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Brandschutzübung (Foto: ag visuell - Fotolia)
Best Practice

Feueralarm!.... und keine Panik

Walz/Schmidt
15.07.2016
Wie sich mit erwachsenengerechten Mitteln vorbeugender Brandschutz realisieren lässt, zeigt ein Best-Practice-Beispiel aus der Brandschutzerziehung für Menschen mit Beeinträchtigungen in Wohnbereichen des Behinderten-Werk Main-Kinzig e.V. (BWMK). Der Beitrag stellt die Anforderungen an eine erwartungskonforme, geeignete Unterweisung vor.
Im Gespräch mit der zuständigen Fachkraft für Arbeitssicherheit, Robert Walz, stellt der Beitrag die Anforderungen an eine erwartungskonforme, geeignete Unterweisung vor. Da es um "Leben oder Tod" gehen kann, liegt dem Unternehmen BWMK richtiges Verhalten im entscheidenden Moment sehr am Herzen.

Gerade Menschen mit körperlichem oder geistigem Handicap müssen bei Gefahr automatisch das Richtige tun können. Dazu brauchen sie im Rahmen von plötzlich eintretenden Ereignissen genaue Handlungsleitlinien. Das Einüben solcher Handlungsabläufe nimmt Bewohnern und beteiligten Feuerwehren Ängste, schafft Vertrauen. Betroffene und Beteiligte erfahren durch das Tun Sicherheit. Sie können sich in Notfällen oder Gefahrensituationen richtig verhalten. Aktionstage, wie zum Beispiel ein Brandschutztag oder eine Brandschutzwoche, können ein motivierender Unterweisungsrahmen i.S.d. § 12 Arbeitsschutzgesetz sein.

Planung und Durchführung einer Brandschutzwoche

So wurde beispielsweise in den Steinheimer Wohnstätten des BWMK vom 14.9.-17.09. 2015 eine Brandschutzwoche ausgerichtet. An mehreren Brandschutztagen fanden Aktionen statt, die die Bedeutung von Feuer und Rettung in den Mittelpunkt stellten. Die Planungsgruppe hatte beschlossen, gemeinsam mit der Feuerwehr realitätsnahe Ereignisse zu simulieren. Deshalb steckt in der Vorbereitung besonders viel Sorgfalt. Sowohl für die Feuerwehren als auch für das Unternehmen BWMK wurde hierdurch vor ca. 12 Jahren fachdidaktisches Neuland betreten. Inzwischen hat sich durch regelmäßige Kontakte bei weiteren Brandschutzwochen eine gewisse Vertrauenssituation entwickelt. Schon bei den ersten Überlegungen war klar, es würde sich wieder um eine Großübung handeln. Ein Drehbuch musste her.

Vorbereitungsphase
Beteiligte Feuerwehren wurden in Anwesenheit des Projekt- und des Betriebsleiters zur Begehung ins Haus eingeladen. Gemeinsam lernte man bei einem Ortstermin vorab die neuralgischen Punkte im Objekt kennen. Das half, einige Schwerpunkte für die Unterweisungsziele zu formulieren. Gedanklich spielten Experten und Verantwortliche dabei verschiedene Möglichkeiten von Störungen durch. Diese Situationen sollten sich bei einer Übung in das „Drehbuch“ einplanen lassen, um Feuerwehrmänner und -frauen zu fordern. Eine solche gedankliche Vorarbeit hilft den Initiatoren, Chancen und Risiken herauszufinden. Hilfreich sind hierzu die Flucht- und Rettungswegepläne und Alarmpläne in den Gruppen. Neben allgemeinen baulichen Herausforderungen zeigen sich rasch ganz spezielle Anforderungen, die sich aus der Interaktion mit Menschen und deren Handicaps ergeben werden. Würde man diesen Anforderungen in einer simulierten, kontrollierten Alarmsituation gewachsen sein?

Mit solchen konkreten Vor-Ort-Betrachtungen kann ein Drehbuch mit definierten Unterrichtseinheiten entwickelt werden. Hilfreich waren hier die bereits vorliegenden Erfahrungen in weiteren Einrichtungen des Trägers. Das Team, bestehend aus betriebseigenen Experten und Abgeordneten der örtlichen Feuerwehren, steckte in der Vorbereitungsphase die Möglichkeiten und Inhalte einer erwachsenengerechten Unterweisung zeitlich und inhaltlich erläutert ab. Das hierfür erstellte Drehbuch diente als "Rahmen- Lehrplan" und gleichzeitig auch als gute Vereinbarungsgrundlage (Zeiten/Ressourcen/Manpower) der Brandschutzwoche.

