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Die Aussprache ist wichtig (Foto: lassedesignen/Fotolia)
Nachgefragt bei: Prof. Dr. Ursula Hirschfeld

Hirschfeld: „Wer eine Fremdsprache lernt, muss sich auch mit Aussprache beschäftigen“

ESV-Redaktion Philologie
21.09.2016
Fremdsprachen sind heute wichtiger denn je. Aber wie wird man gut verstanden? Und welche Rolle spielt die Aussprache in der Fremdsprache? Antworten gibt Prof. Dr. Ursula Hirschfeld im Interview mit der ESV-Redaktion.
Frau Hirschfeld, wie wichtig ist die Aussprache für das Lernen einer Fremdsprache?

Ursula Hirschfeld: Wer eine Fremdsprache lernt und sie in der mündlichen Kommunikation erfolgreich verwenden möchte, wer verstanden werden und verstehen will, muss sich auch mit der Aussprache beschäftigen. Aussprachekompetenzen werden nicht nur für das verstehende Hören und das Sprechen benötigt. Die Aussprache ist auch ein Mittler zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit: Die Kenntnis der Laut-Buchstaben-Beziehungen ist Voraussetzung für das laute Lesen und das Schreiben.

Wie lehrt man korrekte Aussprache am besten?

Ursula Hirschfeld: Da gibt es leider nicht die Methode, weil die individuellen Voraussetzungen der Lernenden sehr unterschiedlich sind, z. B. die Motivation, die Sensibilität gegenüber Klangmerkmalen einer Sprache, Hörfertigkeiten, feinmotorische Geschicklichkeit (zur Steuerung der Sprachbewegungen), aber auch Lernerfahrungen aus einer anderen Fremdsprache. Für das Lehren von Aussprache sollten solche individuellen Fähigkeiten und Fertigkeiten eine wichtige Rolle spielen. Fremdsprachenlehrende sollten über gute fachliche Kenntnisse (Phonetik der Erst- und Zielsprache) und ein großes Methodeninventar verfügen, sie sollten motivieren und für eine ausreichende Automatisierung der neuen Sprechbewegungen sorgen.

Ist die Aussprache überhaupt so wichtig für das Verstandenwerden?

Ursula Hirschfeld: Jede mündliche Kommunikation basiert auf phonetischen Merkmalen, sie übertragen die sprachlichen Inhalte und vielfältige weitere Informationen über die sprechende Person. Sie „verraten“ z. B. Alter, Geschlecht, regionale Herkunft und emotionales Befinden – bei Fremdsprachenlernenden auch die sprachliche Herkunft und den Sprachstand. Je besser die phonetischen Merkmale der erwarteten bzw. gewohnten Sprechweise der Kommunikationspartner entsprechen, desto leichter werden sie verstanden.

Welche Schwierigkeiten ergeben sich beim Lernen von „fremden“ Lauten?

Ursula Hirschfeld: Schwierigkeiten gibt es sowohl beim Hören als auch beim Sprechen. Beim Hören werden neue Laute oft nicht erkannt und nicht von anderen unterschieden. Beim Sprechen der Fremdsprache werden unbekannte Laute durch bereits bekannte ersetzt, Laute werden weggelassen – z. B. das [h] von französischen, spanischen oder italienischen Deutschlernenden – oder es werden Laute hinzugefügt, z. B. Sprossvokale.

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Aber nicht nur die Vokale und Konsonanten können Schwierigkeiten bereiten, auch und gerade Akzentuierung, Rhythmisierung, Melodisierung und Strukturierung, d. h. die suprasegmentalen Strukturen und Merkmale, sind nicht leicht zu erfassen und werden oft nicht korrekt verwendet.

Was müssen Sprachenlernende beim Lernen der Aussprache beachten?

