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20 Jahre ArbSchG
Betrieblicher Arbeitsschutz

20 Jahre Arbeitsschutzgesetz (Teil 2)

Ralf Pieper
22.11.2016
Vor 20 Jahren ist das Arbeitsschutzgesetz in Kraft getreten. Im zweiten Teil des Beitrags werden wesentliche Kerninhalte des ArbSchG zusammengefasst und Anforderungen an die Weiterentwicklung des betrieblichen Arbeitsschutzes formuliert.
Den ersten Teil des Beitrags "20 Jahre Arbeitsschutzgesetz" lesen Sie hier.

Die Zielsetzung des ArbSchG wird durch die Grundpflichten des § 3 und die nachfolgenden Regelungen (insbesondere die in § 4 festgelegten allgemeinen Grundsätze) konkretisiert. Danach sind die Maßnahmen des Arbeitsschutzes auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen, anzupassen
und zu verbessern (vgl. § 3 Abs. 1 ArbSchG). Dies erfordert ein prozessbezogenes, systematisches Konzept zur Durchführung der Maßnahmen. Zur Realisierung eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses ist dementsprechend durch den Arbeitgeber der Stand von Technik, Arbeitsmedizin und Arbeitshygiene sowie sonstige gesicherte arbeits- und andere wissenschaftliche Erkenntnisse zu berücksichtigen (vgl. § 4 Nr. 3 ArbSchG).

Arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse und Stand der Technik umsetzen!
Besondere Bedeutung bei der Umsetzung gesicherter arbeitswissenschaftlicher Erkenntnisse sowie der Anpassung an den Stand der Technik kommt den technischen Regeln zu, die derzeit allerdings nicht die Bestimmungen des ArbSchG, sondern jene der auf dem ArbSchG basierenden Verordnungen konkretisieren. Das Erfordernis einer Kommunikation übergreifender Erkenntnisse und einer entsprechenden
Regelsetzung sowie jüngste Entwicklung zur gesetzlichen Verankerung eines Ausschusses für Mutterschutz (§ 27 MuSchG-E 2016) lassen
die Bildung eines Ausschusses für Sicherheit und Gesundheitsschutz auf der Ebene des ArbSchG als dringend notwendig erscheinen.

Im Hinblick auf die Planung und Durchführung zur Erfüllung der Grundpflichten nach § 3 Abs. 1 ArbSchG hat der Arbeitgeber gem. Abs. 2 eine
geeigneten Organisation und die erforderlichen Mittel bereitzustellen sowie die Maßnahmen unter Beteiligung der Beschäftigten in die betrieblichen Prozesse einzubeziehen (vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 und 2). Dazu kommen arbeitsschutzspezifische Organisationsverpflichtungen (Bestellung von unterstützenden und beratenden Betriebsärzten und Fachkräften für und von anderen Beauftragten, z.B. Sicherheitsbeauftragten, Regelungen zur Kooperation) gem. Arbeitssicherheitsgesetz (ASiG) bzw. § 22 SGB VII sowie Unfallverhütungsvorschriften).

Sicherheit und Gesundheitsschutz in der betrieblichen Organisation verankern!

Die allgemeinen Forderungen zur betrieblichen Organisation und Integration von Sicherheit und Gesundheitsschutz gem. § 3 Abs. 2 ArbSchG sind zwischenzeitlich in einigen Arbeitsschutzverordnungen konkretisiert worden. Zusammenfassend: Die Belange des Arbeitsschutzes hat der Arbeitgeber in seine betriebliche Organisation einzubinden und hierfür die erforderlichen personellen, finanziellen und organisatorischen Voraussetzungen zu schaffen. Dabei hat er die Vertretungen der Beschäftigten in geeigneter Form zu beteiligen. Insbesondere hat er sicherzustellen, dass

  • bei der Gestaltung der Arbeitsorganisation, des Arbeitsverfahrens und des Arbeitsplatzes sowie bei der Auswahl und Bereitstellung der Arbeitsmittel alle mit der Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten zusammenhängenden Faktoren, einschließlich der psychischen, ausreichend berücksichtigt werden,
  • die Beschäftigten oder ihre Vertretungen im Rahmen der betrieblichen Möglichkeiten beteiligt werden, wenn neue Arbeitsmittel eingeführt werden sollen, die Einfluss auf die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten haben.

