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Wie verändert die Digitalisierung den Arbeitsschutz? (Foto: Geza Farkas - Fotolia)
Prävention 4.0

Arbeitsschutz im Zeitalter des digitalen Transfer

Karin Zittlau
12.09.2016
Der Einzug des Internets der Dinge in die betriebliche Realität bringt Belastungen und Möglichkeiten mit sich, die untersucht und beurteilt werden müssen. Das Projekt Prävention 4.0 widmet sich diesem Thema mit dem Ziel, veränderte Anforderungen an den Arbeits- und Gesundheitsschutz im Betrieb zu ermitteln.
Der Roboter spricht mit seinem menschlichen Kollegen „Bitte gehen Sie zur Seite“. Die Beschäftigte trägt bei ihrer Arbeit in der Produktion eine Datenbrille, die ihr mitteilt, welche Schritte als nächstes nötig sind. Ein technischer Assistent gibt dem Mitarbeiter im Labor Tipps, wie er ergonomisch arbeiten kann. Ein Montagearbeitsplatz stellt seine Ergonomie auf den Beschäftigten ein, der diesen gerade betritt.

Das sind Arbeitsplätze der Zukunft. Die Industrie 4.0 bietet viele Möglichkeiten, Produktion und Dienstleistung zu verbessern. Schwerpunkt ist dabei die Intelligenz der Dinge. Produktionssysteme steuern sich selbst. Die Rohlinge teilen den Maschinen mit, wie sie mit ihnen verfahren sollen. Menschen arbeiten mit Robotern zusammen. Die Welt vernetzt sich immer weiter. Die globale Zusammenarbeit erfordert veränderte Arbeitszeiten und Arbeitsorte. Der klassische Betrieb verliert an Bedeutung.

Der Einzug des Internets der Dinge in die betriebliche Realität bringt Belastungen und Möglichkeiten mit sich, die untersucht und beurteilt werden müssen. Das Projekt Prävention 4.0 (siehe Kasten unten) widmet sich diesem Thema mit dem Ziel, u.a. veränderte Anforderungen an den Arbeits- und Gesundheitsschutz im Betrieb zu ermitteln.

Neue Arbeitsbedingungen – Technologie und Organisation

Der Einzug der Industrie 4.0 ist mit vielen Begriffen verbunden. Allgemein wird vom Internet der Dinge gesprochen, von cyber-physischen Systemen, von der smart factory und von Arbeiten 4.0. Wir sprechen von der Arbeitswelt der Zukunft, die branchenbezogen schon heute begonnen hat. Virtuelle und reale Prozesse verschmelzen miteinander. Die Arbeitswelt wird hochautomatisiert und vernetzt und erfüllt Kundenwünsche in Echtzeit.

RFID-Technik, intelligente Sensoren, Datenbrille und mobile Assistenzsysteme halten Einzug in Produktion und Dienstleistungen, in Logistik, das Handwerk und in die Büros. Maschinen, Roboter, Menschen und Prozesse werden per Internet gesteuert, innerbetrieblich und global. Der Beschäftigte hat von seinem Smartphone aus Zugriff auf den Produktionsprozess und nimmt eine überwachende Funktion ein. Die Maschinen steuern sich selbst. Die Sensortechnik in den zu bearbeitenden Werkstoffen teilen der Maschine mit, was zu tun ist.

Roboter werden zunehmend mit den Beschäftigten agieren. Bisher war eine klare Abgrenzung des Roboters vorgesehen. Zukünftig wird eine Mensch-Roboter-Kollaboration angestrebt, die die Sicherheit des Beschäftigten gewährleisten muss.

Ambient Intelligence ist die Erweiterung der Lebens- und Arbeitsumgebung mit sogenannten intelligenten Funktionen, so dass Wohlbefinden, Gesundheit und Leistungsfähigkeit des Menschen unterstützt und gefördert werden. Sie ist definiert als die selbstständige Reaktion eines Systems auf Parameter des Menschen durch i.d.R. Sensortechnik. Beispielsweise kann dies die Umgebungstemperatur oder die Herzfrequenz des Beschäftigten sein. Hierzu zählt die intelligente Schutzkleidung. Die sogenannten Wearables kommunizieren mit ihrem Träger und ihrer Umwelt, sie überwachen Daten, warnen vor Gefahren und erkennen den Standort des Trägers.

Datenbrillen ermöglichen die computergestützte Erweiterung der Realitätswahrnehmung. Über den visuellen Weg werden die für die Tätigkeit von Beschäftigten erforderlichen zusätzlichen Informationen auf einer Datenbrille eingeblendet.