Ursula Hirschfeld: Sie müssen wissen, dass es beim Aussprachelernen nicht nur um den Erwerb von Kenntnissen geht, also um das Wissen über wichtige phonetische Merkmale, Regeln zu den Laut-Buchstaben-Beziehungen, zu Wortakzentpositionen usw. Auch das Hören muss trainiert werden, damit Laute, Lautfolgen und lautübergreifende suprasegmentale Merkmale unterschieden und identifiziert werden können. Und das richtige Aussprechen neuer Wörter verlangt ebenfalls ein differenziertes Training, denn die eigentlich unbewusst ablaufenden Sprechbewegungen müssen bewusst gesteuert und soweit automatisiert werden, dass sie später auch unbewusst zu einer angemessen guten Aussprache führen. Auf jeden Fall sollten Lernende wissen, dass es sich lohnt, eine gute Aussprache zu erwerben: Sie werden dann leichter verstanden und als Gesprächspartner besser akzeptiert.

Gibt es so etwas wie eine Standardaussprache?

Ursula Hirschfeld: Dazu gibt es unterschiedliche Meinungen. Wenn man davon ausgeht, dass es eine Standardsprache gibt, dann gehört auch eine Standardaussprache dazu. Deutsch als plurizentrische Sprache hat mehrere Standards, auch im Bereich der Aussprache. Standardaussprachen werden in (Aussprache-)Wörterbüchern kodifiziert, sie sind überregional verständlich und werden im Allgemeinen als Gegenstand und Ziel des Fremdsprachenunterrichts empfohlen.

Wie sind Sie persönlich zur Phonetik als Disziplin gekommen?

Ursula Hirschfeld: Ich habe Sprechwissenschaft studiert und nach meinem Studium an einem Studienkolleg gearbeitet. Die Beschäftigung mit der Aussprache war damals eher Nebensache, obwohl viele Deutschlernende gerade damit besondere Schwierigkeiten hatten. Ich habe mich bei meiner Promotion und Habilitation mit phonetischen Fragen beschäftigt und gemeinsam mit anderen Kolleginnen und Kollegen Methoden und Materialien entwickelt, die dazu beigetragen habe, dass die Phonetik in Theorie und Praxis von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache angemessen behandelt wird.

Was bietet der Band „Phonetik im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache“ und an wen richtet er sich?

Ursula Hirschfeld: Der Band wendet sich an Lehrende und Studierende von Deutsch als Fremd- und Zweitsprache in Deutschland und in aller Welt. Er behandelt in verständlicher, anschaulicher und anregender Darstellung für DaF/DaZ relevante Aspekte der Phonetik im Zusammenhang mit der Orthografie.

Erstmals werden hier die fachlichen – Phonologie und Phonetik des Deutschen, kontrastive Phonetik, Normen und Varianten der deutschen Standardaussprache(n), Orthografie – und methodisch-didaktischen Grundlagen – wie Progression, Möglichkeiten der Integration in den Unterricht, Korrektur und Bewertung von Ausspracheabweichungen, Auswahl und Analyse von Phonetikübungen – systematisch und im Zusammenhang behandelt.

Der Band wird durch praktische Übungsangebote für den Unterricht (auf der Verlagshomepage) ergänzt. Die Übungen enthalten ein umfangreiches Audiomaterial.

Zum Band
Das Buch Phonetik im Fach Deutsch als Fremd- und Zweitsprache. Unter Berücksichtigung des Verhältnisses von Orthografie und Phonetik von Ursula Hirschfeld und Kerstin Reinke erscheint Ende Oktober. Sie können das Lehrbuch bequem hier bestellen.

Zu den Personen
Ursula Hirschfeld ist Professorin für Phonetik am Seminar für Sprechwissenschaft und Phonetik an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Ihre Lehr- und Forschungsschwerpunkte sind Phonetik und Phonologie des Deutschen, kontrastive und angewandte Phonetik, Aussprachenormen und -varianten im Deutschen, Didaktik und Methodik des Aussprachetrainings in Deutsch als Fremdsprache.

Kerstin Reinke ist Apl. Professorin für Phonetik (Deutsch als Fremdsprache) am Herder-Institut an der Universität Leipzig. Ihre Lehr- und Forschungsschwerpunkte sind Phonetik und Phonologie des Deutschen, kontrastive und angewandte Phonetik, Probleme des Ausspracheerwerbs im Kontext des Spracherwerbs, Didaktik und Methodik des Aussprachetrainings, Rhetorik unter interkulturellem Aspekt.

(ESV/lp)

Programmbereich: Deutsch als Fremdsprache