Informationsphase
Um alle angemessen und betriebsspezifisch auf das Großereignis vorzubereiten, widmet sich die Projektgruppe zunächst der Informationsaufbereitung. Die Aufklärung zur Brandschutzwoche erfolgt durch Aushänge und direkte Gespräche in den Gruppen. Vertraute Betreuer erläuterten im persönlichen Umfeld das "Warum-Wer-Wann-Was" der Brandschutzwoche. Anschläge am Schwarzen Brett in den Wohnbereichen, mit Bildern ergänzt und in einfacher Sprache zum Ablauf der Woche, wurden attraktiv für die Zielgruppen aufbereitet. Alle, auch Betreuer und Eltern, konnten sich über unterschiedliche Lehreinheiten, Inhalt, Zeit und Dauer eine Übersicht verschaffen.

Durchführungsphase 
Ein besonderer Akt in der Durchführung war das Angebot für alle, einmal im Leben Feuerwehrfrau und -mann richtig hautnah kennenzulernen. An drei Tagen wurde während der Brandschutzwoche ein gegenseitiges Kennenlernen der Menschen mit Beeinträchtigung und der Feuerwehrleute ermöglicht. Der Rahmen war dabei nicht ganz unerheblich für einen ungezwungenen, stressfreien Zugang.

Nach Feierabend in der WfbM (Werkstatt für behinderte Menschen) konnten sich Brandschutzleute und Bewohner bei Kaffee und Kuchen "beschnuppern". Anschließend ging es dann ernster zur Sache. Durch Moderation eines Mitarbeiters der Einrichtung wurden die Teilnehmenden auf die anschließende Brandschutz-Lehreinheit vorbereitet. Wie in einem Drehbuch üblich, sollte eine positive Spannung und angenehme Vorfreude auf das Thema ausgelöst werden.

Drei Gruppen (je max. 10 Bewohner) wurden zusammengestellt und konnten im Haus gleichzeitig unterrichtet werden. Jeder Gruppe wurden zudem eine Fachkraft und ein Betreuer zugeordnet. Insgesamt wurden zum Kennenlernen und anschließenden niederschwelligen Unterweisungsmodul sechs Betreuungskräfte eingebunden.

Die Unterweisungsinhalte teilten die Spezialisten in zwei zeitliche Blöcke von jeweils max. 20-25 Minuten auf. Zwischen den Blöcken wurde bewusst eine Atem-Pause eingebaut, um die Konzentrationsmöglichkeit der Bewohner angemessen zu fördern. Die Bewohner nahmen ihre Lehreinheiten teilweise im geschlossenen Raum, in ihrer Gruppe oder im Außenbereich wahr. Theorie und Praxis wechselten sich dabei ab. Brandschutz wurde erlebbar.

Als Beispiel für die verschiedenen Unterweisungseinheiten sollen hier die interessantesten Module vorgestellt werden. Nachahmen gewünscht!

Fachdidaktisches Drehbuch: Brandschutz

1. Was ist Feuer - was ist Rauch?
Feuer und Rauch werden echt erlebt, es werden dabei alle Sinne gefordert und gefördert: Sehen, Fühlen, Riechen. Brand- und Rauchdemonstrationen mit Kerzen und verschiedene Materialien als Brandlast wurden am Tisch vorgeführt. Die Teilnehmenden erkannten, was schnell und was weniger gut brennt, aber auch was viel Rauch erzeugt oder stark riecht. Auch der praktische Umgang mit Elektrogeräten (Föhn, Kaffeemaschine, Toaster, Heizlüfter etc.) wurde verständlich gemacht. Tasten und Fühlen wurden erfahrbar gemacht: ob Oberflächen heiß waren oder welche Geräte große Hitze ausstrahlen, selbst wenn sie schon ausgestellt sind. Schreckmomente führten in diesem Lehrkonzept nicht selten zum Lachen. Durch die Heiterkeit und die Gruppendynamik wurde die Botschaft leichter angenommen als durch den berühmten "erhobenen Zeigefinger": Respekt im Umgang mit elektrischen Geräten! Nach unserer Erfahrung war es dabei wichtig, auch nicht-gestellte-Fragen herauszufinden: Erschreckten, ängstlichen, besorgte oder fragenden Blicken muss mit Achtsamkeit begegnet werden. Da hier auch oft negative Kindheitserinnerungen eine Rolle spielen können, ist es enorm wichtig, bei Bedarf darauf einzugehen.

