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Mitarbeiter-Compliance

21.11.2016
Strategien für die erfolgreiche Einbindung. Von Thomas Schneider und Maike Becker. Erich Schmidt Verlag 2015, 236 Seiten, 34,99 Euro, ISBN 978-3-503-15852-2.
Strategien für die erfolgreiche Einbindung. Von Thomas Schneider und Maike Becker. Erich Schmidt Verlag 2015, 236 Seiten, 34,99 Euro, ISBN 978-3-503-15852-2.

I. Einleitung
Es ist kein Zufall, dass auf dem Buchcover ein schwimmender Eisberg abgebildet wurde. Dieses Bild symbolisiert die Kernaussage des Buches. Ähnlich wie bei einem Eisberg sieht man 20%, die restliche Masse (80%) ist unter der Oberfläche unsichtbar. Mit den üblichen Compliance-Programmen werden 20% der Mitarbeiter erreicht. Die Masse an Mitarbeitern, im Buch als die „80%“ bezeichnet, wird von der Compliance nicht wahrgenommen und somit nicht erreicht. Das Ziel dieses Buchs ist die Mitnahme der 80% und nicht nur der einbezogenen 20%. Ein Selbstzweck ist die Einbeziehung möglichst vieler Mitarbeiter nicht. Damit verbunden ist die Erhöhung der Wirksamkeit der Compliance im Gesamtunternehmen. Das Buch dient gleichzeitig als Anleitung zur Umsetzung des Ziel und stellt somit ein Projektanleitung dar.

II. Inhalt
Gegliedert ist das Werk in acht Kapitel:
- 1. Reichweite der Compliance
- 2. Ausgangslage der Compliance
- 3. Spezielle Mitarbeitergruppen
- 4. Anpassung des Compliance
- 5. Ansprechmöglichkeiten
- 6. Zusammenarbeit mit weiteren Unternehmensfunktionen
- 7. Projektdurchführung
- 8. Fallstudie

8. Fallstudie
Für das bessere Verständnis der Buchbesprechung wird der Inhalt des letzten Kapitels vorangestellt. Das Buch endet mit der Aufdeckung eines Complianceverstoß als Beispielsfall. Den entscheidenden Hinweis gab ein Mitarbeiter aus der Poststelle in einem persönlichen Gespräch. Anhand herkömmlicher Kontrollen wäre der Verstoß nicht entdeckt worden. In diesem Zusammenhang werfen die Autoren die Frage auf, wie derartige Fälle gezielter entdeckt werden können. Als Lösungsvorschlag wird die Durchdringung der gesamten Organisation mit dem Gedanken der Compliance angesehen (vom Manger bis zur Poststelle). Der erste Schritt ist die Wissensvermittlung auf breiterer Ebene als es in Unternehmen üblich ist.

1. Reichweite der Compliance
In diesem Kapitel wird ein Kernproblem angesprochen. Vielen Mitarbeitern ist die Aufgabe der Compliance-Abteilung unbekannt. Geschult und informiert werden oft nur Entscheidungsträger oder Funktionsinhaber (die 20%), in der Hoffnung, dass diese ihr Wissen weitergeben. Für den Großteil der Mitarbeiter sind – wenn überhaupt – EDV gestützte Schulungen vorgesehen. Wichtig ist nach Ansicht der Autoren, dass der Compliance-Gedanke, Werte und Überzeugungen von möglichst vielen Mitarbeitern verinnerlicht werden. Schulungen sind dabei nicht ausreichend. Darüber hinaus verfügt nicht jeder Mitarbeiter über einen Internet- oder Intranetanschluss, um die Schulungen zu absolvieren. Die Autoren sprechen weitere Probleme der üblichen Kommunikationswege im Unternehmen an. Zwar besteht die Möglichkeit für alle Mitarbeiter auf die Compliance zuzugehen, doch welche Art von Mitarbeitern wenden sich überhaupt an die Compliance? Grundvoraussetzung dafür wäre, dass den Mitarbeitern verständlich ist, wozu Compliance im Unternehmen eingesetzt wird. Durch diese Unkenntnis werden Mitarbeiter von der Kontaktaufnahme abgehalten. Neben dem fehlenden Verständnis wird auf die psychologische Ebene oder Gruppenzwänge eingegangen. Dabei erwähnen die Autoren immer wieder, wie wichtig die Einbeziehung der Belegschaft über die 20% hinaus ist. Die tatsächliche Rolle eines Mitarbeiters kann sich deutlich von der organisatorischen Rolle unterscheiden. So kann ein formal nicht zuständiger Mitarbeiter Aufgaben ausführen welche formal ein Vorgesetzter inne hat. So bilden sich parallel Organisationen. Beispiele: Die Entstehung von Subkulturen: Durch interne Gruppen im Unternehmen und den damit verbundenen Abweichungen vom offiziellen Unternehmensaufbau. Grundlage für die Gruppenbildung sind eine gemeinsame Zugehörigkeit. Diese kann entstehen durch gemeinsame Erlebnisse (gemeinsame Ausbildung, Herkunft oder Sportgruppen). Solche Gruppen entstehen in jeder Organisation. Diese werden im Idealfall nicht für Complianceverstöße „gegründet“ sondern um einen reibungslosen Arbeitsablauf zu organisieren und sicherzustellen. Die Abschottung von Spezialisten im Unternehmen: Spezialisten können oft eigenständig und unkontrolliert Entscheidungen treffen, weil die Vorgesetzten nicht die Möglichkeiten für eine hinreichende Kontrolle haben. Mit weiteren Gründen für Kommunikationshindernisse und praktischen Beispielen wird dem Leser Hilfestellung zur Verbesserung der Handlungsmöglichkeiten für die Compliance im gesamten Unternehmen gegeben. Diese werden so dargestellt, dass sie den Leser zum Nachdenken in der eigenen Organisation und dem eigenen Handeln anregen.

