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Workshops zur ASiA (Foto: Woodapple - Fotolia)
Betriebliche Organisation

Wie setzt man Erkenntnisse der Gefährdungsbeurteilung um?

Frank Wattendorff
08.08.2016
In Betrieben, in denen das Thema psychische Belastungen durch Screening oder Mitarbeiterbefragung bearbeitet wurde, haben Betriebsärzte, Sicherheitsingenieure und Mitglieder der Personalvertretung zwar eine Ahnung, wo die Probleme liegen. Konkreten Maßnahmen zur Reduktion der Fehlbelastungen, die bei allen Beschäftigten akzeptiert werden, bleiben dennoch häufig aus.
Wie können Maßnahmen entwickelt werden, die von den Mitarbeitern und ihren Vorgesetzten akzeptiert und mitgetragen werden?

Maßnahmenentwicklung nach der Gefährdungsanalyse psychischer Belastungen mit der Arbeitssituationsanalyse (ASiA)

Aus meiner Erfahrung als beratender Arbeitswissenschaftler hatte man sich vor dem Einsatz eines Screeningverfahrens oder einer Mitarbeiterbefragung teilweise zu wenig Gedanken darüber gemacht, wie mit den Ergebnissen einer solchen Grobanalyse umgegangen werden soll. Auch ist häufig nicht ausreichend geklärt, in welche Entscheidungs- bzw. Managementstruktur die Beurteilung der ganzheitlichen Arbeitsbedingungen eingebunden ist. Dann hat man durch die Erhebung Erwartungen geweckt, denen man nur schwer gerecht werden kann, und die Ergebnisse werden ohne Maßnahmenplan dokumentiert oder irgendwo abgelegt.

Wenn Sicherheitsfachkräfte und Betriebsärzte das Thema der Beurteilung arbeitsbedingter psychischer Belastungen und Beanspruchungen bearbeiten wollen, müssen sie sich darüber im Klaren sein, dass eine Befragung schon eine massive Intervention in das bestehende System ist.

Wesentlich sind die folgenden Strukturen vor dem Screening: Wie werden Maßnahmenvorschläge zur Reduktion von Fehlbelastungen aufgrund der ermittelten Ergebnisse entwickelt? Wer prüft jeden Vorschlag? Wer entscheidet, ob, wie und wann er umgesetzt wird? Anhand welcher Kriterien soll er evaluiert werden?

Dabei sind auch die entsprechenden Mitbestimmungsrechte der Personalvertretungen zu berücksichtigen.

Die ASiA – Arbeitssituationsanalyse

Die von Prof. Peter Nieder für den Bereich der Personalentwicklung konzipierte Methode der Arbeitssituationsanalyse (ASiA) wurde in einem Projekt zur Einführung eines integrierten Gesundheitsmanagements eingesetzt und zu einem beteiligungsorientierten Workshopkonzept zur Feinanalyse und zur Entwicklung von Maßnahmenvorschlägen weiter entwickelt. Mit diesem Instrument werden aufbauend auf der Analyse direkt Maßnahmen zur Fehlbelastungs- und Risikoreduktion und zur Stärkung der Arbeitsmotivation sowie der persönlichen und betrieblichen  Ressourcen unter aktiver Beteiligung der betroffenen Beschäftigten entwickelt. Bisher ist das Instrument sowohl im öffentlichen Dienst wie in Produktions- und Dienstleistungsunternehmen erfolgreich eingesetzt worden.

Wenn Mitarbeiterbefragungen durchgeführt werden, aus deren Ergebnissen später keine Maßnahmen abgeleitet oder umgesetzt wurden, entsteht eine Demotivation der Beschäftigten, die dem Ansehen des betrieblichen Arbeits- und Gesundheitsschutzes schaden kann.

