Exler: „Digitalisierung ist ein wunder Punkt”
Der Rat der EU hat Anfang Juni die Richtlinie zum präventiven Restrukturierungsrahmen beschlossen. Damit gibt es nun vereinheitlichte Regelungen, insbesondere im Bereich der Krisenfrüherkennung. Was wird sich durch die EU-Regelung verändern?
Markus W. Exler: Mit der Einführung des ESUG „Gesetz zur weiteren Erleichterung der Sanierung von Unternehmen”, mit Inkrafttreten am 1. März 2012, hat der Gesetzgeber bereits versucht, die Antragstellung zur Insolvenz in einem früheren Stadium stattfinden zu lassen. Die jetzt gelaufene Evaluierung hat bestätigt, dass die Eigenverwaltung, gem. § 270a InsO gute Lösungen für die Unternehmen hervorgebracht hat. Das hat auch ein Stück weit damit zu tun, dass die gesamte Restrukturierungs- und Sanierungsberatung über die letzten Jahre stark an Professionalität zugelegt hat, und wir neben dem Primat der Gläubigerbefriedigung gemäß § 1 InsO auch die gesamte Unternehmensstruktur, inklusive den Mitarbeitern im Betrachtungsfokus haben.
Das Unternehmen im Kern am Leben halten
Es geht schon lange nicht mehr nur um das Liquidieren im Insolvenzverfahren, sondern um eine sachgerechte Sanierung, um das Unternehmen im Kern am Leben zu erhalten. Das beinhaltet dann auch einen Verkauf, falls ein Investor das bessere unternehmerische Konzept vorlegen kann. Mit dem Präventiven Restrukturierungsrahmen soll sich die Sanierung auf einzelne Gläubigergruppen beschränken können. Arbeitnehmer- und Lieferantenrechte bleiben nach gegenwärtigem Stand der Diskussion davon unberührt. Auch ist noch nicht entschieden, wie stark der gerichtliche Einfluss sein soll. Interessant aber ist, dass der so genannte Restrukturierungsbeauftragte aus dem Lager der Insolvenzverwalter oder der Restrukturierungsberater kommen kann. Die einzelnen Verbände und Interessenvertreter laufen sich bereits seit geraumer Zeit beim Justizministerium warm, um ihre Interessen zu positionieren. Da der Bereich Krisenfrüherkennung im Richtlinienentwurf verankert ist, wird er allen Beteiligten, insbesondere in den KMUs noch stärker ins Bewusstsein rücken. Auch wir vom BDU-Fachverband Sanierungs- und Insolvenzberatung werden uns in Kürze diesbezüglich öffentlich äußern.| Die Herausgeber |
| Prof. Dr. Markus W. Exler ist FH-Professor und Leiter des Instituts für Grenzüberschreitende Restrukturierung der Fachhochschule Kufstein Tirol sowie Gastprofessor zum Themenbereich M&A und Restrukturierung in Indien und Dubai. Er ist Partner der Quest Consulting AG, Rosenheim sowie wissenschaftlicher Beirat im BDU-Fachverband Sanierungs- und Insolvenzberatung. Prof. Dr. Dr. Mario Situm ist FH-Professor und Studiengangsleiter an der Fachhochschule Kufstein Tirol. Seine Forschungsthemen konzentrieren sich auf Familienunternehmen, die Früherkennung von Unternehmenskrisen und Risikomanagement. |
Wie hat sich Krisenmanagement bzw. Restrukturierung in den letzten 10, 15 Jahren verändert?
Mario Situm: Bei mittelständischen Unternehmen sind die finanzierenden Kreditinstitute die externen Treiber für Restrukturierungsprozesse. Beim Aufkommen von Ungereimtheiten werden Kredite nur prolongiert, wenn das Unternehmen eine Sanierungsfähigkeit nachweisen kann. In aller Regel werden bankseitig dann einzelne Restrukturierungsberater empfohlen, die ein Sanierungsgutachten erstellen. Das muss nicht immer der für die Zunft der Wirtschaftsprüfer relevante IDW S 6 sein. Genüge getan wird häufig mit dem Herausarbeiten von Krisenursachen, dem Feststellen des Krisenstadiums, dem Aufstellen einer integrierten Planung mit Vermögens-, Kapital und Cash-Transparenz und einem Maßnahmenkatalog, der das Beseitigen der Krise beschreibt, was auch das Hinterfragen des Geschäftsmodells sowie die Digitalisierungsstrategie bzw. die Darstellung des digitalen Reifegrades des Unternehmens beinhalten sollte.
Inwiefern betrifft die digitale Transformation das Krisenmanagement? Was sind die Herausforderungen von Digitalisierung und Industrie 4.0?
Markus W. Exler: Das ist in der Tat ein wunder Punkt. Als Berater stellen wir fest, dass die Mehrheit der Unternehmen in Deutschland sich in einer Art digitalem Dornröschenschlaf befinden. Die Zahlen sind erschreckend. Gemäß verschiedenen Studien, wie bspw. VDMA, PwC oder Roland Berger sind etwa 70 Prozent der für die Studien befragten mittelständischen Unternehmen noch nicht oder nur rudimentär mit Digitalisierung oder Industrie 4.0 vertraut. Auch wir können diese Größenordnung am Institut in Kufstein in verschiedenen Forschungsarbeiten nachweisen. Wenn wir dann weiter nachfragen, bekommen wir häufig die Antwort, dass die Unternehmen nur ein begrenztes finanzielles Budget dafür bereithalten können und man häufig nicht wisse, in welche Technologie oder in welche Tools konkret investiert werden solle.
Mindestens 5 Prozent des Jahresumsatzes für Digitalisierung
Eine 2016 von PwC durchgeführte Studie geht davon aus, dass Unternehmen, um wettbewerbsfähig zu bleiben, jährlich mindestens 5 Prozent ihres Jahresumsatzes für die Umsetzung von Digitalisierungsmaßnahmen ausgeben müssten. Unsere Erfahrungen in der Restrukturierungsberatung skizzieren ein Ausgabeverhalten, welche davon noch sehr weit weg ist.Und zu guter Letzt: Was ist für Sie ein erfolgreiches Krisenmanagement, wann atmen Sie als Experten und Berater auf?
Markus W. Exler: Ein erfolgreiches Krisenmanagement ist dann erreicht, wenn der Kommunikationsfluss zwischen Geschäftsleitung und Mitarbeitern wieder sachgerecht stattfindet, wenn im Unternehmen ein Bewusstsein für notwendige Veränderungen eingetreten ist, wir als Berater oder Interim Manager wieder vom Hof gehen können und unser Honorar am langen Ende viel geringer ist als der generierte Nutzen für das Unternehmen.
Lesen Sie im ersten Teil des Interviews: „Was auf uns zukommt, wird ökonomisch richtig weh tun“
| Restrukturierungs- und Turnaround-Management Herausgegeben von: Prof. Dr. Markus W. Exler, Prof. Dr. Dr. Mario Situm Um Krisensituationen in Unternehmen frühzeitig zu erkennen und geeignete Reorganisationsmaßnahmen zur Erhaltung von Rendite- und Wettbewerbsfähigkeit einzuleiten, sind heute äußerst vielseitige strategische, operative und kommunikative Qualitäten erforderlich.
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Programmbereich: Management und Wirtschaft