2. Ausgangslage der Compliance
Dieses Kapitel ordnet die Compliance aus unterschiedlichen Gesichtspunkten ein und gibt weitere konkrete Hinweise zur Projektverantwortung und -durchführung. Um viele Mitarbeiter zu erreichen wird die Auswahl und das Auftreten der Compliance-Mitarbeiter berücksichtigt. Denn nach Ansicht der Autoren ist ein guter Weg die persönliche Ansprache und nicht die anonyme Online-Schulung. Kommunikation in einem persönlichen Gespräch verläuft anders als über schriftliche Ausarbeitungen. Entsprechend muss die persönliche Erscheinung dem Gespräch angepasst sein. So soll auf Fragen eine rasche und verbindliche Beantwortung erfolgen, denn die meisten Mitarbeiter können und wollen nicht auf schriftliche Antworten warten. In der Arbeitswelt gilt das gesprochene Wort. Denn in den Erfahrungen der 80% ist oft verankert, dass allgemeine Aussagen der Führungsebene und das Vorgehen von Vorgesetzten im Einzelfall einander widersprechen. Dieses darf im Rahmen des Projekts nicht der Fall sein. Erforderlich sind verbindliche Richtlinien. Beim gesprochenen Wort sind klare Strukturen notwendig. Damit eignet sich nicht jeder Mitarbeiter aus der Complianceabteilung für die persönliche Ansprache der 80%, so die Autoren. Die 80 % sprechen (wenn) mit dem einzelnen Menschen und nicht mit einer Abteilung. Aus diesem Grund empfehlen die Autoren, dass der Projektverantwortlichen gewisse Charaktereigenschaften vorweisen und in seiner Position mindestens zwei Jahre verbleiben muss. Angesprochen wird das Thema Respekt, der im täglichen Umgang gegenüber den 80% entgegengebracht werden muss und nicht nur bei besonderen Anlässen. Dabei zeigt sich Respekt nicht nur im Umgang zwischen Vorgesetzten und Kollegen, sondern ebenso gegenüber Mitarbeiter, die aus den untersten Hierarchieebenen stammen.

3. Spezielle Mitarbeitergruppen
Neben den bekannten Organisationsstrukturen müssen die unbekannten Strukturen mit einbezogen werden. Das bedeutet nicht, dass alle Mitarbeiter im Einzelgespräch erreicht werden sollen. Gefordert wird eine Balance zwischen Zeit und Aufwand. Die vorgeschlagene Lösung ist die Bildung von Gruppen, die priorisiert werden müssen. Gruppen stellen in jedem Unternehmen eine Sekundärorganisation dar. Diese können für Fehlentwicklungen verantwortlich sein oder für die Einhaltung von Compliance ein Multiplikator. Informelle Multiplikatoren sind oft wichtiger als offizielle Informationen, da diesen Personen eine höhere Relevanz vom Empfänger eingeräumt wird als offiziellen Personen Der Entstehung von Gruppen als auch dem Thema informelle Multiplikatoren wird jeweils ein eigener Abschnitt gewidmet. Thematisch wird auf die vorherigen Kapitel Bezug genommen und vertieft dazu ausgeführt. So wird auf das unterschiedliche Ausbildungs- und Ausdrucksniveau der 80% zu den 20% eingegangen. Entsprechend der Zielgruppe muss eine verständliche Ausdrucksweisen verwendet werden, ohne Fremdwörter und Anglizismen. Weitere Punkte im Kapitel sind der Umgang mit Mitarbeiter mit Migrationshintergrund, Spezialisten und weitere Abweichungen von den 20%.

4. Anpassung des Compliance-Auftritts
Ziel des Kapitels ist nicht ein mehr an schriftlichen Regelungen zu schaffen, um mögliche Regelungslücken zu schließen. Denn unternehmensinterne Regelvorgaben können nicht alle Möglichkeiten von Verhaltenserwartungen abdecken und nicht alle Vorgaben werden von allen Mitarbeitern wörtlich eingehalten. Es soll erreicht werden, dass Mitarbeiter die Compliance-Vorgaben kennen und auf dieser Informationsgrundlage die richtige Entscheidung treffen. Dieses wird im Abschnitt problematisiert und anhand mehrere Beispiele und Sprichworte verdeutlicht. Die Verfasser fordern, dass Regelungen auf allen Ebenen aktiv vorgelebt werden. Die Mitarbeiter überprüfen die Compliancevorgaben auf der Basis der persönlichen Erfahrungen zwischen offiziellen Vorgaben und der tatsächlichen Umsetzung. Die Grundlage für den persönlichen Abgleich stellen eigene Erfahrungen dar, die der Kollegen, Gerüchte und Mutmaßungen. Daraus leiten die Betroffenen die Werte und Überzeugungen ab, welche aus ihrer Sicht das Unternehmen prägen und nicht aus ausliegenden Unternehmensleitbildern in Hochglanzbroschüren. Weitere Inhalte des Kapitels sind: Loyalität, Anpassung von Texten und Schulungen sowie Einzelansprache von Personen,