Die ASiA bietet den Vorteil, dass erste Maßnahmen direkt umgesetzt werden können. Zum Teil werden ganz simple Verbesserungen endlich eingeführt, wie z. B. die bessere Ausstattung von Bereitschaftsräumen, in denen man sich während des nächtlichen Bereitschaftsdienstes aufhält. Ebenso können auch ergonomische Fragen zu Klima- oder Lärmbelastungen, die eine Überprüfung in bestimmten Arbeitsbereichen notwendig machen, ein Ergebnis sein. In einem weiteren Fall wurde deutlich, dass der Wartungszustand der Kipp- und Haltevorrichtungen an einer Montagelinie die Beschäftigten dazu veranlasste, Hilfsmittel nicht zu nutzen und Zwangshaltungen einzunehmen, was von den Arbeitsschutzexperten zunächst als ergonomisches Verhaltensproblem beurteilt wurde. Erst durch die sehr genaue Beschreibung der Arbeitssituation im Workshop wurde deutlich, dass die Hilfsmittel in den letzten Jahren nicht an neue Produkte angepasst und insgesamt schlecht gewartet waren, sodass ihr Einsatz eine hohe Kraftanstrengung erforderte und insbesondere eine Verzögerung im Montageprozess hervorrief, der das ganze Team unter Zeitdruck brachte. Die Lösungsvorschläge der Beschäftigten bestanden darin, die Montagevorrichtungen an die Produktvielfalt anzupassen und die einfachen Vorrichtungen in den Wartungsplan mit aufzunehmen, was sowohl die Prozessverläufe verbesserte als auch die Belastungen reduzierte.

Solche Situationen und häufige weitere kleine Ärgernisse bewirken eine gereizte Stimmung, verändern auf die Dauer das Teamklima und führen dazu, dass sich die Beschäftigten von ihren Führungskräften nicht unterstützt und wertgeschätzt fühlen.

Das Workshopkonzept

Um Missverständnissen vorzubeugen: Die Arbeitssituationsanalyse ist keine Methode, die flächendeckend in den Betrieben eingesetzt werden soll, sondern sie ist dort sinnvoll einzusetzen, wo man durch die Auswertung von Daten, Befragungen oder Beschwerden feststellt: Es besteht Handlungsbedarf!

In dem Workshop zur ASiA können zwischen 8 und 16 Personen teilnehmen. Die Teilnahme muss freiwillig sein. Es sollte sich dabei um eine homogene Berufsgruppe aus gleichem Kontext und aus nur einer Hierarchieebene handeln. Für die Führungskräfte wird in einem gesonderten Workshop mit den gleichen Fragestellungen gearbeitet oder, wenn es nur einzelne Führungskräfte sind, werden Einzel- oder Gruppeninterviews mit den gleichen Fragen durchgeführt. Die Interviews mit den Führungskräften haben dabei zwei Perspektiven: Einerseits geht es um die Einschätzung der eigenen persönlichen Arbeitssituation und damit verbundene Verbesserungsvorschläge; andererseits um die Beurteilung, wie ihre Mitarbeiter die Fragen beantworten werden. Diese doppelte Einschätzung ermöglicht den Moderatoren bei der Auswertung einen Vergleich, ob das Selbstbild der Führungskraft dem Fremdbild entspricht. Die Führungskräfte-Interviews oder -Workshops sollten nach Möglichkeit vor den Workshops mit den Mitarbeitern stattfinden, denn damit wissen die Führungskräfte, was im Workshop gefragt wird und wie es abläuft.

Die Moderationsrolle ist neutral. Es sollte zwischen dem Moderator und den Teilnehmenden keine direkte Arbeitsbeziehung bestehen. Die Durchführung einer ASiA unterliegt in jedem Falle der Mitbestimmung durch den Betriebs- und/oder den Personalrat. Bei der Planung zur Durchführung der ASiA und zur Umsetzung der entwickelten Maßnahmen muss dafür gesorgt sein, dass zeitliche und finanzielle Ressourcen vorhanden sind. Es darf auf keinen Fall passieren, dass die Mitarbeiter in den Workshops nach ihren Verbesserungsvorschlägen gefragt werden, für die Prüfung und Umsetzung der Vorschläge jedoch keine Strukturen und Ressourcen vorhanden sind. Aus unserer Erfahrung werden sehr realistische und kostenbewusste Vorschläge gemacht, da die Beschäftigten die angespannte Finanzsituation z.B. im Gesundheitswesen oder in den Kommunen sehr genau kennen. Ein Abteilungsleiter kommentierte in einem Gespräch die Vorschläge so: „Ich dachte, Sie entwickeln Gesundheitsmaßnahmen, aber wir haben ja mehr Vorschläge zur Verbesserung der Arbeitsabläufe und -Prozesse und zur Personalentwicklung erhalten; sind Sie Organisations- oder Gesundheitsberater?“ Die Antwort kann nur sein: beides. Denn die meisten psychischen Fehlbelastungen haben ihre Ursachen in den Defiziten der Organisation, hier insbesondere in Kommunikationsdefiziten bzw. einer nicht der Qualifikation entsprechenden Tätigkeit, die zu Überforderung kombiniert mit Termindruck oder mit Monotonie gepaarter Unterforderung führt.