Weiterhin hat der Arbeitgeber geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um

  • bei den Beschäftigten ein Sicherheitsbewusstsein zu schaffen und
  • den innerbetrieblichen Arbeitsschutz fortzuentwickeln.

Vor dem Hintergrund dieser öffentlich-rechtlichen Forderungen kann die Anwendung von Managementkonzepten für Sicherheit und Gesundheitsschutz diese geforderte Integration nachhaltig unterstützen.

Grundsätze, von denen der Arbeitgeber bei Maßnahmen des Arbeitsschutzes auszugehen hat, legt § 4 ArbSchG fest. Dies sind insbesondere die Einhaltung einer Rangfolge der Maßnahmen sowie der Vorrang von kollektiven gegenüber individuellen Maßnahmen, die Gefahrenbekämpfung an der Quelle, die Berücksichtigung von gesicherten Erkenntnissen, eine übergreifende betriebliche Präventionspolitik, die Berücksichtigung besonders schutzbedürftiger Beschäftigtengruppen sowie die Verhinderung von mittelbaren und unmittelbaren geschlechtsspezifisch wirkenden Regelungen.

Sicherheit und Gesundheitsschutz in der betrieblichen Organisation verankern!

Die Grundsätzen des § 4 ArbSchG beinhalten ein verpflichtendes Programm zur ganzheitlichen Umsetzung der Grundpflichten des Arbeitgebers gem. § 3 ArbSchG und damit der Maßnahmen des Arbeitsschutzes i.S. von § 2 Abs. 1 auf der Basis der Beurteilung der
Arbeitsbedingungen gem. § 5 ArbSchG. Im Sinne des gem. § 4 Nr. 4 geforderten ganzheitlichen betrieblichen Präventionsansatzes
zur Gewährleistung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei der Arbeit sind bei der Planung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes alle Aspekte der sicheren und gesundheitsgerechten Gestaltung von Tätigkeiten bzw. Arbeitssystemen einzubeziehen. Damit wird eine sachgerechte Verknüpfung von

▶ Technik,
▶ Arbeitsorganisation,
▶ sozialen Beziehungen und
▶ Einfluss der Umwelt auf den Arbeitsplatz

zur Realisierung einer umfassenden betrieblichen Präventionspolitik gewährleistet. § 4 Nr. 4 legt somit fest, dass Maßnahmen nicht nur isoliert auf die Gegebenheiten des einzelnen Arbeitsplatzes auszurichten sind, sondern auch auf das Arbeitssystem insgesamt, mit dem die Bedingungen an einem einzelnen Arbeitsplatz in einer Wechselbeziehung stehen.


Die Beurteilung der Arbeitsbedingungen gem. § 5 ArbSchG ist die systematische Voraussetzung für eine im Hinblick auf die Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz effektive und effiziente Erfüllung der Grundpflichten gem. § 3 sowie die Planung und Durchführung der Maßnahmen des Arbeitsschutzes nach den Grundsätzen in § 4. Im Rahmen dieser Beurteilung, die bei gleichartigen Arbeitsbedingungen standardisiert werden kann, sind alle tätigkeitsbezogenen Gefährdungen für die Sicherheit und die Gesundheit der Beschäftigten zu ermitteln, um die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes festzulegen. Dies bezieht sich ggfls. auch auf Maßnahmen der betrieblichen Gesundheitsförderung. Zu ermitteln sind weiterhin bestehende Formen mittelbarer und unmittelbarer Diskriminierung auf der Grundlage des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG), das in § 12 den Arbeitgeber dazu verpflichtet, die erforderlichen, auch präventiven Maßnahmen zum Schutz vor Diskriminierungen zu treffen.