Weithin bekannt ist der Einsatz autonom fahrender Transport und Verkehrsmittel. Diese steuern sich selbsttätig ohne das Zutun des Fahrers. Insbesondere im Bereich von Landwirtschaft, Logistik und Bau haben autonome Fahrzeuge eine besondere Bedeutung. Die ausschließliche Nutzung  auf dem Betriebsgelände ermöglicht einen einfacheren Einsatz. Selbstfahrende Fahrzeuge im Straßenverkehr unterliegen einer verschärften Diskussion aufgrund der Gefährdung anderer Verkehrsteilnehmer. Über Unfälle mit autonomen Fahrzeugen wurde in der Presse schon berichtet.

Zunehmend diskutiert wird unter dem Stichwort Internet der Dinge die räumliche und zeitliche Flexibilisierung der Arbeit. Diese Thematik ist nicht neu, erweitert sich aber zusehends durch eine zunehmende Globalisierung, eine weitere Vernetzung und der Möglichkeit digitale Technik  von jedem Ort der Welt aus zu nutzen. Beschäftigte werden weniger von nur einer Arbeitsstätte aus arbeiten und weniger zu festen Zeiten verfügbar sein.

Neue und veränderte Gefährdungen in der Industrie 4.0

Die neuen technischen und organisatorischen Arbeitsbedingungen bringen neue oder veränderte Gefährdungen mit sich. Schwerpunkt der technischen Sicherheit ist die Zusammenarbeit von Mensch und Maschine im Betrieb, auch beschrieben durch die sogenannte Mensch-Roboter-Kollaboration. Intelligente Roboter arbeiten und entscheiden selbstständig im Arbeitsprozess. Bisher waren Mensch und Roboter voneinander getrennt. Zukünftig werden sie zusammenarbeiten und als Arbeitspartner fungieren. Die Gestaltung der Mensch-Roboter-Schnittstelle muss nach den Anforderungen und Fähigkeiten des Menschen erfolgen.Der Roboter muss auf die Handlungen des Menschen reagieren können. Die Forschung in diesem Kontext konzentriert sich daher auf zwei wesentliche Schutzprinzipien:

  • Die Geschwindigkeits- und Abstandsüberwachung, um den Kontakt zwischen Mitarbeiter und Roboter zu verhindern.
  • Die Leistungs- und Kraftbegrenzung, um die Kontaktkräfte zwischen Mitarbeiter und Roboter technisch auf ein ungefährliches Maß zu begrenzen.

Relevant ist in diesem Zusammenhang auch die Sicherheit im Prozess. Fertigungssysteme werden komplexer, da sie übergreifend vernetzt werden können. Die gesundheitliche Wirkung durch das Arbeitssystem als Ganzes muss betrachtet werden. Dazu gehört eine ganzheitliche Aufstellung der Gefährdungsbeurteilung. Betrachtet werden dann alle relevanten Gefährdungsfaktoren und deren Wechselwirkungen. Die Prävention muss schon in der Entwicklung von Anlagen und Arbeitsplätzen berücksichtigt werden.

Die Tätigkeiten der Beschäftigten werden zunehmend überwachend sein. Wenn Maschinen und Anlagen autonom agieren, ist ein Eingreifen in den laufenden Prozess oder die Einstellung neuer Arbeitsschritte nicht erforderlich. Vielmehr müssen Störungen wahrgenommen und an diesen gearbeitet werden, wenn die Anlagen sich nicht selbst helfen können. Besondere Anforderungen an die Fertigkeiten und Fähigkeiten des Beschäftigten werden gestellt, weil die Komplexität von Produktionssystemen zunimmt. Diesen muss im Rahmen von Qualifizierungen Rechnung getragen werden.

Möglichkeiten der Nutzung von Industrie 4.0 für den Arbeitsschutz

Die Industrie 4.0 ermöglicht aber auch neue Ansätze für die Ergonomie und den Schutz der Beschäftigten am Arbeitsplatz.

Adaptive Assistenzsysteme ermöglichen die Unterstützung von Beschäftigten. Diese kann konkrete körperliche Einschränkungen betreffen, eine ergonomische Hilfe sein oder hilfreiche Informationen über überwachende hinweisgebende Funktionen oder Datenbrillen liefern. Möglich ist ebenso die Unterstützung bei geistigen Einschränkungen, indem beispielsweise Arbeitsschritte dezidiert vorgegeben werden.