Die ASiA ermöglicht in kurzer Zeit den Schatz an Erfahrungswissen zu bergen, z.B. über Störungen von Prozessen oder Anlagen, den Zusammenhang zur Entstehung von Termindruck und die Hintergründe riskanten Verhaltens. Nach § 17 Arbeitsschutzgesetz sind die Beschäftigten berechtigt, dem Arbeitgeber Vorschläge zu allen Fragen der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit zu machen. Die
ASiA hilft dies zu ermöglichen.

Die Arbeitssituationsanalyse hat einige Vorteile auch gegenüber anderen beteiligungsorientierten Verfahren:

  • Die Analyse bietet den Mitarbeitern die Chance zur Mitgestaltung der ganzheitlichen Arbeitsbedingungen durch ihre aktive Teilnahme
  • Die Mitarbeiter werden als wahre Experten für ihre Arbeitssituation befragt
  • Die Beteiligten der Workshops werden zuProblemlösern
  • Die Kommunikation wird auf verschiedenen Ebenen angeregt und dadurch möglicherweise schon verbessert
  • Die Mitarbeiter nehmen selbst eine Komprimierung ihrer Wünsche vor und setzen damit Prioritäten
  • Die Führungskräfte sind eingebunden und ihre Arbeitssituationen und Vorschläge werden gleichberechtigt thematisiert
  • Die Ergebnisse sind schnell ermittel- und verfügbar für den Umsetzungsprozess
  • Die Ergebnisse sind situationsspezifisch
  • Die Ergebnisse sind informativer als Checklisten, weil sie qualitativ erhoben wurden
  • Das Ergebnis ist für alle deutlich sichtbar (transparent), nachvollziehbar und dokumentiert
  • Zwischen den Workshops und der Bekanntgabe der Ergebnisse bzw. Umsetzung der ersten Maßnahmen vergeht kaum Zeit (erste Maßnahmen zum Teil direkt oder spätestens nach zwei bis vier Wochen)

Bei der konkreten Vorgehensweise sollten folgende Schritte von den Initiatoren, Sicherheitsfachkräften und Betriebsärzten eingehalten werden:

  1. Unternehmensleitung und Personalvertretung einigen sich auf das Verfahren. 
  2. Es sind Strukturen vorhanden oder werden geschaffen,  die garantieren, dass die erarbeiteten Vorschläge genau  geprüft und nach Möglichkeit umgesetzt werden. Da- bei muss zwischen kurzfristigen Maßnahmen, die direkt  umgesetzt werden können; mittelfristigen Maßnahmen  (z.B. Aufbau einer neuen Kommunikationsstruktur oder einer Konflikt-Mediation) und langfristigen Maßnahmen  (wie z.  B. Qualifizierungsprozessen oder Maßnahmen  die in Investitionspläne aufgenommen werden müssen)  unterschieden werden.  
  3. Ein Moderator, der mit der ASiA vertraut ist, sollte gefunden oder qualifiziert werden.
  4. Sicherheitsfachkräfte und Betriebsärzte sollten darauf  achten, dass alle Führungskräfte, in deren Bereichen die  ASiA durchgeführt wird, informiert und möglichst in den  Entscheidungsprozess zur Durchführung der ASiA eingebunden sind.  

