
Auswahl von Arbeitsmitteln
Betriebliche Prozesse der Auswahl von Arbeitsmitteln
Im Betrieb erfolgt die Auswahl von Arbeitsmittel in zwei Planungsprozessen (vgl. Abb. 1 - s. PDF):▶ bei der Beschaffung neuer Arbeitsmittel und
▶ bei der Arbeitsvorbereitung
Beiträge des Arbeitsschutzes zur richtigen Auswahl von Arbeitsmitteln
Die Komplexität der Auswahlprozesse von Arbeitsmitteln wird häufig unterschätzt – insbesondere in kleinen und mittleren Unternehmen,
in denen Investitionen eher seltene Ereignisse sind. Durch die Auswahl wird ein „fremdes“ Produkt eines Herstellers Bestandteil eines betrieblichen Arbeitssystems (vgl. Abb. 2 - s. PDF).
Zwischen dem Arbeitsmittel und den weiteren Elementen des Arbeitssystems bestehen zahlreichen Schnittstellen, die passfähig gestaltet
sein müssen, um das Arbeitsmittel effizient und gesundheitsgerecht einsetzen zu können (vgl. Abb. 3 - s. PDF). Dabei sind zwei Phasen zu unterscheiden:
- Vor der Entscheidung über die Auswahl wird ein Arbeitsmittel gesucht, das zu den gegebenen Schnittstellen passt. Das Arbeitsmittel
muss beispielsweise das gewünschte Produktergebnis liefern und darf den verfügbaren Raum am Arbeitsplatz nicht überschreiten.
→ Das Arbeitssystem stellt Anforderungen an das Arbeitsmittel. - Ist die Entscheidung gefallen, muss das Arbeitssystem an das Arbeitsmittel angepasst werden, so muss z.B. die erforderliche Energie zugeführt und das Personal entsprechend qualifiziert werden.
→ Das Arbeitsmittel stellt Anforderungen an das Arbeitssystem.
Die Prävention liefert wichtige Beiträge für ein systematisches Vorgehen, um die relevanten Gestaltungsschnittstellen vorausschauend bei
der Auswahl und Gestaltung zu berücksichtigen. Dazu stehen Instrumente zur Verfügung, deren Wirkung über einen engen Arbeitsschutzbegriff weit hinausgeht und die wesentlichen Einfluss auf die effiziente Nutzbarkeit des Arbeitsmittels, die erzielbare Produktqualität und das Kosten-Nutzen-Verhältnis haben. Voraussetzung für den erfolgreichen Einsatz ist allerdings die prozessbegleitende Integration der Instrumente in die betrieblichen Beschaffungs- und Arbeitsvorbereitungsprozesse.
Rechtslage zur Auswahl von Arbeitsmitteln
Nach der Betriebssicherheitsverordnung von 2015 hat der Arbeitgeber „vor der Verwendung
von Arbeitsmitteln die auftretenden Gefährdungen zu beurteilen...“ (§3, Abs. 1, Satz 1) und „das Ergebnis seiner Gefährdungsbeurteilung
vor der erstmaligen Verwendung der Arbeitsmittel zu dokumentieren...“ (§3, Abs. 8, Satz 1). „Die Gefährdungsbeurteilung soll bereits vor der Auswahl und der Beschaffung der Arbeitsmittel begonnen werden. Dabei sind insbesondere die Eignung des Arbeitsmittels für die geplante Verwendung, die Arbeitsabläufe und die Arbeitsorganisation zu berücksichtigen...“ (§3, Abs. 3, Satz 1 + 2). „Arbeitsmittel dürfen erst verwendet werden, nachdem der Arbeitgeber
- eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt hat,
- die dabei ermittelten Schutzmaßnahmen nach dem Stand der Technik getroffen hat und
- festgestellt hat, dass die Verwendung der Arbeitsmittel nach dem Stand der Technik sicher ist“ (§4, Abs. 1).
„Der Arbeitgeber hat die Wirksamkeit der Schutzmaßnahmen vor der erstmaligen Verwendung der Arbeitsmittel zu überprüfen“ (§ 2, Abs. 2).
Die Betriebssicherheitsverordnung fordert also nachdrücklich, die Gefährdungsbeurteilung frühzeitig und umfassend in den Planungsprozess zur Auswahl von Arbeitsmitteln zu integrieren sowie vor der erstmaligen Verwendung die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen und auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen. Es soll sichergestellt werden, dass die Erkenntnisse und Schlussfolgerungen aus der Gefährdungsbeurteilung Eingang in die Anforderungsbeschreibung (Lastenheft) für das Arbeitsmittel finden und bei der Auswahl von Angeboten berücksichtigt werden.
Um dies zu erreichen, fördert die Betriebssicherheitsverordnung eine engere Zusammenarbeit des Arbeitgebers mit dem Hersteller. Nach § 3 Abs. 4 BetrSichV kann der Arbeitgeber bei der Informationsbeschaffung für die Gefährdungsbeurteilung auch auf die Gebrauchs- und Betriebsanleitung des Herstellers zurückgreifen. Diese Informationen darf er als zutreffend annehmen, soweit er keine gegenteiligen Erkenntnisse hat.
