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Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski, Frank Scholz und Dr. Andreas Schuler im Interview-Podcast: ESV im Dialog – Sie hören Recht: Die Zukunft des Energiehandels (Foto: privat)
ESV im Dialog – Sie hören Recht: Die Zukunft des Energiehandels

Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski: „Der Energiehandel wird in Zukunft immer stärker in erneuerbaren Energien stattfinden“

ESV-Redaktion Recht
06.01.2022
Nur wenige Wirtschaftszweige waren – auch schon vor Corona – so dynamisch wie der Handel mit knappen Energierohstoffen. Zudem verbinden sich neue krisenbedingte Effekte, die den Energieverbrauch oder die Liquidität/Bonität vieler Unternehmen betreffen, mit zusätzlichen positiven und negativen Handelsauswirkungen.  Hierüber und über zahlreiche weitere Aspekte hat sich die EDV-Redaktion im Interview-Podcast „ESV im Dialog – Sie hören Recht: Die Zukunft des Energiehandels“ mit Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski, Humboldt Universität zu Berlin, Dr. Andreas Schuler, Chief Risk Officer bei Vattenfall sowie mit Dipl. Kfm., Dipl. Vw. Frank Scholz unterhalten.
Herr Dr. Schuler, Herr Scholz, was ist das Besondere am Energiemarkt und warum ist dieser Markt so dynamisch?

Dr. Andreas Schuler: Das Besondere am Energiemarkt ist, dass im Unterschied zu vielen anderen Commodity-Märkten ein zentrales Produkt, Strom nämlich, immer in genau der Menge vorhanden sein muss, in der es nachgefragt wird. Das bedeutet Strom ist nicht speicherbar. Wird er zu einem Zeitpunkt erzeugt, indem er nicht verbraucht wird, so kann er nur relativ aufwändig durch Umwandlung und spätere Rückumwandlung – z.B. mittels Pumpspeicherkraftwerken oder langfristig mittels Batterien oder Wasserstoff – für einen späteren Zeitpunkt nutzbar gemacht werden. Dies ist ein Grund, warum der Strommarkt so dynamisch ist und es zu diesen hoch volatilen Preisen kommt. In diesem Zusammenhang zu erwähnen ist auch das Wetter, das früher im Wesentlichen die Nachfrage stark beeinflusste. Heute – mit steigender regenerativer Erzeugung aus Wind und Sonne – werden sogar beide Seiten, also Nachfrage und Angebot – durch das Wetter sehr merklich beeinflusst. Dann spielen für die Dynamik des Marktes auch noch die ganzen politischen Entscheidungen, hier wäre insbesondere deren Einfluss auf die CO2-Preise zu nennen, eine große Rolle.

Frank Scholz: Auch für andere konventionelle Energieträger, wie Öl, Kohle und Gas, kann man die politischen Risiken und starke Schwankungen insbesondere bei der Nachfrage, zum Teil aber auch beim Angebot, was mit hoher Volatilität einhergeht, als charakteristisch ansehen. Auch hier kommt also die Dynamik aus der starken Fluktuation von Angebot und Nachfrage und aus dem politischen Umfeld.

Zum Interview-Podcast: „ESV im Dialog - Sie hören Recht: Die Zukunft des Energiehandels“


 
Welche zentralen Geschäftsfelder bestimmen die Handelspraxis?
 
Dr. Andreas Schuler: Für den Strommarkt, auf den wir in unserem Handbuch Energiehandel vor allem fokussieren, sind alle Geschäftsfelder, die sich mit der Erzeugung von Strom auf der einen Seite und mit dem Weiterverkauf von Strom auf der anderen Seite beschäftigen, von Bedeutung. Die zentralen Agenten in diesem Markt sind neben den Händlern Kraftwerksbetreiber, ganz gleich ob diese Kraftwerke konventionell oder regenerativ sind, die die Angebotsseite des Marktes abbilden und die Abnehmer des Stroms auf der Großhandelsseite, z.B. sogenannte Weiterverteiler, also Energieunternehmen, wie z.B. Stadtwerke, die den Strom aus dem Großhandel an Zwischenhändler oder Endkunden weiterverkaufen oder auch große Industrieunternehmen usw., die sich am Großhandelsmarkt eindecken.