2. Experiment: Kerzentreppe
Mit der Kerzentreppe wurde erklärt, dass unten, am Boden, länger Luft zum Atmen ist, wenn es brennt. Am Modell erkannten die Bewohner, warum es wichtig ist, sich im Rauch zu ducken. Bei dem Experiment Kerzentreppe wird ein Modell benutzt. Auf einer kleinen Treppe, die in einem großen Glas steht, befindet sich auf jeder Stufe ein Teelicht. Verschließt man das Glas oben mit einer Glasplatte, erlischt erst die oberste Kerze, dann die angrenzende, und nach und nach alle Kerzen, bis auch die unterste erloschen ist.  

Professionell verständliche Experimente zum Brandschutz bietet die Gruppe Physikanten & Co. (Quelle).

Die Unterrichtseinheit ermöglichte, gedanklich den Weg aus der Gruppe nach Draußen zu gehen und sich dabei geduckt halten. Das wurde anschließend in der Praxis geübt. Damit wurde gleichzeitig ein wichtiges Erinnerungstraining vollzogen.

3. Brandhäuschen-Modell
Das Brandhäuschen zeigt im Kleinen, was mit Rauch in einem Haus passiert, wie schnell sich dieser im Haus verteilt und wohin sich der Rauch bewegt.

4. Brandschutz-Spiele
Ein weiteres Unterrichtsmodul waren Spiele. So zum Beispiel ein einfaches Quiz mit Wissensabfragen über Brandschutzsymbole und ihre Aussagen, sowie die Bedeutung von Piktogrammen im Brandschutz. Die Memory-Einheit besteht aus ca. max. 20 Bildpaaren verschiedener Piktogramme zur Brandschutzthematik. Ziel ist, dass die Bewohner ihre Merk- und Wiedererkennungsfähigkeit trainieren und möglichst viele Paare machen. Dabei wurde gefragt, welche Bedeutung die Symbole haben und wo wir sie im Hause finden. Unserer Erfahrung nach können die Spielerinnen und Spieler spätestens beim 2. Durchgang, die Bedeutung der Symbole mit ihrem Bezug im Hause erklären und zuordnen. Der Wiedererkennungseffekt der kleinen Symbolkarten mit den wirklichen Schildern zeigte, dass die Lehrmethode geeignet war.

5. Begehungen zur Orientierung
Nach der Theorie wird bei einem gemeinsamen Gang vom Zimmer aus der Weg aus dem Hause zum Sammelplatz „erkundet“. Es geht um links und rechts, aber auch um Symbole und Hinweise, wo es lang geht. Idealerweise führen die Piktogramme immer auf dem kürzesten Weg aus dem Haus zum ausgeschilderten Sammelplatz. Diese Übung lässt sich nach mehrfacher Wiederholung steigern, wenn je ein Pärchen dann gemeinsam diese Aufgabe bewältigen muss (bis hin zu einem Betreuer, der „mit verbundenen Augen“ vom für ihn sehenden Bewohner aus dem Haus geführt wird.) Lernzielkontrolle, jemandem helfen zu können, indem das erlernte und vertiefte Wissen abgerufen und angewendet werden kann: Die Orientierung im Raum über Flure und Treppenhaus wird durch wiederholtes, praktisches Ablaufen der Fluchtwege im Haus) individuell verbessert, alle bewegten sich nach diesem Lehrmodul sicherer.

6. Uniform anziehen
Im „Verkleidungs-Modul“ oder „Verwandlung/Metamorphose“ wird aus einem Menschen in zivil vor den Augen der Teilnehmenden ein Feuerwehrmann/Frau mit Schutzanzug und Atemschutzgerät. Alles, was angezogen wird, muss vorher gezeigt, angefasst und ausprobiert werden können. Brandschutzexperten erklären die Funktion. Anschließend gab es die begehrte Möglichkeit, sich selbst in der Uniform zu erleben. Hierzu brachte die Feuerwehr ihren Ausstattungskoffer mit in die jeweilige Gruppe. Nach unserer Erfahrung: Eine schöne Gelegenheit, Angst abzubauen - ganz real und die dabei entstandenen Bilder sind tolle Erinnerungen der Teilnehmer!