Beim Festlegen der erforderlichen Maßnahmen kann der Arbeitgeber zudem bereits vorhandene Gefährdungsbeurteilungen verwenden und an seine Arbeitsbedingungen anpassen. Ausdrücklich eingeschlossen sind nach § 3 Abs. 5 BetrSichV „... Unterlagen, die ihm der Hersteller oder Inverkehrbringer mitgeliefert hat ...“.
Beschaffung von Arbeitsmitteln
Beschaffungsprozesse verlaufen unterschiedlich, je nachdem,
▶ ob es sich um eine Ersatzbeschaffung, eine Neubeschaffung oder eine umfassende Neugestaltung einer Arbeitsstätte handelt,
▶ wie komplex und umfangreich die Investition ist,
▶ ob Arbeitsmittel fertig am Markt verfügbar sind, vom Hersteller nach Kundenwünschen konfektioniert oder einzeln angefertigt werden,
▶ ob die Beschaffung durch den Verwender, eine Beschaffungsstelle oder ein Ausschreibungsverfahren erfolgt.
Alle Varianten gleichen sich im Ablauf der grundlegenden Planungsschritte, die – bewusst oder unbewusst – in jedem erfolgreichen Beschaffungsprozess vorkommen (vgl. Abb. 4). Er ist gekennzeichnet durch eine Parallelität des eigentlichen Beschaffungsprozesses mit dem Arbeitssystemgestaltungsprozess, wobei sich beide Prozesse gegenseitig beeinflussen. Beispielsweise wird von einem zur Wahl stehenden Produkt Abstand genommen, wenn sich heraus stellt, dass der Aufwand für die Gestaltung des Arbeitssystems zu groß wäre.
Im Beschaffungs- und Gestaltungsprozess treten abwechselnd zwei unterschiedliche Arten von Prozessphasen auf:
▶ In kreativen Prozessphasen werden unterschiedliche Optionen und Varianten generiert oder gesammelt (z.B. unterschiedliche Lösungskonzepte, mehrere Angebote). Hier sind Arbeitsschutzanforderungen und möglichst risikoarme und gesundheitsförderliche Optionen und Varianten einzubringen.
▶ Anschließend folgt jeweils eine Entscheidungsphase, in der nach einer Bewertung der Optionen und Varianten anhand relevanter
Kriterien (Erfüllung der Anforderungen) eine Auswahl getroffen bzw. Handlungsbedarf festgestellt wird. Aus der Sicht des Arbeitsschutzes sind die Optionen und Varianten auf ihr Risikopotenzial und ihr gesundheitsförderliches Potenzial hin zu bewerten und diese Erkenntnisse bei der Entscheidungsfindung zu berücksichtigen.
Für einen umfassend erfolgreichen Beschaffungsprozess leistet die prozessbegleitende Beurteilung der Arbeitsbedingungen (Gefährdungsbeurteilung) unverzichtbare Beiträge (vgl. Abb. 5 – s. PDF):
▶ Um die konkret relevanten Arbeitsschutzanforderungen ermitteln und in den Anforderungskatalog (z. B. Lastenheft) und die Ausschreibung einbringen zu können, ist eine überschlägige Gefährdungsbeurteilung schon in der ersten Prozessphase zwingend erforderlich.
▶ Für die eigentliche Auswahl eines zur Wahl stehenden Produkts (und des Herstellers bzw. Lieferanten) ist eine umfassende Beurteilung der Arbeitsbedingungen nicht nur in Bezug auf das Arbeitsmittel selbst, sondern auch des Arbeitssystems erforderlich, um die Arbeitsschutzanforderungen in die Entscheidungsfindung ausreichend einzubringen.
▶ Vor der Umsetzung und Inbetriebnahme ist die Beurteilung der Arbeitsbedingungen zu konkretisieren und die erforderlichen Maß nahmen des Arbeitsschutzes festzulegen.
▶ Im Zusammenhang mit der Inbetriebnahme ist die Umsetzung der erforderlichen Maßnahmen auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen und das Ergebnis zu dokumentieren.
Die Betriebsanleitung als entscheidende Informationsquelle
Die Betriebsanleitung des Herstellers enthält wesentliche Informationen zur bestimmungsgemäßen Verwendung, zu Gefährdungen und Emissionen sowie die vom Arbeitgeber und den Verwendern bei der Arbeitssystemgestaltung umzusetzenden Maßnahmen (vgl. Kasten). Will man nicht „die Katze im Sack“ kaufen, müssen vor der Auswahl zwingend die Betriebsanleitungen der in Frage kommenden Produkte zur Beurteilung der Arbeitsbedingungen vorliegen. Die Betriebsanleitung ist also bereits mit der Angebotseinholung anzufordern. Liegt die Betriebsanleitung erst der späteren Lieferung des Produkts bei, kann es böse Überraschungen geben. Für den optimalen Einsatz des Arbeitsmittels ist es dann meist zu spät; daran ändern teure Nachbesserungen kaum noch etwas.