Exoskelette oder Fähigkeitsverstärker sind eine physische Assistenz, um Beschäftigte zu entlasten (z.B beim Tragen schwerer Lasten)oder um körperliche Einschränkungen auszugleichen. Ziele sind

  • die Erhöhung der Belastbarkeit von Produktionsarbeitern,
  • die Prävention von Arbeitsunfällen und Erkrankungen des Bewegungsapparates sowie 
  • eine Produktivitätssteigerung im Betrieb.

Einzelne Arbeitsplätze, z.B. in der Montage, stellen sich auf den einzelnen Beschäftigten ein, etwa durch Beleuchtung, Höhe des Arbeitstisches, Schriftgröße und Sprache auf dem Monitor, Informationstiefe entsprechend des Einarbeitungs- und Erfahrungsgrades. Dies ist möglich durch tragbare Bluetooth-Tags, die die Profile der einzelnen Beschäftigten enthalten.

Assistenzsysteme können die Aktionen der Beschäftigten erkennen und sie auf Probleme und Verbesserungspotenziale hinweisen. Möglich sind beispielsweise

  • fachliche und kognitive Fähigkeiten des Beschäftigten erkennen und individuell berücksichtigen.
  • Stresszustände des Beschäftigten erfassen und berücksichtigen.
  • Nicht-ergonomische Haltungen erkennen und Verbesserungen vorschlagen.

Mobile Endgeräte und Datenbrillen ermöglichen die Bereitstellung von Daten zum Arbeitsplatz in Echtzeit oder von Informationen zur Sicherheit am Arbeitsplatz.

Persönliche Schutzausrüstung (PSA) kann intelligent gestaltet werden. Diese schützt unabhängig vom Verhalten des Beschäftigten. Sensortechnik ermöglicht die Überwachung von Körperfunktionen oder Umgebungsbedingungen, so dass die PSA in der Lage ist, kritische Situation z.B. an eine Einsatzleitung zu melden oder Maschinen selbsttätig abzustellen. Anwendungsfälle sind hierzu aus dem Bereich der Feuerwehrschutzkleidung und dem Forst bekannt.

Reichweite des Arbeitsschutzes

Durch die zunehmende Vernetzung und Globalisierung nehmen die zeitliche und örtliche Flexibilität des Arbeitens zu. Neu ist das nicht, nur das Ausmaß und die Möglichkeiten können sich erhöhen. Beispielsweise können Beschäftigte der Produktion Anlagen über ihr Smartphone steuern und haben daher neben den am Computer Tätigen die Möglichkeit, außerhalb des Betriebs zu arbeiten. Die zeitliche und örtliche Flexibilität fördert zwar den Handlungsspielraum und die Eigenverantwortung und trägt zur sogenannten Work-Life-Balance bei, jedoch führt sie auch zu einer ständigen Erreichbarkeit, der Vernachlässigung von Erholungszeiten und der Überschreitung von eigenen Leistungsgrenzen. Die sogenannte Entgrenzung nimmt zu. Die zunehmende Beschäftigung von Crowdworkern und Freelancern durch Unternehmen verstärkt diese Effekte und eröffnet die Frage nach der Verantwortung für gesundheitsförderliche Arbeitsbedingungen bei solchen „Beschäftigten“.

Zudem ist zu beachten, dass das hohe Niveau des deutschen bzw. europäischen Arbeits- und Gesundheitsschutzes auch global berücksichtigt wird, wenn eine Kontinente übergreifende Zusammenarbeit stattfindet.

Ambivalenz

Im Zusammenhang mit dem Internet der Dinge wird die Tatsache einer möglichen Überwachung der Nachvollziehbarkeit von Verhalten von Beschäftigten als kritisch angesehen. Dort, wo sich Montagearbeitsplätze individuell auf den Nutzer einstellen und intelligente Wearables Körperfunktionen aufzeichnen, können auch Daten über die Leistungsfähigkeit, den Aufenthalt und vergleichende Informationen erhalten werden. Daher ist eine klare Vereinbarung über die Sammlung, Speicherung und Verwendung von personenbezogenen Daten erforderlich, die gesetzlich gestützt ist.

Gefährdungen und Belastungen bei der Arbeit zeigen sich häufig erst im langjährigen Tätigkeitsverlauf (z.B. chronische Erkrankungen). Da das Ziel die Gesundheit der Beschäftigten ist, sind Untersuchungen zur Wirkung neuer Systeme und Arbeitsmittel auf die körperliche und psychische Gesundheit der Beschäftigten erforderlich. Für die Datenbrille hat die Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA) Forschungsberichte herausgegeben. Diese stehen exemplarisch für die Forderungen nach Untersuchungen.

