für laufende Verfahren

Nach der Zählung hatten mehr als 1.000 Gemeinden gegen das Ergebnis geklagt. Die Entscheidungen stehen hier noch aus. Da die Daten nun erst einmal erhalten bleiben, ist die Überprüfung und gegebenenfalls Korrektur möglich.

Das Urteil zeige, dass Datenschutz nicht absolut gilt, sagt Datenschutzexperte und Herausgeber der Fachzeitschrift PinG, Professor Niko Härting. „Wenn Daten gelöscht werden, kann dies den Rechtsschutz erheblich erschweren oder gar vereiteln. Man darf gespannt sein, wie Karlsruhe in der Hauptsache entscheiden wird.“ (ESV/akb)

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Literaturhinweise zum Thema

Über aktuelle und grundlegende Fragen zum Datenschutz informiert die Zeitschrift PinG – Privacy in Germany. Erhältlich als Print und eJournal.
Das umfassend kommentierte Loseblattwerk zum Bundesdatenschutzgesetz von Dr. jur. Hans-Jürgen Schaffland und Dipl.-Kfm. Noeme Wiltfang, ist als Print und als Datenbank unter www.bdsgdigital.de abrufbar.
Welche datenschutzrechtlichen Vorkehrungen bei Aufbau und Betrieb von WLAN-Hotspots beachtet werden müssen, beschreibt u. a. das Buch WLAN und Recht von Dr. jur. Thomas Sassenberg und Dr. jur. Dipl.-Inf. Reto Mantz, auch als eBook erhältlich.

Programmbereich: Bürgerliches Recht, Zivilverfahrensrecht