    Das gleiche gilt für betriebliche Experten wie die Personalentwicklung und Beauftragte wie Schwerbehinderten-, Gleichstellungs-, und Datenschutzbeauftragte. Sicherheitsfachkräfte und Betriebsärzte müssen sich ihrer  Rolle in dieser Methode bewusst sein. Sie machen keine  Vorschläge oder geben Ratschläge, bevor die Ergebnisse  des Workshops mit den Vorschlägen der Führungskräfte  und Beschäftigten vorliegen; erst dann nehmen sie ihrer  Beraterrolle wahr, um im Entscheidungsgremium ihre  Fachexpertise zu den Vorschlägen einzubringen und  zum Beispiel auf Risiken oder Ressourcen hinzuweisen,  die bei der Entwicklung der Vorschläge nicht beachtet  wurden. Sie könnten gefragt sein, ob die in den Work - shops erarbeiteten Vorschläge umsetzbar sind. Zum  Beispiel bei den oben genannten ergonomischen Problemen wurden die Sicherheitsfachkräfte zur konkreten  Problemlösung hinzugezogen.  

Wenn diese vier Voraussetzungen erfüllt sind, muss eine Zeitstruktur für die Information der Mitarbeiter, die Führungskräfteinterviews und die Mitarbeiterworkshops so entwickelt werden, dass möglichst viele betroffene Beschäftigte teilnehmen können, auch Teilzeitkräfte und in Schicht
Arbeitende.

Die Mitarbeiterinformationsveranstaltung sollte vom Moderator vorbereitet und moderiert werden, da er den Ablauf kennt und die Fragen der Beschäftigten beantworten kann. Zugleich lernen die Beschäftigten und Führungskräfte ihn bzw. sie in der Moderatorenrolle kennen. Für die Informationsveranstaltung wird ca. eine Stunde als Zeitbudget eingeplant. Dabei können direkt schon Listen ausgehängt werden, in die man sich für die Teilnahme am ASiA-Workshop eintragen kann. Um eventuelle Ängste zu nehmen, kann es sinnvoll sein, dass die Einladung zu dieser Infoveranstaltung von der Unternehmensleitung bzw. Abteilungsleitung und der Personalvertretung gemeinsam kommt. Sehr förderlich ist es, wenn auch beide auf der Veranstaltung vertreten sind.

Wenn sich nicht direkt genügend (mindestens 8) Beschäftigte melden, sollte man die Listen aushängen und für die Teilnahme werben.
Für die Führungskräfteinterviews werden als Einzelinterviews ca. 90 Minuten benötigt, als Gruppeninterview ca. zwei bis maximal drei Stunden.

Die Mitarbeiterworkshops laufen in zwei Phasen ab, die je drei Stunden dauern. Beide Phasen sollten möglichst innerhalb von zehn Tagen durchgeführt werden. Am besten hat sich bewährt, dass man einen Wochentag auswählt, der für die Teilnehmer gut passt und man den zweiten Teil des Workshops eine Woche später am gleichen Wochentag zur gleichen Zeit weiterführt. So ist der Moderator auch in der Lage, ein Ergebnisprotokoll der ersten Phase zu erstellen, es allen Teilnehmern zukommen zu lassen und Korrekturen und Veränderungswünsche zu Beginn der zweiten Phase gemeinsam mit den Teilnehmern aufzunehmen.

Fragestellungen im Workshop: Der gesamte Workshop mit beiden Phasen (zu je drei Stunden) umfasst insgesamt nur sechs sehr konkrete Fragestellungen, die aufeinander aufbauen.

  1. In der ersten Frage geht es um die Dringlichkeit von Veränderungen der Arbeitssituation.
  2. In der zweiten Frage um Bereiche, in denen die Veränderungen stattfinden sollen.
  3. In der Dritten um spezifisch erlebte Arbeitssituationen aus den genannten Bereichen.
  4. In der Vierten wird der Zusammenhang zum persönlichen Befinden und der Gesundheit der Teilnehmer/-innen geklärt.
  5. In der letzten Frage der ersten Workshopphase werden die positiven Seiten der Arbeitssituation als Ressourcen herausgearbeitet.
  6. Im zweiten Teil des Workshops wird die sechste Frage nach Veränderungswünschen und konkreten Maßnahmen gestellt, wobei zuvor die Veränderungsbereiche gemeinsam definiert sowie priorisiert werden. Die Maßnahmenvorschläge werden möglichst konkret gemeinsam einstimmig verabschiedet und vom Moderator im Bericht (Protokoll) dokumentiert.

