Whistleblowing
Von Rut Groneberg. Duncker & Humblot, Schriften
zum Sozial- und Arbeitsrecht, Passau 2011, 351 Seiten.
Der Begriff Whistleblowing ist bis heute nicht allgemeingültig definiert, aber
gleichwohl seit einigen Jahren fester Bestandteil des alltäglichen Sprachgebrauchs
im Bereich der Compliance. Umso mutiger erscheint der Versuch Rut Gronebergs in
ihrer durch Klaus Schurig an der Universität Passau betreuten Dissertation, das
Phänomen rechtsvergleichend zu untersuchen, dessen Diskussion durch die (zum Zeitpunkt
der Erstellung der Dissertation noch nicht ergangene und daher nicht
dargestellte) Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom
21. Juli 2011 (Heinisch ./. Deutschland, Nr. 28274/08) zum Fall einer wegen
einer Strafanzeige wegen Betruges gekündigten Altenpflegerin in der jüngsten
Vergangenheit noch einmal neue Impulse erhalten hat.
Im einleitenden ersten Teil befasst sich Groneberg mit einigen Beispielen zum
Thema Whistleblowing (allen voran mit dem sicherlich bekanntesten Beispiel
Enron) und steckt mit einer weiten Definition des Begriffes Whistleblowing den
äußeren Rahmen ihrer Arbeit ab. Hierbei unterscheidet sie zwischen der Meldung
arbeitsplatzbezogener Missstände und Fehlverhaltens und der (im Rahmen der
vorliegenden Arbeit nicht behandelten) Weigerung eines Arbeitnehmers, illegale
Handlungen vorzunehmen, sowie zwischen internem und externem Whistleblowing.
Die in diesem Zusammenhang aufgestellte Behauptung, das Aufdecken von Fehlern
liege im Interesse einer Organisation und Whistleblowing sei daher eine
effektive Form, vorhandene Ressourcen zu nutzen, überrascht. Groneberg
unterscheidet an dieser Stelle nämlich nicht hinreichend zwischen internem und
externem Whistleblowing. Während ihre Wertung in Fällen des internen Whistleblowings
sicherlich Zustimmung verdient, ist sie für Fälle des externen Whistleblowings
nicht hinreichend unterfüttert. Hier werden Unternehmensinteressen und
Interessen der Allgemeinheit miteinander vermengt. Dies ist insbesondere auch
deshalb bedauerlich, da Groneberg nach einer kurzen Betrachtung der
unterschiedlichen gesellschaftlichen Akzeptanz, beispielsweise in den USA und
in Deutschland, die unterschiedlichen Interessen der Arbeitgeber, Arbeitnehmer
und der Allgemeinheit im Folgenden klar voneinander abgrenzt. Abgerundet wird
der erste Teil der Darstellung mit einer Übersicht über Whistleblowing-bezogene
Maßnahmen internationaler (Regierungs- und Nichtregierungs-)Organisationen.
Im zweiten Teil der Arbeit bietet Groneberg einen umfassenden Überblick über
die arbeitsrechtlichen Aspekte des Whistleblowings in England und den USA.
Hierfür zeigt sie nach einer kurzen Einführung in das System des Common Law
sowie das Arbeitsrecht und die Gerichtsbarkeit in England und den USA zunächst
die Entwicklung des Whistleblowing-Rechtes in beiden Jurisdiktionen hin zum
Public Interest Disclosure Act 1998 (PIDA 1988) in England und der sehr viel
unübersichtlicheren US-amerikanischen Gesetzgebung auf. Es folgen Ausführungen
zu persönlichem und sachlichem Geltungsbereich, den Adressaten der Offenlegung,
der Bedeutung der Motive des Hinweisgebers und Fragen der Rechtsdurchsetzung.
Zu all diesen Aspekten gibt Groneberg auch jeweils einen rechtsvergleichenden
Überblick, in dem sie Gegensätze und Gemeinsamkeiten der amerikanischen und
englischen Rechtslage sorgfältig und trotzdem übersichtlich darstellt.
Im dritten Teil, gleichsam dem Kernstück ihrer Arbeit, beschäftigt sich
Groneberg mit der bestehenden rechtlichen Situation des Whistleblowings in
Deutschland und beschreibt die ihrer Auffassung nach erforderliche gesetzliche
Regelung.