Frank Scholz: Dann natürlich auch noch Netzbetreiber, die sich mit bestimmten Produkten eindecken, um die Stabilität der Versorgung jederzeit sicherstellen zu können. Für Händler und die Betreiber konventioneller Kraftwerke können natürlich auch die Geschäftsfelder der Brennstoffeinkäufe unterschiedlicher Energieträger eine große Rolle spielen. Die Produkte werden entweder OTC oder an Börsen gehandelt.


Zu den Personen
  • Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski ist Direktor des Instituts für Energie- und Wettbewerbsrecht in der Kommunalen Wirtschaft e.V. (EWeRK) Humboldt-Universität zu Berlin. Zu seinen Arbeitsschwerpunkten gehören das Deutsche und Europäische Energie- und Wirtschaftsrecht sowie das Bank- und Versicherungsrecht.
  • Dr. Andreas Schuler ist als Chief Risk Officer des Vattenfall-Konzerns für dessen Risikomanagement verantwortlich. Er studierte Maschinenwesen mit Schwerpunkt Energietechnik und Energiewirtschaft und promovierte am Institut für Energiewirtschaft und Rationelle Energieanwendung (IER), Universität Stuttgart. Ab 1998 war er bei der Bewag AG, Berlin, im Vertrieb und Energiehandel tätig, leitete anschließend den Aufbau des Risikocontrollings für die Wertschöpfungskette und hatte verschiedene Managementpositionen im Risikomanagement der Vattenfall-Tochtergesellschaften in Deutschland und der Vattenfall-Gruppe inne.
  • Dipl. Kfm., Dipl. Vw. Frank Scholz studierte Betriebswirtschaftslehre und Volkswirtschaftslehre, arbeitete 15 Jahre bei verschiedenen Banken im Beteiligungsmanagement und im Kreditgeschäft (Investmentbanking und Trade Finance/Commodities), zuletzt in einer Bank des Credit Lyonais-Konzerns als Direktor ppa. Im Jahr 2000 wechselte er als Leiter Risikomanagement zur Berliner Bewag AG. Ab 2002 war Herr Scholz verantwortlich für die Formulierung der Aufgabenstellungen des Risikomanagements und Risikocontrollings im Vattenfall Europe Konzern und setzte den Aufbau der entsprechenden Strukturen praktisch um. Er war bis 2010 Head of Risk Management Business Group Central Europe und dann bis Ende 2012 Head of Credit Risk für die internationale Vattenfall-Gruppe. Herr Scholz war von 2006 bis 2011 Mitglied des Vorstandes der Deutschen Gesellschaft für Risikomanagement e. V
Die Interviewpartner sind gemeinsame Herausgeber des Handbuchs Energiehandel, das kürzlich in 5. Auflage im Erich Schmidt Verlag erschienen ist.


Können Sie den OTC-Handel und den Handel an der Börse jeweils kurz skizzieren?

Dr. Andreas Schuler: OTC also, „Over the Counter”, sind Geschäfte zwischen Handelspartnern, ohne dass für diese Geschäfte eine Börse genutzt wird. OTC-Geschäfte können zwar auch standardisierten Rahmenverträgen folgen, sie bieten jedoch in ihrer konkreten Ausgestaltung viel mehr Freiheit als Börsengeschäfte. Allerdings sind sie naturgemäß in den allermeisten Fällen mit einem deutlich höheren Kreditrisiko verbunden als der börsliche Handel. Und für ein Handelshaus sind sie natürlich durch ihre individuelle Gestaltung auch mit mehr Aufwand verbunden.