Die betriebsübergreifende bis hin zur globalen Vernetzung erfordert zudem eine ganzheitliche Sicht auf die Datensicherheit. Sabotage, Spionage oder Angriffe auf Daten müssen vermieden werden. Daher muss eine bisher oft betriebsintern realisierte Datensicherheit erweitert werden.

Nachholende Digitalisierung – von 3.0 zu 4.0

Der digitale Transfer ist ein kontinuierlicher und laufender Prozess. Heute befassen sich große und mittlere Unternehmen mit der Industrie 4.0 und der smart factory, in erster Linie, um die eigene Produktivität und Innovationskraft im Wettbewerb am globalen Markt zu behaupten. Kleine und mittlere Unternehmen sind davon weitestgehend noch nicht betroffen. Vielfach wird in den Betrieben gerade an der Einführung von 3.0 gearbeitet, an dem Einsatz moderner Computertechnik, an der Beschaffung programmierbarer Werkzeugmaschinen, an der Bereitstellung von Informationen via Tablet und Smartphone und an der Option, Arbeitstätigkeiten auch von zu Hause aus durchführen zu können. Bei der Beurteilung von Gefährdungen und Belastungen und der Festlegung von Maßnahmen ist dieser Prozess zu berücksichtigen. Und es muss der Frage nachgegangen werden, wie diese verschiedenen Updates ergonomisch verknüpft werden können.

Das Projekt Prävention 4.0
Das Projekt Prävention 4.0 geht der Frage nach, wie die neue, digitale Arbeitswelt 4.0 zu gestalten ist; sowohl im Hinblick auf die Produktivität als auch für die Sicherheit und Gesundheit der Beschäftigten. Das auf drei Jahre angelegte Projekt ist ein Verbundprojekt, das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördert wird.

Ziel ist die Entwicklung konkreter Handlungsempfehlungen und Leitlinien für die Umsetzung im betrieblichen Alltag, damit die Akteure in den Betrieben die Potenziale der betrieblichen Prävention in der digitalisierten Arbeitswelt wirkungsvoll nutzen können. Der VDSI – Verband für Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz bei der Arbeit übernimmt innerhalb des Projektes das Teilvorhaben ‚Arbeitsschutz in der Arbeitswelt 4.0‘. Schwerpunkte sind die technische Sicherheit von Maschinen und Anlagen, die prozessübergreifende Sicherheit sowie Unterstützungstechnologien für Beschäftigte.

Als Verbundpartner sind an dem Projekt beteiligt:

- BC GmbH Forschungs-und Beratungsgesellschaft, Wiesbaden
- Institut für angewandte Arbeitswissenschaft e. V. – ifaaDüsseldorf
- Institut für Betriebliche Gesundheitsförderung – BGF GmbH, Köln
- Institut für Mittelstandsforschung –IfM Bonn
- Institut für Technik der Betriebsführung im Deutschen Handwerksinstitut e. V. – itb Karlsruhe 
- Sozialforschungsstelle Dortmund, ZWE der TU Dortmund – sfs
- VDSI – Verband für Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz bei der Arbeit e. V.
- Forum Soziale Technikgestaltung–FST

 

Literatur
Bauer, W. (2015): Forschungsperspektivenzur Arbeitsgestaltung in der digitalisierten Welt.Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation IAO, Stuttgart, Vortrag 28.05.2015 zur BMBF-Fachtagung „Arbeit in der digitalisierten Welt“.
Bauernhansl et al. (Hrsg.) (2015): Industrie 4.0 in Produktion, Automatisierung und Logistik. Springer Fachmedien.
Botthoff, A. (2015): Zukunft der Arbeit in Industrie 4.0. Springer Vieweg.
Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2015): Grünbuch. Arbeiten 4.0.
Bundesministerium für Wirtschaft und Energie (2016): Arbeiten in der digitalen Welt.
Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (2016): Neue Formen der Arbeit, neue Formen der Prävention.
 

Die Autorin
Katrin Zittlau ist Fachbereichsleiterin Demografie und Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Projekt Prävention 4.0 im VDSI – Verband für Sicherheit, Gesundheit und Umweltschutz bei der Arbeit. Außerdem ist sie selbständig tätige Sicherheitsingenieurin und Arbeitspsychologin.

Programmbereich: Arbeitsschutz