Dabei geht die Autorin im Rahmen der Analyse des Ist-Zustandes davon aus, dass
in den deutschen Tochterunternehmen US-amerikanischer Konzerne zunehmend
Ethikrichtlinien erlassen werden, die ihre Mitarbeiter dazu verpflichten,
jegliche Verstöße gegen Gesetze, Verordnungen sowie die internen Richtlinien zu
melden. Dies ist aber sicherlich nur ein Teil der Realität. Daneben stehen die
vielen Unternehmen, die ihren Mitarbeitern und Dritten keine Verpflichtung
auferlegen, sondern (internes) Whistleblowing als eine wertvolle Art und Weise,
von Missständen im Unternehmen Kenntnis zu erlangen, betrachten.
Auch die lediglich in den Raum gestellte Behauptung, es werde erkannt, dass es
eines umfassenden Schutzes vor arbeitsrechtlichen Konsequenzen bedürfe, damit
Mitteilungen von Arbeitnehmern gefördert werden, dürfte mit einem Fragezeichen
zu versehen sein. Die Erfahrungen der Praxis jedenfalls spiegelt eine solche
Aussage nur unzureichend wider. Sicherlich ist der Autorin zuzustimmen, dass
die Angst vor dem Verlust des Arbeitsplatzes potentielle Hinweisgeber von einer
Kontaktaufnahme mit den hierzu im Unternehmen Berufenen (ebenso wie mit der
Staatsanwaltschaft oder anderen Behörden) abzuschrecken vermag. Damit ist aber
nicht die Frage beantwortet, ob eine (gegebenenfalls rein symbolische)
Gesetzgebung hieran etwas zu ändern vermag.
Dass tatsächlich auch nach bisherigem Recht ein – wie im Arbeitsrecht insgesamt
nicht unüblich – zu einem großen Teil von der Rechtsprechung entwickelter
Schutz von Arbeitnehmern vor ungerechtfertigten Kündigungen im Zusammenhang mit
Whistleblowing-Fällen besteht, weist die Autorin selbst nach, indem sie die
Rechtslage für Fälle internen Whistleblowings präzise und übersichtlich unter
den Gesichtspunkten des Maßregelverbotes, der Schadenabwendungs- und der
Interessenwahrungspflicht, der Verschwiegenheitspflicht und der Wahrung der
betrieblichen Ordnung darstellt. Groneberg selbst kommt in diesem Zusammenhang
zu dem Ergebnis, dass „interne Beanstandungen einem weitgehenden Schutz
unterliegen“ (S. 221). Etwas anders stellt sich die Situation, so Groneberg,
für Fälle des externen Whistleblowings dar, wobei sie zwischen Hinweisen
gegenüber Strafverfolgungsbehörden und anderen Behörden einerseits und
Hinweisen gegenüber der Öffentlichkeit (womit sie in erster Linie Hinweise an
die Presse meint) differenziert.
Hinsichtlich der Hinweise an Strafverfolgungsbehörden zeigt sie zunächst die
Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes und des Bundesarbeitsgerichtes
auf, wonach eine Kündigung eines Arbeitnehmers auf Grund einer Aussage
gegenüber Strafverfolgungsbehörden jedenfalls dann nicht zulässig ist, wenn die
Arbeitnehmeranzeige keine unverhältnismäßige Reaktion auf ein Arbeitgeberverhalten
ist. Zur Bestimmung der Verhältnismäßigkeit einer Anzeige hat das
Bundesarbeitsgericht einige Kriterien herausgearbeitet; hiernach soll der
Versuch einer vorherigen unternehmensinternen Klärung unzumutbar (und die
Anzeige daher verhältnismäßig) sein bei schwerwiegenden Straftaten, bei vom
Arbeitgeber selbst begangenen Straftaten, wenn interne Abhilfe nicht zu
erwarten ist oder wenn sich der Arbeitnehmer durch die Nichtanzeige selbst der
Gefahr der Strafverfolgung aussetzt. Auf der anderen Seite spricht eine
Schädigungsabsicht des Arbeitnehmers regelmäßig gegen die Verhältnismäßigkeit
der Anzeige und somit für die Rechtmäßigkeit der Kündigung. Anschließend
verneint die Autorin überzeugend die Übertragbarkeit dieser Grundsätze auf das
öffentliche Dienstrecht.
