Psychosoziale Belastungen in Change-Management-Prozessen
Eine eindeutige Definition des Begriffs Change-Management über alle Fachdisziplinen hinweg gibt es derzeit nicht. In erster Linie wird darunter die Führung von Veränderungsprozessen im Unternehmen oder die Gestaltung von Wandel verstanden. Diese Veränderungen in Unternehmen sind nicht per se als negativ einzustufen, sie treffen jedoch aufgrund bisher gemachter Erfahrungen nur selten auf die ungeteilte Zustimmung der Beschäftigten, sie sind vielmehr von Unsicherheiten oder gar Ablehnung begleitet. In Berichten von Beratern dominiert die Einschätzung, dass ein Großteil der Change-Projekte scheitert, weil Erfahrungswissen, soziale Kompetenz, Partizipation oder der Einsatz von Prozessteams als wichtige Komponenten für erfolgreiche Veränderungsprozesse vernachlässigt werden.
Rekordniveau bei psychischen Erkrankungen
Zeitgleich hat mittlerweile die Zahl der psychischen und psychosozialen Erkrankungen in der Arbeitswelt ein „Rekordniveau“ erreicht. Psychosoziale Gefährdungsfaktoren wie Angst vor Arbeitsplatzverlust, permanenter Leistungsdruck oder unzureichende Entscheidungsspielräume gewinnen für die Beschäftigten zunehmend an Gewicht und stehen im Widerspruch zu den Erfordernissen, die Innovations- und Beschäftigungsfähigkeit von MitarbeiterInnen zu erhalten bzw. zu erhöhen.
Die menschengerechte Gestaltung von Restrukturierungsprozessen stellt eine große Herausforderung für die beteiligten betrieblichen Akteure sowie für das Bewältigungshandeln der Beschäftigten dar. Gleichzeitig sehen sich die Arbeitswissenschaften aufgrund der aktuellen „Unübersichtlichkeit“ der Arbeitsverhältnisse vor die Aufgabe gestellt, problemangemessene Modelle interdisziplinärer Kooperation zu entwickeln, Forschungslücken zu identifizieren und humane Gestaltungsansätze zu produzieren. Den BetriebsrätInnen und den betrieblichen „UmsetzerInnen“ der unteren und mittleren Führungsebene kommt dabei eine zentrale Rolle zu – geeignete Handlungshilfen sind allerdings Mangelware.
In der Konzeptionsphase des Change Projektes wurde ein grundlagentheoretisches „Problemszenario“ erstellt, dessen Leitfragen sich an den Bewältigungsszenarien zwischen Restrukturierung und psychosozialen Belastungen und Risiken orientierten. Interviews mit Praktikern (Interessenvertretung und Führungskräfte) zu diesen Fragestellungen sowie eine Auswertung von aktuellen quantitativen Studien und Gesundheitsberichten ergänzten die Befunde. Im Sinne einer interdisziplinären Kooperation nach dem Kooperations-Kontakt-Typus (Voigt 010; Peter 2011) bildeten in einem zweiten Schritt vier Institute unterschiedlicher Fachdisziplinen (artec Bremen, ISF München, iai Bochum, Institut für Arbeitswissenschaft Kassel) eigene Arbeitsgruppen. Anschließend wurden die disziplinären Herangehensweisen zur menschengerechten Arbeitsgestaltung am Beispiel von Restrukturierungsprozessen schrittweise abgeglichen und schließlich konstruktiv unter einem gemeinsamen Leitbild zur Orientierung für Gestaltungen zusammengeführt.
Im Zentrum der Transferinstrumente steht die Handlungshilfe „Mitarbeiterorientiertes Change-Management“ für „UmsetzerInnen“ und Interessenvertretungen zur niedrigschwelligen betrieblichen Sensibilisierung, gestufter Information und Prozessbegleitung mit praxistauglichen Arbeitsgestaltungsvorschlägen. Die Handlungshilfe soll Führungskräfte und Betriebs- oder PersonalrätInnen dabei unterstützen, eine vorausschauende Perspektive einzunehmen: Das Thema Gesundheit muss so in betriebliche Strukturen integriert sein, dass es auch an dynamische Veränderungen und neue Herausforderungen angepasst werden kann.
Was erhält die Beschäftigten im Change gesund?