Die Berichte über Vorgesetzteninterviews und über beide Mitarbeiterworkshophasen werden vom Moderator erstellt und mit den interviewten Vorgesetzten und Beschäftigten je getrennt abgestimmt. Nach der Abstimmung wird vereinbart, dass der Moderator aus den Berichten zitieren darf, um die Maßnahmenvorschläge zu begründen.

Die Kernpunkte der Ergebnisse werden vom Moderator für die Entscheidungsebene vorbereitet. Die Entscheidungen für kurz-, mittel- und langfristige Maßnahmen werden auf einer Sitzung (maximal zwei Stunden) vom Entscheidungsgremium getroffen und es wird ein Maßnahmenplan erstellt.

Die Ergebnisse mit Maßnahmenplan werden allen Beteiligten auf einer Abteilungsversammlung vorgestellt und es werden Kriterien zur Überprüfung, Verantwortliche für die Umsetzung, der Zeitrahmen und ein Evaluationstermin festgelegt.

Dieses Verfahren wurde in einem großen Klinikum mehrfach erprobt, mit Mitarbeiterinnen der Hirnchirurgie genauso wie mit Reinigungskräften, im stationären Pflegebereich, in Verwaltungs- und Dienstleistungsbereichen weiterentwickelt, später in öffentlichen Verwaltungen, mittelständischen Industrieunternehmen und Kindergärten mit kleinen betriebsspezifischen Anpassungen eingesetzt.

Lösungsvorschläge und Umsetzung in der Praxis

An Beispielen soll nun dargestellt werden, welche Lösungsvorschläge zur Verbesserung der Arbeitssituation entwickelt und umgesetzt wurden.
Das Thema „Termin- oder Zeitdruck“ stand häufig mit im Vordergrund der Workshops. An unterschiedlichen Beispielen werden die Lösungsansätze deutlich.

Beispiel 1 zu Ursachen von Zeitdruck: Die Reinigungskräfte eines Klinikbereiches hatten eine bestimmte Quadratmeterzahl auf einer Station in ihrer Arbeitszeit entsprechend vorgegebener Standards zu reinigen; die meisten von ihnen als Halbtagskräfte. Hinzu kamen Sonderaufgaben, die nur gelegentlich anfallen, wie z. B. das Reinigen von Fußböden in Ambulanzen, z.B. wenn durch Patienten bei der Behandlung Verunreinigungen verursacht wurden.

Im Workshop berichteten mehrere Reinigungskräfte, dass sie mehrmals in der Woche dringend in bestimmte Ambulanzen gerufen wurden, sie dann aber sehr viel wertvolle Zeit mit Warten verbringen mussten, bis die Patienten die Ambulanz verlassen hatten. In einer Woche, so berichteten sie, können sich diese Wartezeiten auf über eine Stunde summieren und jede Minute fehlt ihnen, um die Arbeit auf der Station den Standards entsprechend verrichten zu können. Hier lag die Lösung darin zu vereinbaren, dass Sonderreinigungen erst angefordert werden können, wenn direkt absehbar ist, dass die Reinigungsarbeiten auch durchgeführt werden können. Wenn das nicht möglich ist, muss eine eigene Reinigungskraft in das Budget der Ambulanz eingeplant werden.

Beispiel 2 zu Zeitdruck: In einem Logistikbereich eines Unternehmens beschrieb ein Gabelstaplerfahrer, dass an bestimmten Tagen wie Montagen und insbesondere Freitagen die anliefernden LKWs fast immer durch den Stau auf einer Autobahnstrecke bis zu mehrere Stunden zu spät kämen. Am Freitag sei das besonders kritisch, weil es Sonderschichten am Samstag gebe, für die er auch noch Material an die Arbeitsplätze schaffen müsse und zum Teil schon Freitag gegen Abend Störungen im „Just-in-Time-Prozess“ drohten. Dann sei es eben schon vorgekommen, dass er verbotener Weise zwei Paletten geladen habe.

