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Die Frage, ob und wann unangemeldete „Corona-Spaziergänge“ oder „Montagsspaziergänge“ durch die Versammlungsfreiheit geschützt sind, ist noch nicht abschließend geklärt. (Foto: blende11.photo / stock.adobe.com)
Corona und Versammlungsrecht

Aufregung um Allgemeinverfügungen zu „Corona-Spaziergängen“

ESV-Redaktion Recht
19.01.2022
Können die sogenannten spontanen „Corona-Spaziergänge“ per Allgemeinverfügung untersagt werden? Hierüber gibt es bei den Gerichten unterschiedliche Auffassungen. So haben der VGH München und das VG Stuttgart zwei Eilanträgen gegen entsprechende Allgemeinverfügungen stattgegeben. Demgegenüber hält das VG Koblenz eine ähnliche Allgemeinverfügung für voraussichtlich rechtmäßig. Ebenso blieb ein Eilantrag, der sich gegen das Verbot von „Montagsspaziergängen“ richtete, vor dem OVG Koblenz ohne Erfolg.

VGH München: Gefahrenprognose kann Versammlungsverbot rechtfertigen

In den Streitfällen gab das VG München – jeweils als Ausgangsinstanz – zwei Eilanträgen von Bürgern statt, die gegen aktuelle Allgemeinverfügungen der Landehauptstadt München bzw. des LRA Starnberg gerichtet waren. Beide Allgemeinverfügungen untersagten für bestimmte Tage Versammlungen im Zusammenhang mit Protesten gegen Corona-Maßnahmen und die Teilnahme an solchen Versammlungen, wenn diese den Behörden nicht rechtzeitig vorher angezeigt wurden. Gegen die Entscheidungen der Ausgangsinstanz wendeten sich sowohl die Landeshauptstadt als auch der Freistaat Bayern mit Beschwerden an den VGH München.
 
In Bezug auf das Münchener Verfahren hat der 10. Senat des VGH den Beschluss der Ausgangsinstanz abgeändert und den Eilantrag als unzulässig abgewiesen. Der Grund: Die Antragstellerin hatte ihre Antragsbefugnis nicht dargelegt. Damit blieb die Münchener Allgemeinverfügung unverändert.
 
Die Beschwerde in Bezug auf die Allgemeinverfügung des LRA Starnberg hatte weniger Erfolg. Der Senat hat diese zurückgewiesen. Dem Beschluss vom 17.01.2022 zufolge rechtfertigt die Gefahrenprognose des LRA (noch) kein Versammlungsverbot. Die Entscheidung wirkt aber nur zu Gunsten des Antragstellers. Alle anderen Bürger müssen die Allgemeinverfügung des LRA nach wie vor beachten. Beide Beschlüsse des VGH sind unanfechtbar.

Quelle: PM des VGH München vom 17.01.2022 zu den Beschlüssen vom selben Tag – 10 CS 22.125 und 10 CS 22.126

Update: Inzwischen hat der VGH mehreren Medienbereichten zufolge mit Beschluss vom 19.02.2022 in einem weiteren Verfahren  – 10 CS 22.162 – ein Versammlungverbot der Landeshauptstadt München nach summarischer Prüfung bestätigt. Demnach ist die Stadt München bei ihrer Gefahrenprognose zu Recht davon ausgegangen, dass aufgrund der vielen Corona-Infektionen ein präventives Versammlungsverbot erfordelich ist. Auch bei der Interessenabwägung des VGH hatte das öffentliche Interesses an der Unterbindung von weiteren Infektionen in diesem Fall den Vorrang gegenüber dem Versammlungsinteresse. Hierbei berief sich der 10. Senat des VGH München nun auf die Erfahrungen bei Versammlungen in den letzten Wochen. 

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VG Stuttgart: Präventives Verbot von unangemeldeten Versammlungen gegen Corona-Maßnahmen ist nur bei polizeilichem Notstand zulässig

Auch Das VG Stuttgart hält ein präventives Versammlungsverbot – hier ein Verbot der Stadt Bad Mergentheim im Rahmen einer Allgemeinverfügung – nach aller Voraussicht für rechtswidrig. Hierzu meinte das Gericht zunächst, dass auch nicht angemeldete Versammlungen durch die Versammlungsfreiheit geschützt sind. Zudem ist demnach der bloße Verstoß gegen die Anmeldepflicht noch keine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit im Sinne des Versammlungsrechts.
 
Wie auch schon der VGH München in seinem Fall meint, fehlt es im Hinblick auf das Infektionsgeschehen an einer tragfähigen Gefahrenprognose, die für das Stadtgebiet die hinreichende Wahrscheinlichkeit eines Schadenseintritts begründet. Ebenso wenig hat sich die Antragsgegnerin dem VG Stuttgart zufolge nicht ausreichend mit milderen Mitteln befasst. Hierzu würde zum Bespiel eine Verpflichtung zum Tragen von Mund-Nasen-Bedeckungen gehören, so das VG.
 