Der Handel an der Börse erfolgt unter Verwendung standardisierter Produkte und unter genau vorgegebenen und überwachten Rahmenbedingungen. Ein Vorteil des Börsenhandels ist, dass durch Margining das Kreditrisiko minimiert wird. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Standardisierung häufig zu einer hohen Liquidität führt und durch hohe Preistransparenz gekennzeichnet ist. Das macht es auch einfacher, verlässliche Risikokennzahlen zu bestimmen. Der Vorteil des OTC-Handels ist im Wesentlichen, dass die Produkte sehr genau auf individuelle Bedürfnisse angepasst werden können.

Herr Prof. Dr. Schwintowski, wie  haben sich andere neue Technologien – wie Blockchain, Smart-Contracts, FinTechs oder Legal Tech – bisher auf den Energiemarkt ausgewirkt?

Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski:
Diese modernen Technologien und Konzepte haben bisher sehr wenig Einfluss auf den Energiehandel. Es wird über Handelsplattformen zur Peer to Peer Belieferung zwischen Prosumern nachgedacht. Diese Belieferungsprozesse sollen durch eine Blockchain verifiziert werden. Ob das den Handel mit Energie spürbar beeinflussen wird, erscheint aber eher fraglich. Und zwar auch deshalb, weil diese Formen des Handels mit Kleinstmengen zu hohe Transaktionskosten verursachen.

Während Blockchain zumindest bisher keinen den Erwartungen an diese Technologie entsprechenden Eingang in den Energiehandel (insbesondere auch bezüglich der Abwicklung von Geschäften) gefunden hat, spielt der algorithmische Handel, das sogenannte Algotrading, bei dem die Handelsentscheidung und der Handelsvorgang ganz oder zumindest größtenteils durch Computer übernommen wird, durchaus eine wachsende Rolle.   

Ein Wort zur 5. Auflage Ihres Werks Handbuch Energiehandel (siehe unten): In der Vorauflage beschreibt Ihr Werk den Energiehandel aus rein ökonomischer Sicht, aber auch aus dem Blickwinkel des Juristen.  Herr Prof. Dr. Schwintowski, was sind die grundlegenden Unterschiede? Gehen Sie diesen Weg auch in der Neuauflage weiter?

Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski:
Ja, das Grundkonzept des Werkes wird beibehalten. Auf der einen Seite geht es um die Geschäftsprozesse und auf der anderen Seite um die rechtlichen Rahmenbedingungen. Anders lässt sich der Energiehandel kaum sinnvoll darstellen, weil die Geschäftsprozesse ohne Beachtung der rechtlichen Rahmenbedingungen letztlich nicht funktionieren.

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Geschäftsprozesse werden auch im Energiehandel vom Risikomanagement begleitet. Das gilt auch – oder erst Recht – in Zeiten von Corona.  Herr Dr. Schuler, Herr Scholz, wie bleiben Energieunternehmen in solchen Großkrisen aktionsfähig?

Dr. Andreas Schuler:
Ganz generell kann man feststellen, dass Großrisiken ein wesentlicher Bestandteil des Risikoinventars eines Energieunternehmens darstellen. Daher sollten Ereignisse wie Corona in der einen oder anderen Weise bei der Risikoaggregation berücksichtigt gewesen sein und auch bei der Ermittlung der Risikotragfähigkeit eine Rolle gespielt haben. Der wesentlich Punkt bei einer Pandemie aus Risikosicht ist es unseres Erachtens, die Versorgung sicher aufrecht zu erhalten. Hierfür gibt es natürlich Notfallpläne.

Auch für operationelle Risiken im Ablauf des Großhandels gibt es Notfallpläne und es werden Redundanzen – z.B. bei IT-Infrastruktur oder auch was Räume anbelangt – aufgebaut. Bezüglich Corona ganz konkret gab es natürlich dennoch auch im Energiehandel Anpassungsbedarf,  der so nicht vorgesehen war. So wurde zum Beispiel vor Corona strikt geregelt, von wo aus Energiegeschäfte im Großhandel getätigt werden müssen. Das war in der Regel der Handelsraum. Corona erforderte hier jedoch Flexibilität und eine Risikoabwägung und führte letztendlich dazu, dass auch die sonst durch die Dynamik des Marktgeschehens charakterisierten Floors verwaist waren und das Handelsgeschäft vollständig oder fast vollständig aus dem Homeoffice betrieben wurde.

