AG München: Die Aufbewahrung einer über Primzahlen verschlüsselten Version der PIN zusammen mit der EC-Karte ist für Bankkunden unschädlich (Foto: Joachim Lechner / stock.adobe.com)
Pflichten des Kunden bei Aufbewahrung seiner EC-Karte
AG München zur Haftung bei Diebstahl einer EC-Karte
ESV-Redaktion Recht
21.06.2023
Wird eine EC-Karte gestohlen und mit dieser kurz nach dem Diebstahl – unter Nutzung der richtigen PIN – Bargeld abgehoben, spricht der erste Anschein dafür, dass der Karteninhaber die PIN pflichtwidrig gemeinsam mit der Karte verwahrt hat. Doch gilt dies auch dann, wenn der Bankkunde eine über Primzahlen verschlüsselte Version der PIN gemeinsam mit der Karte in seinem gestohlenen Geldbeutel aufbewahrt hatte? Hierüber hat das AG München aktuell entschieden.
In dem Streitfall unterhielt der Kläger bei der Beklagten ein Girokonto mit einer EC-Girokarte und Maestro-Funktion. Im Oktober entwendeten ihm Trickdiebe in Italien auf einer Autobahnraststätte seinen Geldbeutel einschließlich der EC-Karte. Bereits 20 Minuten später hoben sie 1.000 EUR von seinem Konto ab, an einem Ort, der etwa 18 Km von der Raststätte entfernt war. Nachdem der Kläger den Verlust seiner Karte kurze Zeit später bemerkte, ließ er diese sperren.
Daraufhin belastete die beklagte Bank das Konto des Klägers mit einem Betrag von 1.000 EUR zuzüglich Gebühren in Höhe von 11 Euro für zwei Geldautomatenverfügungen im Ausland.
Der Kläger trug weiterhin vor, dass er seine EC-Karte gemeinsam mit einem kleinen, handgeschriebenen Zettel in seinem Geldbeutel aufbewahrt hatte. Der Zettel enthielt neben einigen Telefonnummern die verschlüsselte Zahlenreihe „27317“. Anhand dieser Zahlenfolge konnte der mathematisch versierte Kläger die vierstellige Geheimzahl der EC-Karte (PIN) errechnen. Diese hatte er vorher in zwei Schritten in Primzahlen zerlegt und gelangte so zu den Ziffern 2, 7 und 317, die er dann zusammenhängend und ohne Bezug auf die PIN als Ziffernfolge „27317“ auf den Zettel übertrug.
Mit seiner Klage verlangte er die Erstattung des abgebuchten Betrages in Höhe von 1.011 Euro. Nach seinem weiteren Vortrag hatte er die PIN nur über die verschlüsselte Variante in seinem Geldbeutel aufbewahrt und nicht die PIN selber. Damit, so der Kläger weiter, dränge sich der Verdacht einer Bandenkriminalität auf. Die Täter müssten über eine Technik verfügt haben, mit der es möglich wäre, auch ohne Kenntnis der PIN Geld abzuheben und die Verschlüsselung über die PIN zu umgehen.
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AG München: Verschlüsselung über Primzahlen keine Pflichtverletzung des Klägers
Das AG München hielt die Klage für überwiegend begründet und verurteilte die beklagte Bank zur Zahlung von 861 Euro. Die wesentlichen Erwägungen des Gerichts:
Ansprüche des Klägers gegen die Bank
Das AG stellte zunächst fest, dass der Kläger gegen die Bank grundsätzlich einen verschuldensunabhängigen Anspruch auf Erstattung des abgebuchten Betrages in voller Höhe hat – und zwar nach § 675u Satz 2 Alt. 1 BGB in der Fassung, die bis zum 12.02.2018 galt (a.F.).
Gegenansprüche der Bank
Von diesem Betrag sind 150 EUR abzuziehen, so das AG München weiter. Insoweit habe die Bank gegen den Kläger einen verschuldensunabhängigen Schadensersatzanspruch nach § 675v Abs. 1 Satz 1 BGB a.F. Der Grund hierfür liegt in der Nutzung eines Zahlungsauthentifizierungsinstruments, das dem Kläger gestohlen wurde.
Keine weiteren Ansprüche der Bank auf Ersatz des gesamten Schadens
Weitere Ansprüche der Bank auf Ersatz des gesamten Schadens sah das AG nicht. Demnach hat der Kläger den Schaden weder vorsätzlich noch grob fahrlässig herbeigeführt. Die weiteren Überlegungen des Gerichts hierzu:
- Kein Anscheinsbeweis zugunsten der Bank: Ein Anscheinsbeweis zugunsten der Bank, der nach BGH-Rechtsprechung möglich wäre, setzt voraus, dass der Kartenmissbrauch unter Nutzung der Originalkarte und der zugehörigen Geheimzahl erfolgt ist. Dies hat der Kläger aber bestritten. Nach seinem Vortrag hatte er die Geheimzahl weder unverschlüsselt auf seiner EC-Karte vermerkt noch hatte er diese unverschlüsselt zusammen mit der Karte verwahrt.
- Keine grobe Fahrlässigkeit des Klägers: In der verschlüsselten Aufbewahrung der PIN des Klägers in dessen Geldbeutel zusammen der Zahlungskarte sah das Gericht keine grob fahrlässige Pflichtverletzung. Eine solche Pflichtverletzung wäre dem Gericht zufolge nur dann anzunehmen, wenn der Bankkunde die PIN gemeinsam mit der Karte ohne räumliche Trennung mit sich führt. Das gemeinsame Vorhalten der Karte mit einer verschlüsselten PIN ist für den Kunden dann unschädlich, wenn die Verschlüsselung so komplex ist, dass die Dechiffrierung durch Dritte nach menschlichem Ermessen auszuschließen ist.
- Verschlüsselung durch Kläger ausreichend sicher: An den obigen Maßstäben gemessen verstieß die Verschlüsselung der PIN durch den Kläger nicht einmal gegen einfache Sorgfaltspflichten. Selbst dem Sachverständigen gelang es nicht, die Zahlenfolge „27317“ zu dechiffrieren und hieraus die PIN zurückzurechnen – und dies, obwohl der Sachverständige Kenntnis von der Rechenweise des Klägers hatte. Darüber hinaus hatte der Kläger die Zahlenfolge zusammenhanglos mit Telefonnummern notiert und es gab keinen Hinweis darauf, dass die besagte Ziffernfolge auf eine PIN hindeutete, so das Gericht abschließend.
Die Entscheidung ist noch nicht rechtskräftig.
Quelle: PM des AG München vom 19.06.2023 zum Urteil vom 02.06.2023 – 142 C 19233/19
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