Darüber hinaus beschränkt die Allgemeinverfügung auch die Freiheit von Versammlungsteilnehmern, die nicht gewalttätig sein wollen oder von Teilnehmern, die die Vorgaben zur Einhaltung von Mindestabständen und zum Tragen einer Mund-Nasen-Bedeckung nicht verletzen wollen.
 
Daher ist ein präventives Verbot von sämtlichen unangemeldeten Versammlungen gegen Corona-Maßnahmen nach Auffassung der Stuttgarter Richter nur unter den Voraussetzungen des polizeilichen Notstands zulässig. Einen solchen hatte die Antragsgegnerin nicht dargelegt. Auch dieser Beschluss gilt unmittelbar nur zugunsten des Antragstellers.

Mit einer ähnlichen Begründung hatte auch das VG Karlsruhe einem Eilantrag gegen eine Allgemeinverfügung der Stadt Bretten stattgegeben. Auch hier lag nach der Überzeugung des Gerichts keine hinreichende Gefahrenprognose vor, so dass es das allgemeine Versammlungsverbot als unverhältnismäßig ansah.
 
Quellen: PM des VG Stuttgart vom 14.01.2022 zum Beschluss vom 12.02.2022 – 1 K 80/22 sowie PM des VG Karlsruhe vom 17.01.2022 zum Beschluss vom selben Tag – 14 K 119/22

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VG Koblenz: Versammlungsfreiheit wurde nur geringfügig eingeschränkt

Demgegenüber sind nach Auffassung des VG Koblenz die Verbote von sogenannten „Spaziergängen“ oder „Montagsspaziergängen“ nicht offensichtlich rechtswidrig.
 
In den Koblenzer Streitfällen hatten zwei Privatpersonen am 14.01.2022 Eilanträge gegen die Allgemeinverfügung erhoben. Einer der Antragsteller wollte an einem Spaziergang in der Koblenzer Innenstadt teilnehmen und hielt die Verbote für rechtswidrig.
 
Sein Eilantrag hatte vor dem VG Koblenz keinen Erfolg. Das VG meint, dass die streitgegenständlichen Spaziergänge Versammlungen sind. Allerdings wollte das Gericht die anstehenden Rechtsfragen wegen ihrer Komplexität und des vorliegenden Zeitdrucks nicht abschließend entscheiden und nahm eine Folgenabwägung vor. Diese ging zu Ungunsten des Antragstellers aus. Der Grund: Würden sich die Verbote im Hauptsacheverfahren als rechtswidrig erweisen, wäre die Versammlungsfreiheit des Antragstellers nur geringfügig eingeschränkt, weil die Verbote bis zum 31.01.2022 befristet sind. Zudem könnten die Teilnehmer der Versammlung ihre bereits jetzt geplanten „Spaziergänge“ jederzeit anmelden und sich an eventuelle Auflagen halten. Damit wäre die Durchführung ihrer Versammlung nicht unmöglich.
 
Demgegenüber bestünde bei Wegfall der Verbote die Gefahr, dass die „Spaziergänge“ ohne ausreichende Abstände und ohne das Tragen von Masken stattfinden. Dies könnten die Gesundheitsversorgung sowie die überragenden Schutzgüter der Gesundheit und des Lebens möglicherweise sogar irreversibel beeinträchtigen.
 
Den zweiten Eilantrag sah das VG Koblenz schon aufgrund fehlender Antragsbefugnis als unzulässig an. 
 
Quelle: PM des VG Koblenz vom 17.01.2022 zum Beschluss vom 14.01.2022 – 3 L 38/22.KO und 3 L 39/22.KO
 

OVG Koblenz: Die Erfolgsaussichten gegen das Verbot von „Montagsspaziergängen" sind im Hauptsacheverfahren zu klären

Bereits am 03.01.2022 blieb ein Eilantrag gegen das Verbot von „Montagsspaziergängen“ im Landkreis Südliche Weinstraße vor dem OVG Rheinland-Pfalz erfolglos. Auch das OVG meinte schon, dass die anstehenden Rechtsfragen im Hauptsacheverfahren zu klären wären. Daher falle eine erforderliche Interessenabwägung zu Lasten des Antragstellers aus, und zwar auch, weil die zuständige Behörde erklärt hatte, dass keine Verlängerung des Versammlungsverbots über den 03.01.2022 geplant sei. Das OVG bestätigte damit eine Entscheidung des VG Neustadt an der Weinstraße (Beschluss vom 03.01.2022 – 5 L 1276/21.NW).
 
Quelle: PM des OVG Koblenz vom 10.01.2022 zum Beschluss vom 03.01.2022 – 7 B 10005/22.OVG


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Der Autor Matthias Hettich ist seit mehr als 20 Jahren in der sächsischen und baden-württembergischen Justiz tätig. Als langjähriger Richter am Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg ist er für Versammlungsrecht, Polizeirecht und Kommunalrecht zuständig. 

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(ESV/bp)

Programmbereich: Staats- und Verfassungsrecht