Der Zusammenhang von (permanenten) Change-Prozessen und Gesundheit/Krankheit gilt mittlerweile durch viele Studien als belegt. Durch die richtige Gestaltung von Veränderungsprozessen können negative Auswirkungen aufgefangen werden. Dies wird dann möglich, wenn sich der Blickwinkel nicht nur auf Gefährdungen und Belastungen richtet, sondern auch auf die Ressourcen, die gesundheitsfördernden Faktoren. In Anlehnung an das Konzept der Salutogenese des Gesundheitsforschers Antonovsky bedeutet das auf der betrieblichen Ebene:
- Handhabbarkeit: Das Unternehmen macht Anforderungen lösbar, indem es angemessene Ressourcen zur Verfügung stellt und dadurch das Gefühl der Handhabbarkeit des Change-Prozesses (reagieren, eingreifen, Einfluss nehmen) erzeugt.
- Verstehbarkeit: Das Unternehmen braucht ein Management, das Kommunikation nach innen und außen, Information und Kalkulierbarkeit fördert und somit ein Gefühl der Verstehbarkeit vermittelt.
- Sinnhaftigkeit: Das Unternehmen entwickelt Ziele und Werte, die auf eine möglichst gute Integration von individuellen Zielen der Beschäftigten und Zielen des Unternehmens orientiert sind.
Gesundheitsförderliche Prozessgestaltung
Bei einer beteiligungsorientierten Gestaltung von Veränderungsprozessen gibt es keinen „one best way.“ Jedes Vorgehen muss konkret auf die jeweilige betriebliche Situation, die Art von Veränderungen und in erster Linie auf die Bedürfnisse und Perspektiven der Beschäftigten abgestimmt sein. Jedes Change Management ist prozesshaft und muss immer Schritt für Schritt begriffen und weiterentwickelt werden.
Generell wurden vier Handlungsfelder für Change-Prozesse identifiziert, die durch Ansätze und Instrumente der Prävention unterfüttert werden. Sie sind ausgerichtet auf ein Leitbild des „Take Care“, des sorgsamen Umgangs mit den Menschen, den Dingen, der Qualität der Arbeit und der Arbeitsergebnisse auch in Zeiten des Umbruchs.
1. Humane Managementmethoden (HR-Management):
Sie sollen den Zusammenhalt und das Vertrauen im Betrieb fördern und ökonomische Effizienz mit humanen Arbeitsbedingungen verbinden. Dabei spielen Fairness und Transparenz sowie ein offener Umgang mit Konflikten eine große Rolle. Die Akzeptanz von Veränderungsinitiativen geht verloren, wo der faire Umgang mit Beschäftigten nicht gewährleistet wird. In Unternehmen sollte daher auf ein Set von Maßnahmen gesetzt werden, das als partizipative Unternehmens- und Vertrauenskultur beschrieben werden kann. Offene Informationspolitik und wertschätzendes Betriebsklima sind dabei Grundelemente.
2. Arbeitsautonomie
Humane Arbeitsgestaltung basiert auf der Vorstellung, den Beschäftigten offene Handlungsspielräume im Team zu ermöglichen. Fehlende Handlungsspielräume in Verbindung mit mangelnder Anerkennung oder Handlungsspielräume, bei denen der Marktdruck auf die Beschäftigten abgewälzt wird, führen zu erhöhtem Arbeitsstress und letztlich zu arbeitsbedingten Erkrankungen. Es gilt, Autonomie nicht mit „indirekten Steuerungsformen“ zu verwechseln, sondern Möglichkeiten zu schaffen, berufliche wie private Anforderungen in Einklang zu bringen und im Sinne einer positiven Gesamtentwicklung zu bewältigen.
3. Organisationale und individuelle Bewältigungskompetenz
Resilienz (im Sinne von Anpassungs- und Bewältigungsfähigkeit in einer Organisation) zur Bewältigung von nicht intendierten und nicht vorhersehbaren Folgen des Wandels gilt als ein grundlegendes Prinzip der Zukunft. Dazu zählt auch die Fähigkeit zur Selbstsorge als individuelle Leistung von Führungskräften, Interessenvertretungen und Beschäftigten. Vermeidung von Katastrophen-Denken, lösungsorientierte Grundhaltungen und aktive Problemlösestrategien sind positive individuelle Kompetenzen in Veränderungsprozessen.
4. Arbeitsvermögen als Ressource der Arbeitsorganisation
Als Arbeitsvermögen werden alle aktuellen und perspektivischen Fähigkeiten bezeichnet, über die eine Person verfügt und die sie braucht, um ihre Tätigkeit dauerhaft auszuführen. Dazu gehört vor allem das Erfahrungswissen. Die Beschäftigten sind darauf angewiesen, dass bei Restrukturierungen einer Organisation ihr Erfahrungswissen nicht einfach wegfällt. Schließlich spielt es auch bei der Mitgestaltung (von neuen Arbeitsplätzen etc.) eine große Rolle. Aufzubauen sind Puffer, die Problemen im Verhältnis zwischen Flexibilität und Stabilität rechtzeitig entgegenwirken. Mögliche Maßnahmen sind regelmäßiges Feedback, die Verbesserung des Erfahrungsaustauschs, eine vertrauensvolle Unternehmenskultur und Instrumente zur Strukturierung, Dokumentation und Planung von Arbeit.