5. Ansprechmöglichkeiten
In diesem Kapitel werden verschiedene Möglichkeiten beschrieben, auf welche Art und Weise und unter welchen Voraussetzungen Mitarbeiter angesprochen werden können. Beispielhaft werden als besonders interessante Ansprechpartner neue und ausscheidende Mitarbeiter genannt. Diese Personen sind für Gespräch besonders attraktiv, da sie sich in Sondersituationen befinden und sich so eine größere Kommunikationsbereitschaft ergibt. Bei den Einsteigern geht es um die Fragen, welche Werte und welches Wissen vorhanden sind und was vermittelt werden soll. Dieses kann in kleineren Gruppen trainiert und besprochen werden. Dabei führt das Buch sowohl überraschende als auch vorhersehbare Antworten aus. Bei ausscheidenden Mitarbeitern ist eine individuelle Ansprache vorteilhafter. Für die Compliance sollen besonders interessante Mitarbeiter selektiert werden. Dieses sind beispielsweise Träger besonderer Fachkenntnis. Ebenso kann bei einem Stellenwechsel über ein persönliches Gespräch nachgedacht werden. Weitere Ausführungen zum Gesprächszeitpunkt, Grund, Gesprächsverlauf und Dokumentation runden die Ausführungen ab. Handlungsmuster von Compliance und Mitarbeitern und wie diese verbessert und erweitert werden können, werden ebenfalls ausgeführt.

6. Zusammenarbeit mit weiteren Unternehmensfunktionen
Eine Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen und Funktionen, zu denen es Schnittstellen und Aufgabenüberschneidungen gibt, ist für die Compliance vorteilhaft. Beispielhaft werden folgende Abteilungen oder Funktionen aufgeführt, zu denen jeweils weitere Ausführungen folgen:
- Unternehmenssicherheit und Werkschutz
- Arbeitssicherheit und Gesundheitsschutz
- Qualitätswesen
- Datenschutzbeauftragter
- Geldwäschebeauftragter
- Personalwesen
Aus dem Blickwinkel der Projektumsetzung liegt der Grund für die Zusammenarbeit im erweiterten Zugang zu den 80%. Was den Ausbildungsstand der Mitarbeiter, den beruflichen Werdegang oder die Arbeitskleidung betrifft, sind die Complianceabteilungen relativ homogene zusammengesetzt. Damit bleibt der Zugang zu vielen der 80% verschlossen. Dieser Ist-Zustand muss für die weitere Umsetzung reflektiert werden. So wird die Hinzuziehung eines Mitarbeiters aus einer anderen Unternehmenseinheit vorgeschlagen, dauerhaft oder nur für die Projektumsetzung.
Weitere Unterpunkte des Kapitels sind
- Auftreten der Compliance
- Anpassung des Compliance Auftritts
- Ansprechmöglichkeiten entwickeln
- Durchführungen von Schulungen
- Einbeziehung Whistleblower Hotline
- Zusammenarbeit mit der Internen Revision

7. Projektdurchführung
Da es sich bei dem Buch gleichzeitig um einen Leitfaden handelt, ist ein Kapitel zur Projektdurchführung die logische Konsequenz. Die Abschnitte sind eher kurz gehalten, da der eigentliche Inhalt für die Umsetzung bereits in den vorangegangenen Kapiteln aufgeführt wurde. Dadurch werden unnötige Wiederholungen vermieden. Das Kapitel beschäftigt sich schwerpunktmäßig mit der Planung und der Reihenfolge der Umsetzung. Die systematische Planung soll zu folgenden Entwicklungen führen:
- neue Interpretation von Strukturen und Prozessen
- Ersetzung eingespielter Handlungsmuster durch neue, welche in „Trial-and-Error“ Prozess modifiziert werden
- Lernprozesse aktivieren
- im Sinne der „lernenden Organisation“ dazu führen, Werte, Strategien und handlungsleitende Theorien zu reflektieren
Mit nur wenig Mühe lassen sich die Ausführungen ebenso für andere Abteilungen/Funktionen adoptieren, die das Verhalten von Mitarbeiter im Sinne ihrer Aufgabe beeinflussen wollen, wie z. B. die Revision, der Datenschutz oder die IT-Sicherheit.

Ass. jur. Björn Fleck M.A., Hannover

Quelle: WiJ Journal der Wirtschaftsstrafrechtlichen Vereinigung e.V. Heft 3/2016

Programmbereich: Management und Wirtschaft