Die allgemeine, übergreifende Beurteilung und ihre Dokumentation nach §§ 5, 6 ArbSchG wird durch spezielle Gefährdungsbeurteilungen in sonstigen Rechtsvorschriften, insbesondere den Arbeitsschutzverordnungen nach §§ 18, 19 ArbSchG konkretisiert, z. B. in Bezug auf die Einrichtung und den Betrieb von Arbeitsstätten, die Verwendung von Arbeitsmitteln sowie physische und psychische Belastungen, physikalische, chemische und biologische Einwirkungen (vgl. z. B. § 3 BildscharbV, § 2 LasthandhabV, § 3 BetrSichV 2015, § 3 ArbStättV 2010, §
3 LärmVibrations-ArbSchV, § 6 GefStoffV 2015 usw.). Diese besonderen Beurteilungen sind unter Beachtung von Wechsel- oder Kombinationswirkungen von Gefährdungen arbeitssystem- bzw. tätigkeitsbezogen in der allgemeinen Beurteilung nach § 5 ArbSchG zusammen zu führen.

Die Beurteilung ist gem. § 6 ArbSchG zu dokumentieren, was die Dokumentation der Festlegung und Durchführung von Maßnahmen des Arbeitsschutzes, ihre Wirksamkeitsüberprüfung und ggfls. Anpassung beinhaltet.

Ganzheitliche Beurteilung der Arbeitsbedingungen durchführen!

Die Umsetzung der Verpflichtung zur Beurteilung der Arbeitsbedingungen bedarf einer adäquaten, konzeptionellen und methodischen Grundlage. Diese muss Betriebe bei der menschengerechten Arbeitsgestaltung, dem betrieblichen Gesundheitsmanagement, dem betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) sowie der Simulation zukünftiger Arbeitssysteme unterstützen. Ein zielgerichteter Einsatz einer derartigen Methodik ist entsprechend des konkreten, betriebsbezogenen Bedarfs und in Verbindung mit den dazu notwendigen, begleitenden Maßnahmen zur Beratung, Qualifizierung und Einführung sowie Aufrechterhaltung zu planen und umzusetzen.


Der Arbeitgeber muss gem. § 7 ArbSchG bei der Übertragung von Aufgaben auf Beschäftigte je nach Art der Tätigkeiten berücksichtigen, ob diese
befähigt sind, die für die Sicherheit und den Gesundheitsschutz bei der Aufgabenerfüllung zu beachtenden Bestimmungen und Maßnahmen einzuhalten. Die Berücksichtigung der Befähigung ist in erster Linie eine Voraussetzung dafür, dass die Beschäftigten ihren Pflichten nach §§
15, 16 ArbSchG nachkommen können. Die Prüfung der Befähigung im Rahmen von § 7 ArbSchG ist somit kein allgemeines Instrument der Personalplanung und -auswahl im Rahmen der Betriebsorganisation, sondern ist als Maßnahme des Arbeitsschutzes i. S. von § 2 Abs. 1 in diese einzubeziehen. § 7 Abs. 2 Satz 2 DGUV Vorschrift 1 fordert in diese Zusammenhang die systematische Einbeziehung der für bestimmte Tätigkeiten von Beschäftigten festgelegten Qualifizierungsanforderungen. Bestandteil dieser Qualifizierungsanforderungen sind alle Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen, die die Versicherten in die Lage versetzen, sich entsprechend dem Schutzkonzept für ihren Arbeitsplatz und ihre Arbeitsaufgabe unter den vorhersehbaren Bedingungen zu verhalten. Hierzu gehört insbesondere die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Unterweisung gem. § 12 ArbSchG.