Hinsichtlich Anzeigen gegenüber anderen Behörden gibt Groneberg zunächst eine
Übersicht über die gesetzlichen Vorschriften, die derartige Meldungen
spezifisch vorsehen – zu nennen sind hier beispielsweise § 4g Abs. 1 S. 2 BDSG
und § 17 Abs. 2 S. 1 ArbSchG. Auf der bundesgerichtlichen Ebene zeigt Groneberg
sodann die Entwicklung der Rechtsprechung auf, wonach der Arbeitnehmer
gegebenenfalls (als milderes Mittel) gegenüber rechtswidrigen Anweisungen des
Arbeitgebers die Arbeit verweigern kann und andererseits zu differenzieren ist
zwischen gewöhnlichen Beschäftigten und Beschäftigen mit besonderen Positionen
(wie zum Beispiel dem Strahlenschutzbeauftragten). Daneben gilt aber nach einer
Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts aus dem Jahr 1991 auch im Zusammenhang
mit Anzeigen gegenüber anderen Behörden wiederum, dass Anzeigeerstatter, die
mit bloßer Schädigungsabsicht handeln, nicht schutzwürdig sind. Auf der
landesarbeitsgerichtlichen Ebene nimmt die Autorin sodann im Zusammenhang mit
Whistleblowing gegenüber Behörden eine Entscheidung des Landesarbeitsgerichtes
Baden-Württemberg aus dem Jahr 1976 zum Anlass für Kritik. In dem dieser
Entscheidung zugrunde liegenden Fall hatte das Landesarbeitsgericht die
ordentliche Kündigung eines Schweißers, der zunächst intern und später auch
extern gegenüber dem Gesundheitsamt und der Gewerbeaufsicht Bedenken über die
Gesundheitsschädlichkeit seiner Schweißarbeit erhoben hatte, aufrechterhalten
und dies damit begründet, der Arbeitnehmer hätte sich durch die Benutzung einer
Atemschutzmaske selbst schützen können. Abgesehen davon, dass diese
Entscheidung, worauf Groneberg auch hinweist, heftige Kritik erfahren hat,
zeigt sie in der Folge aber auf, dass auch in Fällen des Whistleblowings
gegenüber anderen Behörden die Rechtsprechung (des LAG Köln, aber auch des LAG
Baden-Württemberg) mittlerweile arbeitnehmerfreundlich ist.
Soweit es schließlich Hinweise an die Öffentlichkeit (welche hier totum pro
parte in erster Linie für die Medien steht) betrifft, ist nach der Darstellung
Gronebergs stets eine Einzelfallabwägung unter Beachtung von Art. 5 Abs. 1 GG
vorzunehmen. Im Folgenden zeigt sie, unter anderem anhand der Rechtsprechung
der Landesarbeitsgerichte, auf, dass auch in diesem Zusammenhang dem Vorliegen
oder der Abwesenheit einer Schädigungsabsicht in der Person des Hinweisgebers
eine bedeutsame Rolle zukommt.
Zusammenfassend legt Groneberg dar, dass sich der Rechtsprechung entnehmen
lasse, dass es „grundsätzlich erforderlich [sei], die Motivation einzubeziehen
und im Rahmen der Zumutbarkeit vor einer Strafanzeige auf eine interne Abhilfe
hinzuwirken“ (S. 231). Dem Hinweisgeber, der sich an die Öffentlichkeit wendet,
seien dagegen engere Grenzen gesetzt; die Beeinträchtigung der
Arbeitgeberinteressen sei „nur bei der Enthüllung schwerwiegender Missstände“
(S. 232) gerechtfertigt.