7. Abschlussprüfung mit Brandschutzübung
Am 4. Tag der Brandschutzwoche erfolgt eine „Abschlussprüfung“. Eine besondere Brandschutzübung, bei der das Haus unter Beteiligung vieler Feuerwehren und mit speziellen Herausforderungen geräumt werden musste, zeigt, wie ernst die Bewohner trotz Stresseffekt möglichst nah an einer „sicheren“ Realität mitarbeiten können. Dazu wurde ein leerer Gruppenraum mit künstlichem Nebel eingehüllt. Die Tür des Raums wurde bewusst Richtung Flur angelehnt, damit auch Qualm in den Flur ziehen und die Bewohner aufmerksam machen konnte. Und sie reagierten mit einer Alarmmeldung.

Das Ergebnis zeigte, dass die Bewohner nach dem dreitägigen Übungsprogramm in der Brandschutzwoche gut geschult waren. Sie informierten sofort, wie sie es gelernt hatten, die Betreuungskräfte der Einrichtung. Diese sorgten für eine Klärung und Ruhe, lösen dann den Feueralarm aus.  Die vollständige Räumung erfolgt nach eingeübtem Ablauf unter Nutzung der bekannten Wege und der trainierten Verhaltensweisen.

Den Feuerwehrleuten kommen besondere Aufgaben zu, die sie so direkt trainieren können. Das Evakuieren von Rollstuhlfahrerinnen und -fahrern zählt dazu. Ebenso die Verwendung von Evakuierungstüchern für nicht gehfähige, liegende Bewohner. Der Rettungsweg über die Drehleiter und einen Fluchtbalkon stellten alle Beteiligten vor – beherrschbare – Herausforderungen.

Auswertungsphase:
Mit intensiver Manöverkritik ging die Brandschutzwoche zu Ende. Hilfreich war, dass während der Zeit protokolliert wurde, was an Ereignissen, Zeiten und Besonderheiten abgelaufen ist, wie das gemeinsam besprochene Drehbuch mit der Realität übereinstimmte, bzw. wo es noch Verbesserungspotenziale gab. Diese Erfolgskontrolle erfolgte mit allen verantwortlichen Beteiligten und Spezialisten.

Erfolgreich war das Bündel an Einzelmaßnahmen/Unterrichtseinheiten in Verbindung mit der Großübung, weil Bewohner angstfrei mitmachen und sich richtig verhalten konnten. Die Feuerwehren konnten durch den persönlichen Kontakt mit behinderten Menschen ihre eigenen Bedenken und Ängste abbauen. Die externen Fachleute hatten gelernt, Verhalten, Gesichtsausdrücke, Äußerungen der Bewohnerinnen und Bewohner besser zu deuten. Somit sind auch sie im Ernstfall besser vorbereitet, um die Menschen gezielt ansprechen zu können und angstfrei anzuleiten.

Dokumentation:
Ein solches Ereignis bedarf natürlich einer Fotodokumentation. Die Fotos von der Brandschutzwoche wurden als Diashow aufbereitet. Sie zeigte auch die Bewohner in Feuerwehr-Einsatzkleidung, ein hoher Unterhaltungswert: Aus einem persönlich bekannten Menschen wurde eine vermummte Person. Es macht Sinn, rechtzeitig an einen Fotografen oder an ein Team zu denken, dass mit der Dokumentation – Foto/Film – der Aktionen beauftragt ist. Ebenso bedarf es einer Regelung, was wie protokolliert werden muss, damit eine spätere Manöverkritik möglich ist.

Fazit: Im Laufe der Brandschutzwoche wurde die individuelle Angst in Begeisterung für die Beteiligten auf allen Seiten umgewandelt. Dabei gab es nur Gewinner, weil sowohl bei den Bewohnern wie auch den Feuerwehrleuten Ängste und Vorbehalte abgebaut werden konnten. Wir sprechen von einer win-win-Situation, da belegt werden kann, was gemeinsames Lernen und Arbeiten unter Beteiligung von Menschen mit Beeinträchtigung oder Handicap an Zielen und Ergebnissen möglich macht. Durch das vermittelte Wissen und erlernte Können wird eine vorher noch sehr unbekannte Situation bewusst und emotional sehr deutlich beherrschbar erlebt.

Die AutorInnen
Robert Walz ist Technischer Leiter und Fachkraft für Arbeitssicherheit beim Behinderten-Werk Main-Kinzig e.V.

Hildegard Schmidt ist Dipolm-Verwaltungswirtin und hat im Weiterbildungsstudium Arbeitswissenschaft studiert. Sie ist als BGW-Tutorin, Hildesheim, tätig.

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Programmbereich: Arbeitsschutz