Der Lösungsansatz lag darin, eine genaue Zeitdruckanalyse unter Beteiligung des Arbeitsschutzes und der Logistik durchzuführen und für die Zeiträume, in denen das Problem relevant wird, den Fahrern zu ermöglichen, einen zweiten Stapler anzufordern. Vom Arbeitsschutz wurde weiter darüber nachgedacht, die Kultur zu verändern und eher vorbildliches Verhalten zu stärken als Fehlverhalten stark zu sanktionieren.

Gratifikationskrise als psychische Fehlbelastung

Aus einer Analyse im OP-Bereich ging hervor, dass Anerkennung und Wertschätzung durch Ärzte und Führungskräfte für die Pflegekräfte eine wesentliche Gesundheitsressource oder deren Fehlen ein hoher Belastungsfaktor sind. Auch nationale (Siegrist 1996 und 2004; Kromm/Frank/Gadinger 2009) und internationale Studien (Ilmarinen/Tempel2002) belegen, dass Anerkennung der Hauptfaktor für das gesundheitliche Wohlbefinden der Beschäftigten ist. Ein Ergebnis der ASiA in einem OP-Bereich war auch, dass ein gemeinsames Feedback zwischen Ärzten und Pflegekräften am Ende eines OP-Tages, in dem auf Augenhöhe Erfolgsfaktoren und Defizite des OP-Ablaufes konstruktiv besprochen werden, eine gesundheits- und persönlichkeitsförderliche Wirkung in OP-Teams hat.

Wenn im Gegenteil Ärzte die Qualifikation und die Berufserfahrung der Pflegekräfte nicht anerkennen und berücksichtigen, entwerten sie damit das Wissen und die Tätigkeit der Pflegekräfte. Selbst in kritischen Situationen ignorieren Ärzte die Bedenken erfahrener Pflegekräfte und die Pflegekräfte können ihrem eigenen Qualitätsanspruch nicht gerecht werden. Der Anspruch, dass die Pflege punktgenau und fehlerfrei handeln soll, kann nur durch eine teamgerechte Kommunikation und Information erreicht werden.

Eine geregelte Informations- und Kommunikationsstruktur unterstützt diesen Prozess. Deshalb sollten in den Besprechungen immer die folgenden Fragen gestellt werden: „Was ist gut gelaufen? Wo liegen Verbesserungspotenziale?“ Wenn für die Pflegeteams monatlich eine Stunde Zeit eingeplant wird, um die oben genannten Fragen zu beantworten und daraus Maßnahmen abzuleiten, ist es möglich, die Prozesse zu verbessern, Informationsdefiziten, welche zu Ärger und Gerüchten führen, vorzubeugen und situationsspezifische Absprachen zu treffen. Die Teambesprechungen sollten in eine übergreifende Kommunikationsstruktur eingebunden sein.

Fazit
Diese Beispiele sollen aufzeigen, dass die Arbeitssituationsanalyse überall einsetzbar ist und sehr unterschiedliche Lösungsansätze dabei herauskommen. Die ASiA ist ein Verfahren, welches das subjektive Erleben der Arbeitssituation als Informationsquelle nutzt, um Prozesse zu verbessern und persönliche und betriebliche Ressourcen zu stärken. Zwar beruht die Analyse rein auf subjektiven Einschätzungen, allerdings beschreiben die Arbeitnehmer, die freiwillig an der Analyse teilnehmen, ihre Situationen sehr genau. So fließen keine Vermutungen oder Gefühle in den Maßnahmenplan ein, sondern die Maßnahmen werden auf der Basis erlebter Belastungssituationen von allen Teilnehmenden gemeinsam vorgeschlagen und getragen.

Der Autor
Dr. Frank Wattendorff war mehr als 30 Jahre als Arbeitswissenschaftler am Institut für interdisziplinäre Arbeitswissenschaft der Leibniz Universität Hannover beschäftigt und ist jetzt Geschäftsführer der AM&I UG Beratung und Coaching in Hannover. Er ist gelernter Werkzeugmacher, Dipl. Ing. (FH), Sicherheitsingenieur mit mehrjähriger Berufserfahrung in der pharmazeutischen Industrie und einer Ausbildung als systemischer Coach. 


 


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