Welche Änderungen, Herr Prof. Dr. Schwintowski, ergeben sich durch das Gesetz zur Fortentwicklung des Sanierungs- und Insolvenzrechts (SanInsFoG) und durch das Unternehmensstabilisierungs- und Restrukturierungsgesetz (StaRUG)?

Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski:
Die neuen Regelungen werden heute im Energierecht weitgehend schon praktiziert. Das gilt insbesondere für das neu eingeführte Frühwarnsystem, bei dem die Energiewirtschaft für andere Branchen eher beispielgebend sein könnte. Deshalb werden diese Gesetze für den Energiehandel nur geringfügige Auswirkungen haben.

Was hat sich im Aufsichtsrecht seit der Vorauflage im Wesentlichen geändert und welche besondere Rolle kann die Finanzaufsicht spielen?

Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski:
Das Aufsichtsrecht über den Energiehandel hat sich im Großen und Ganzen bewährt und ist in den letzten Jahren kaum verändert worden.

Ihr Ausblick: Wie wird sich das Recht des Energiehandels weiterentwickeln und welchen Beitrag kann diese Rechtsmaterie zum Klimaschutz leisten?

Prof. Dr. Hans-Peter Schwintowski:
Der Energiehandel wird in Zukunft immer stärker in erneuerbaren Energien stattfinden, auch wegen der zunehmenden E–Mobilität.

Die Bürgerbeteiligung wird zunehmen, insbesondere bei der Erzeugung von kleinen Mengen zwischen Prosumern. Das wird insbesondere die Akzeptanz erneuerbarer Energien in der Bevölkerung erhöhen.

Den Klimaschutz fördert der Energiehandel deshalb, weil er dazu beiträgt, die fluktuierende Erzeugung aus erneuerbaren Energien effizient mit der Nachfrage zu verbinden.

 

Handbuch Energiehandel

Hohe Regulierungsdichte, intensiver Wettbewerb: Kaum ein Wirtschaftszweig war auch schon vor Corona so risikobehaftet und dynamisch wie der Handel mit knappen Energierohstoffen. Mit neuen krisenbedingten Effekten etwa auf den Energieverbrauch oder die Liquidität/Bonität vieler Unternehmen verbinden sich jetzt zusätzliche, positive wie negative Handelsauswirkungen – und völlig neue Herausforderungen für alle beteiligten Energiehändler und Entscheidungsträger.

Rechtliche und wirtschaftliche Perspektiven: Das aktualisierte Referenzwerk beleuchtet das vielseitige Arbeitsfeld aus allen relevanten juristischen und wirtschaftlichen Blickwinkeln. Im Fokus:

  • Zentrale Geschäftsfelder, die die Handelspraxis bestimmen – der OTC-Handel und der Handel an der Börse,
  • Risikomanagementsysteme und ihr effizienter Einsatz,
  • Aufsichtsrechtliche Anforderungen an den Energiehandel

Viele Grafiken, Beispiele und ein Glossar sorgen für hohen praktischen Nutzen.

Erweiterungen in der Neuauflage: Die 5. Auflage greift neueste nationale und supranationale Entwicklungen zuverlässig auf, u.a.:

  • Energiehandel und Corona: u.a. mit einem Praxisbericht aus der Kreditrisikoanalyse zur Frage, wie man in Großkrisen aktionsfähig bleibt
  • Europäisches Energiehandelsrecht und Standard-Handelsverträge (EFET) in aktualisierter Erläuterung und Berücksichtigung der Änderungen durch SanInsFoG/StaRUG
  • Energiehandel an der EEX und was aktuell besonders zu beachten ist
  • Energieaufsichtsrecht in kompletter Neufassung
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(ESV/bp)

Programmbereich: Umweltrecht und Umweltschutz