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Mochte es schauerlich: Theodor Storm (Foto: Dark Illusion/Fotolia.com)
Spuk- und Gespenstergeschichten

Theodor Storm: Das kranke Kind

ESV-Redaktion Philologie
21.03.2017
Im März wird’s gruselig: Sämtliche der schauerlichen Erzählungen, die Theodor Storm im Laufe seines Lebens sammelte, erscheinen unter dem Titel Theodor Storm: Spuk- und Gespenstergeschichten. Mit unserer exklusiven Leseprobe – „Das kranke Kind“ – möchten wir Sie allerdings bereits jetzt schon einmal das Fürchten lehren.
(erzählt von Frl. D. St.)1

Der kleine Ferdinand, Sohn des Kaufmanns M., litt an starkem Schnupfen, und klagte dabei über etwas Schmerz2 im Halse; ängstlich fragte die Mutter den Vater, ob sie nicht lieber zu einem Arzte schicken solle? – „Mach dich doch nicht lächerlich“, sagte der Mann, „solche Jungens können sich wohl einmal3 erkälten, wenn man darum gleich den Arzt holen wollte, da hätte man was4 zu thun.“

Muttersorge war indeß nicht so leicht zur Ruhe gesprochen; sie schickte ins Geheim zu einem alten Freunde ihres Mannes, der in seiner Jugend Medizin studirt hatte, und ließ ihn bitten, wie von ohngefähr bei ihnen vorzukommen; ihr Ferdinand sei so sehr erkältet, und der Vater wolle5 noch nicht gern6 zum Arzt schicken.

G. kam und ging deswegen in die bekannte Kinderstube, wo er die Mutter traf, aber nicht den Knaben; „Na!“ sagte er, als er sich vergebens nach ihm umgesehen, wo haben wir denn unsern Kranken? Doch nicht auf der Straße? „O nein! Lieber Herr G.“ sagte Madame M., „er liegt oben auf dem Sopha!“ Damit meinte sie die Wohnstube, zu welcher einige Treppen aus der Kinderstube hinauf gingen. So wie sie sprach, ging er zur Treppe, wie er aber den Fuß auf die erste Stufe setzen wollte, trat er erschreckt zurück und an die Seite, hielt auch die Frau dahin zurück, die ihn fragend ansah, und über seine Blässe erschrak.

„Was ist Ihnen?“ sagte sie. Er stotterte einige unverständliche Entschuldigungen7, und ging hinauf, sagte auch so gleichgültig, wie ihm möglich8 war, man habe doch wohl besser einen Arzt zu fragen, da er einiges Fieber verspüre. – „Ach bester Herr G! Es hat doch keine Gefahr?“ fragte die Mutter. – „Bewahre! Bewahre! Es ist nur zur Beruhigung“, antwortete G. – Acht Tage darauf kam dieser leise ins Haus, und ging ebenso leise nach der Kinderstube. Als er die Treppe hinauf gehen wollte, kam man ihm mit der Leiche des kleinen F. entgegen, gerade wie er es damals gesehen, als er zurücktrat, und die Frau auch zurückhielt. –
Dicht hinter ihm stand die weinende Mutter. –
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1 (erzählt von Frl. D. St.)] unterstrichen
2 Schmerz] aus Schmerzen; diese und alle weiteren Ergänzungen in Storms Handschrift
3 einmal] aus mal
4 was] aus waß
5 wolle] aus wollte
6 gern] gerne
7 Entschuldigungen] nach gestrichenem Worte
8 möglich] aus besser


Jede Erzählung in Theodor Storm: Spuk- und Gespenstergeschichten ist mit einem Kommentar versehen. Herausgeber Prof. Dr. Gerd Eversberg erläutert darin, welche Quellen Storm für die jeweilige Geschichte benutzte. Erkennbar wird außerdem, warum Storm gerade diese Geschichte für seine Sammlung auswählte. 

Kommentar zu: „Das kranke Kind“

H: NG Nr. 23 mit der Überschrift Das kranke Kind.; links mit Bleistift 22 und ein x. Darunter unterstrichen (erzählt von Frl. D. St.). Handschrift der Erzählung von Schreiber 2. Im Register mit * markiert. NG, Blattnummern 59–60. Gedruckt in: Laage 2011, S. 63.

Die Putzmacherin Anna Catharina Dorothea (Doris) Stamp, geb. 1801 in Friedrichstadt, veröffentlichte in lokalen Wochenblättern und Kalendern kurze Erzählungen; sie besaß später eine Leihbibliothek in Rendsburg. In den 1840er Jahren wohnte sie zusammen mit der Witwe Anna Tripel in Husum, Großstraße 35.

Doris Stamp hat eine Reihe von Sagen für die von Karl Müllenhoff herausgegebene Sammlung und sieben Beiträge zu Storms „Neuem Gespensterbuch“ geliefert. Am 6. Februar 1848 schrieb sie an Storm (unveröffentlichter Brief, SHLB): „Ich muß es aber Ihnen hier zugleich gestehen daß ich Ihnen lange Zeit etwas schief genommen habe, werden Sie mir es verzeihen? – Es war in mir zur festen Idee geworden daß Sie Alles u<nd> Jedes was in Geister- und Gespenster-Geschichten aufgeschrieben wurde, an Müllenhoff für seine Schl<eswig>. Holst<einischen>. Sag<en>. u Märch<chen>. gegeben, bis ich Selbige erhielt u<nd>. mich überzeugte wie Wenige nur hinzugekommen bis dahin hoffte ich von Ihnen Sie werden wenigstens sorgen daß ich sie zum lesen bekäme, für meine Leihbibliothek hielt ich sie nicht passend und dennoch haben sie sich schon freigelesen und sind fast immer aus, wie denn auch die Volksbücher sich sehr gut anbringen. […]

Zum Schlusse muß ich noch erwähnen daß ich vor 1 Woche hier, eine so interessante Husumer Spuckgeschichte erfahren, die auf der Neustadt spielt, in Fedder Eddings Hause, kann es Sie noch interessiren, so schreiben Sie nur gefälligst, daß ich sie Ihnen aufschreibe. [...] zum Volksbuche kann ich nicht wieder beitragen, aus dem triftigen Grunde weil ich nichts weiß, auch keine Zeit übrig habe nur daran zu denken.“ Von dieser Spukgeschichte ist nichts bekannt.

Zum Buch
Das Buch Theodor Storm: Spuk- und Gespenstergeschichten erscheint im März im Erich Schmidt Verlag. Wenn wir Sie neugierig gemacht haben mehr zu lesen, dann können Sie das Buch bequem hier bestellen.

Zum Herausgeber
Gerd Eversberg war 22 Jahre Direktor des Theodor-Storm-Zentrums in Husum und Sekretär der Theodor-Storm-Gesellschaft. Nach dem Studium der Theaterwissenschaften, Kunstgeschichte, Germanistik, Philosophie und Pädagogik in Köln promovierte er über den Fauststoff vor Goethe und war als Studiendirektor an verschiedenen Gymnasien und in der Lehrerausbildung tätig. Neben seinen Arbeiten zur Fachdidaktik Deutsch und Philosophie hat er zahlreiche Veröffentlichungen zu Theodor Storm und anderen Schriftstellern des 19. und 20. Jahrhunderts vorgelegt, darunter eine historisch-kritische Edition der „Schimmelreiter“-Novelle im Erich Schmidt Verlag. Seit 2011 lehrt er als Honorarprofessor am Seminar für deutsche Philologie an der Georg-August-Universität in Göttingen.

 

(ESV/ln)

Programmbereich: Germanistik und Komparatistik