A Modern Guide to the Economics of Crime
Die Frage, wie sich der optimale Einsatz der Polizei ermitteln lässt, wird in dem Beitrag von Masera dargestellt. Er gibt einen Überblick über die empirische und theoretische Literatur, die sich dieser Frage widmet. Von der theoretischen Sichtweise, dass die Polizei zum einen Kriminalität vermeidet und damit einen auch finanziell messbaren Nutzen hat, und zum anderen aber durch den Einsatz von Ressourcen auch kostet, bis hin zu empirischen Überlegungen zum konkreten Einsatz von Polizei in bestimmten Situationen reicht die Spanne dieses Beitrags. Der australische Autor übersieht leider den sogenannten Gorleben-Effekt, der in Deutschland entdeckt wurde. In dem niedersächsischen Dorf war aufgrund der Auseinandersetzungen um das geplante Atommüllendlager sehr viel mehr Polizei als üblich angesiedelt. Dies führte – entgegen der theoretischen Annahme – zu einer erheblichen Ausdehnung der polizeilich erfassten Kriminalität. Die Erklärung, dass sich Polizisten eben auch außerhalb der immer wieder stattfindenden Anti-Atom-Demonstrationen beschäftigen müssen, liegt auf der Hand. Dieses störende Element bei der Betrachtung von Polizei und Kriminalität wäre für die Diskussion interessant gewesen. Interessant ist die Erkenntnis, dass sich die Verteilung der Polizeipräsenz in den USA nicht geändert hat, obwohl sich das Vorkommen von Gewaltkriminalität deutlich verändert hat. Die Polizeistärke richtet sich noch immer an den Kriminalitäts-Hotspots der 1970er-Jahre des vergangenen Jahrhunderts aus.
Die ökonomische Theorie der Kriminalität postuliert, dass Abschreckung, zum Beispiel durch harte Strafen, zu weniger Kriminalität führt. Diese These lässt sich nach Reformen des Strafvollzugs in Kalifornien nicht bestätigen. Dort haben Gesetzesänderungen zu deutlich reduzierten Gefängnisbelegungen geführt. Der Theorie folgend hätte dies zu einem Ansteigen der Gewaltkriminalität führen müssen, was sich aber empirisch nicht feststellen lässt.
Ein weiteres viel diskutiertes Feld in der Kriminologie ist, dass Frauen – trotz eines allgemeinen Rückgangs der Kriminalität – heute häufiger kriminell werden als früher. Dies ist für viele entwickelte Staaten auf der Welt gut untersucht. Um diesen Effekt zu erklären, gibt es diverse Hypothesen. Zum einen werden die niedrigeren Einkommen von Frauen angeführt, die die Opportunitätskosten der Kriminalität senken. Zweites Argument ist, dass Frauen weniger häufig zu Freiheitsstrafen verurteilt werden und daher die Abschreckung geringer wirkt. Zum dritten wird ein Nachholeffekt ins Feld geführt: Die gesellschaftlichen Chancen und Positionen von Frauen werden ähnlicher zu denen von Männern. Daher holen Frauen auch bei der Kriminalität auf. Gavrilova kommt in ihrem Übersichtsartikel zu dem Schluss, dass es noch erheblichen Forschungsbedarf gibt, um Frauen und kriminelle Handlungen zu untersuchen. Die Frage, woran die aktuelle Entwicklung liegt, ist noch nicht beantwortet worden.
Ein weiterer Beitrag untersucht mit Mitteln der Industrieökonomie das Entstehen von Gewalt unter Organisationen im Drogenhandel. Organisierte Kriminalität tendiert dazu, oligopolistisch zu sein, in der Art, dass mehrere aber nur wenige Organisationen in der gleichen Region miteinander konkurrieren. Es gibt – wie in der legalen Wirtschaft – Anreize zur Zusammenarbeit (die auch für legale Unternehmen verboten ist). Es gibt auch den Anreiz für wirtschaftliche Auseinandersetzungen, beispielsweise über den Preis. Organisierte Kriminalität unterscheidet sich lediglich in den Mitteln dieser wirtschaftlichen Auseinandersetzung von legalen Unternehmungen. Zumeist entsteht Gewalt mit vielen unschuldigen Opfern. Von daher lohnt sich die Übertragung der ökonomischen Analyse auch auf die kriminellen Organisationen, um diese unerwünschten Auseinandersetzungen zu verhindern.
Insgesamt ein Buch mit vielen interessanten Einsichten in die moderne weltweite Forschung zur ökonomischen Theorie der Politik. Es bleibt zu wünschen, dass viele der Anregungen zu weiteren Forschungen, die sich in dem Buch finden, auch tatsächlich von Forschenden aufgenommen werden. Spätestens dann wird eine Neuauflage mit diesen neuen Einsichten notwendig.
Prof. Dr. Stefan Behringer, Hochschule Luzern
Quelle: ZRFC Risk, Fraud & Compliance Ausgabe 2/2023
Programmbereich: Management und Wirtschaft