Diese vier Handlungsfelder sind die Eckpfeiler zur positiven Gestaltung von Change-Prozessen in Unternehmen.
Die Präventionsmatrix „Change“
Im Rahmen des Change-Projektes wurde auf der Basis der interdisziplinären Bestandsaufnahmen eine zusammenführende Gegenstandsbildung zur Gesundheit in Change-Prozessen erarbeitet. Die Präventionsmatrix stellt ein pragmatisches Modell dieser konzeptionellen Überlegungen dar. Sie beinhaltet neun elementare Elemente für eine präventive, gesundheitsförderliche Gestaltung von Veränderungsprozessen. Schritte und Strategien der Prävention werden beispielhaft vorgestellt.
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In der Matrix sollen die Möglichkeiten aufgezeigt werden, die sich auf der sachlichen und sozialen Ebene eines Unternehmens anbieten. Ein Aspekt ist die Frage „Wo wird das Instrument oder die Maßnahme eingesetzt?“: Sind die Adressaten eher die Beschäftigten (Individuum/Gruppe), die Abteilung (Gruppe/System) oder das gesamte Unternehmen (System/Netzwerk)? Diese Dimension nennen wir die Sozialdimension einer Maßnahme. Die Sachdimension unterscheidet die Instrumente oder Maßnahmengruppen nach den Inhalten und dem Ziel des Einsatzes. Wird das Instrument zur Analyse von Arbeitsbedingungen und/oder Ermittlung von möglichen Gefährdungen benötigt? Oder soll das Verfahren vielmehr den Wissenstransfer im Unternehmen verbessern? Die Matrix ist daher eine Handlungsorientierung wie auch eine Hilfe zur Auswahl in der Gestaltung der Prävention in Change-Prozessen.
Ausgehend von einem mehr oder weniger bereits bekannten Instrument, wie z.B. der Gefährdungsbeurteilung (1a), geht es zunächst darum, diese in einen für Change-Prozesse notwendigen vorausschauenden Präventionsansatz zu integrieren. Es besteht sodann die Möglichkeit, in Richtung der beiden Matrix-Dimensionen Anknüpfungen für nächste Schritte zu finden, z.B. entweder in sozialer Richtung zu Gesundheitszirkeln (1b) überzugehen, in sachlicher Richtung zu Modellen menschengerechter Arbeitsgestaltung (2a) oder diagonal zur Entwicklung teilautonomer Arbeitsgruppen (2b). Die „Andockung“ von weiteren Maßnahmen muss vor Ort auf Basis der spezifischen Problemstellung entschieden werden. Aus unserer Sicht ist die Auswahl allerdings nicht völlig beliebig. Eine einzige, punktuelle Maßnahme wäre deutlich zu wenig, um einen „gesunden Change-Prozess“ voranzutreiben. Umgekehrt führt aber auch nicht der Einsatz aller Maßnahmen zum Ziel – wir empfehlen eine Auswahl von drei nacheinander folgenden Maßnahmen, die einen Prozess anstoßen und die verschiedenen Ebenen einbeziehen.
Fazit:
ArbeitnehmerInnen sind von Restrukturierungen ganzheitlich betroffen; diese berühren nicht nur die Fragen der Sicherheit der Arbeitsplätze, sondern auch die der neuen qualifikatorischen Anforderungen, der neuen Kooperationszusammenhänge, der neuen Führungssysteme und Managementstile. Die ganzheitliche Betroffenheit der Beschäftigten erklärt auch das hohe Maß psychosozialer Belastungen. Umstrukturierungen entwerten das Erfahrungswissen und verunsichern die Gefühlswelt der Betroffenen. Dabei ist als Ursprung psychosozialer Risiken und somit als Schlüssel für die Prävention die Gestaltung von Arbeit und Arbeitsprozessen zu sehen, einschließlich der jeweiligen sozialen Kontexte sowie die Einordnung in sinnstiftende gesellschaftliche Bezüge.
| Der Autor Dipl. Sozwiss. Arno Georg ist Koordinator des Forschungsbereiches Arbeitspolitik und Gesundheit an der Sozialforschungsstelle Dortmund/TU Dortmund sowie Mitarbeiter des Dortmunder Forschungsbüro für Arbeit, Prävention und Politik (DOFAPP). |
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