Menschengerechte Gestaltung der Arbeit erfordert systematische Qualifizierung!

Die in einer unüberschaubaren Vielzahl zur Verfügung stehenden Handlungshilfen zur Durchführung von Maßnahmen des betrieblichen Arbeitsschutzes sind als solche kein Lösungsweg für eine menschengerechte Gestaltung der Arbeit. Vielmehr bedarf es hierzu einer konzeptionellen Zusammenführung mehrerer Faktoren (Organisation, Kooperation, Mitbestimmung, Nachhaltigkeit, Verhandlungen). Auf der betrieblichen Ebene setzt dies insbesondere eine systematische Qualifizierung mit angemessenen Ressourcen (finanzielle und sachliche Mittel, Methodik, DozentInnenqualifizierung, Lernerfolgskontrollen ...) voraus.


Fazit

Vor 20 Jahren wurde mit dem Arbeitsschutzgesetz eine wesentliche Grundlage für die Verbesserung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei der Arbeit geschaffen. Das dort verankerte, heute längst noch nicht eingelöste Programm einer menschengerechten Gestaltung der Arbeit, muss heute unter veränderten gesellschaftlichen Rahmenbedingungen realisiert werden. Hierzu gehört auch die nicht wirklich neue Erkenntnis, dass die menschengerechte Gestaltung der Arbeit in einem permanenten Spannungsverhältnis zur konkurrenzgetriebenen,
betriebswirtschaftlichen Rationalität steht. Was zugleich die Herausforderungen beschreibt, vor denen die betrieblichen und überbetrieblichen AkteurInnen stehen. Es gilt die vorhandenen Spielräume zu nutzen und auszubauen.

Der Autor
Prof. Dr. Ralf Pieper lehrt an der Bergischen Universität Wuppertal im Fachgebiet Sicherheitstechnik / Sicherheits- und Qualitätsrecht. Er ist
wissenschaftlicher Beirat der „Betriebliche Prävention“ und Schriftleiter der Fachzeitschrift „sicher ist sicher“.


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Im Recht gibt es viele spezielle Sicherheitsvorschriften. Immer gilt aber auch die Verkehrssicherungspflicht – nämlich in jeder Situation alles (technisch) Mögliche und (wirtschaftlich) Zumutbare zu tun, um andere nicht zu schädigen. Wie weit diese Sicherheitspflicht geht, hängt von den – zuweilen nicht leicht erkennbaren – tatsächlichen Umständen des Einzelfalles und von – zuweilen schwierigen – Wertungen ab. Das ist der Hintergrund dafür, dass Fragen zum Umfang der Verantwortung im Vorhinein nicht abschließend und eindeutig beantwortet werden können. Erst wenn es um die Haftung in einem konkreten Fall geht, wird die Frage der Verantwortung – in diesem einen Fall – beantwortet.
Das Arbeitsschutzrecht verlangt kein Nullrisiko, sondern dass Gefährdungen nach dem Stand der Technik und unter verantwortungsvoller Abwägung der Sicherheitsinteressen und – vorsichtiger – Berücksichtigung der Wirtschaftlichkeit so gering wie möglich sind. Es geht also nicht um die Gewährleistung absoluter, sondern ausreichender Sicherheit. Was ausreicht, ist eine schwierige Wertungsfrage und verantwortungsvolle Entscheidung.

Empfehlung:
Der erste Schritt zum – unvermeidlichen – Umgang mit der Unsicherheit, wieviel Sicherheit von einem Mitarbeiter oder einer Führungskraft in einer bestimmten Situation erwartet wird, ist das Verständnis und die Akzeptanz, dass der Gesetzgeber dies für ihn nicht in jedem Fall eindeutig festlegen kann: das muss man schon selbst tun. Je weniger Gewissheit es gibt, desto wichtiger wird die Person und ihre Entscheidung.

Programmbereich: Arbeitsschutz