Es fällt schwer nachzuvollziehen, warum die Autorin anschließend gleichwohl der
Ansicht ist, dass es einer gesetzgeberischen Maßnahme bedürfe. Als Begründung
hierfür führt Groneberg mangelnde Rechtssicherheit und Klarheit ins Feld. Vor
dem Hintergrund ihrer eigenen Ausführungen zu dem in Deutschland sehr
weitgehenden arbeitsrechtlichen Schutz des Hinweisgebers ist es aber nicht
überraschend, dass Groneberg in ihrem eigenen Vorschlag einer gesetzlichen
Regelung nur an wenigen Stellen wirkliche Neuerungen liefert: Ihre Kritik, eine
(im Gesetzesvorschlag verschiedener Bundesministerien aus dem Jahr 2008
angelegte) Unterscheidung zwischen Arbeitnehmern und anderen Beschäftigten
führe zu unnötigen Abgrenzungsschwierigkeiten, verdient Zustimmung. Ihr
hiergegen gerichteter Vorschlag, auch zu ihrer Berufsbildung Beschäftigte und
auf Grund wirtschaftlicher Unselbständigkeit arbeitnehmerähnliche Personen in
den Anwendungsbereich einer gesetzlichen Regelung aufzunehmen, ist ebenso
folgerichtig wie die Erstreckung auf Bewerber und ehemalige Arbeitnehmer.
Überzeugend sind insbesondere auch die Ausführungen zum sachlichen
Anwendungsbereich einer Regelung. In der Tat ist bei vielen von Unternehmen
eingerichteten Whistleblowing-Systemen nicht hinreichend deutlich definiert,
für welche Art von Regelungsverstößen ein Meldungskanal eröffnet ist. Und auch
die Rechtsprechung ist in diesem Zusammenhang (notwendig) unpräzise und nicht
abschließend. Wenn Groneberg daher vorschlägt, eine gesetzliche Regelung müsse
Hinweise auf strafbare und nicht strafbare Regelverstöße sowie vergangene,
gegenwärtige und zukünftige Schäden erfassen, so geht dies sehr weit, bietet
aber den nicht zu leugnenden Vorteil der Klarheit einer gesetzlichen Regelung
und vermeidet Regelungslücken.
Im Übrigen erschöpft sich Gronebergs Vorschlag im Wesentlichen in einer
Zusammenfassung der durch die Rechtsprechung bereits aufgestellten Grundsätze,
wobei sie in dankenswerter Klarheit Schwächen des ministeriellen Entwurfes
eines neuen § 612a BGB aufzeigt.
Deutliche Kritik verdienen Gronebergs Ausführungen dahingegen, wenn sie die
Forderung aufstellt, in der Gesetzesbegründung zu einem neuen § 612a BGB solle
unmissverständlich hervorgehoben werden, dass die Motive eines Hinweises
unbeachtlich seien. Groneberg begründet diese Forderung letztlich damit, der
Whistleblower handele „unabhängig von seiner Motivation(,) objektiv im
Interesse der Öffentlichkeit, wenn er auf tatsächlich bestehende Missstände
aufmerksam macht“, er sei daher „in dieser Konstellation stets schutzwürdig“.
Unabhängig davon, dass es dem Sinn des PIDA 1998 entsprechen mag, „Hinweise im
öffentlichen Interesse zu schützen“ (Verweis auf S. 152), stellt dies keine
Antwort auf die Frage dar, warum das deutsche Recht eine solche Sichtweise
übernehmen soll.
Soweit die Autorin im rechtsvergleichenden Teil das englische und amerikanische
Recht untersucht hat, um auf diese Weise „Kriterien effektiver und ausgewogener
Schutzinstrumente“ auch in Deutschland herauszuarbeiten (S. 234), überzeugen
ihre Ausführungen wenig: Es fehlt eine tragfähige Begründung dafür, warum die
Grundsätze ausländischen Rechtes an dieser Stelle in deutsches Recht übernommen
werden sollen. So bleiben auch die Ausführungen der Autorin de lege ferenda
wenig einleuchtend: Dass es beispielsweise einer eindeutigen Formulierung
bedarf, dass das Interesse der Allgemeinheit an der Aufdeckung von Missständen
in die Interessenabwägung einzubeziehen ist, ist in dieser Form ein bloßes
Postulat, welches die Autorin nicht belegt.
Gleichwohl ist die vorliegende Arbeit Gronebergs gerade auch für den Praktiker
lesenswert, da sie einen umfassenden und gut lesbaren Überblick über die in
erster Linie durch die Rechtsprechung aufgestellten Grundsätze zur
Verhältnismäßigkeit von Hinweisen an Behörden und die Öffentlichkeit bietet,
wobei insbesondere die klare Differenzierung zwischen Strafverfolgungsbehörden
und anderen Behörden positiv hervorzuheben ist.
Rechtsanwalt Sascha Kuhn, Düsseldorf
Quelle: WiJ Ausgabe 1.2013