Im Rahmen des Beschaffungsprozesses bestehen häufig weitere Möglichkeiten der Informationsbeschaffung durch direkten oder indirekten Kontakt mit dem Hersteller oder dem Händler, z. B.
▶ bei der Marktsondierung und Beratung durch den Hersteller oder Händler ▶ bei Verhandlungen des Leistungsumfangs und der Vertragsgestaltung
▶ bei der Lieferung, Montage, Übergabe bzw. Übernahme des Produkts ▶ bei der Schulung, Einweisung, Information der Verwender
▶ bei Bereitstellung von Betriebsmaterialien (Werkzeug, Betriebsstoffe) durch den Hersteller
▶ bei der Wartung, Störungsbeseitigung oder Problemlösung
Von solchem Informationsaustausch profitieren beide Seiten:
▶ Der Betrieb durch die umfassenden Erfahrungen, die der Hersteller im Produktentstehungsprozess oder von anderen Kunden gewonnen hat und
▶ der Hersteller durch die Erfahrungen, die der Verwender beim Umgang mit dem Arbeitsmit tel gewinnt.
Inhalte der Betriebsanleitung Wichtige geforderte Inhalte am Beispiel „Maschinen“, soweit relevant; abzufassen in der Sprache des Verwenderlandes: ▶ Beschreibung der bestimmungsgemäßen Verwendung und ggf. Einsatzbeschränkungen ▶ Warnhinweise in Bezug auf jede vernünftigerweise vorhersehbare Fehlanwendung ▶ Beschreibung des vom Bedienungspersonal voraus sichtlich einzunehmenden Arbeitsplatzes bzw. der Arbeitsplätze ▶ Anleitungen zur Montage, zum Aufbau und zum Anschluss, einschließlich der Zeichnungen, Schaltpläne und der Befestigungen ▶ Sicherheitshinweise zum Transport, zur Handhabung und zur Lagerung, mit Angabe des Gewichts ▶ Bedingungen für die Standsicherheit in allen Lebensphasen des Produkts ▶ Angaben zu Restrisiken ▶ Angaben zu Lärm- und Vibrationsemissionen, nicht ionisierende Strahlung ▶ Installations- und Montagevorschriften zur Verminderung von Lärm und Vibrationen ▶ Hinweise auf spezielle Schutzeinrichtungen und deren Verwendung ▶ Anleitung für die vom Verwender zu treffenden Schutzmaßnahmen, gegebenenfalls einschließlich der bereitzustellenden persönlichen Schutzausrüstung ▶ Hinweise zur Inbetriebnahme und zum Betrieb sowie erforderlichenfalls Hinweise zur Ausbildung bzw. Einarbeitung des Bedienungspersonals ▶ Anweisungen zum sicheren Einrichten und Warten einschließlich der dabei zu treffenden Schutzmaßnahmen ▶ erforderliches Vorgehen bei Unfällen oder Störungen ▶ Beschreibung der vom Verwender durchzuführenden Einrichtungs- und Wartungsarbeiten sowie der zu treffenden vorbeugenden Wartungsmaßnahmen ▶ Merkmale der Werkzeuge, die angebracht werden können; Spezifikationen der zu verwendenden Ersatzteile ▶ Zeichnungen, Schaltpläne, Beschreibungen und Erläuterungen, die für Verwendung, Wartung und Instandsetzung und zur Überprüfung des ordnungsgemäßen Funktionierens erforderlich sind ▶ Erforderliche Inspektionen/Prüfungen und Wartungsarbeiten mit einzuhaltenden Fristen; Verschleißteile mit Austauschkriterien |
Arbeitsvorbereitung
Arbeitsmittel werden auch bei der Arbeitsvorbereitung ausgewählt – wenn auch eingeschränkt durch die im Betrieb verfügbaren Arbeitsmittel. Ob nun die Arbeitsvorbereitung durch eine betriebliche Abteilung, die verantwortliche Führungskraft oder weitgehend selbstbestimmt durch den Verwender erfolgt: auch hier werden die Arbeitsbedingungen durch die Auswahl des Arbeitsmittels und die Gestaltung des Arbeitssystems bestimmt.
Daher muss der entsprechende Arbeitsvorbereiter genaue Kenntnis haben über
▶ die bestimmungsgemäße Verwendbarkeit der verfügbaren Arbeitsmittel,
▶ die bei der Verwendung der verfügbaren Arbeitsmittel unter den vorgesehenen Einsatzbedingungen auftretenden Gesundheitsrisiken sowie
▶ die erforderlichen Maßnahmen des Arbeitsschutzes.
Die Praxis zeigt, dass eine gesundheitsgerechte Auswahl bei der Arbeitsvorbereitung nur gelingt, wenn die für das Arbeitssystem verantwortliche Führungskraft die Beurteilung der Arbeitsbedingungen selbst durchführt. Dabei sollte sich die Führungskraft bedarfsgerecht durch die Fachkraft für Arbeitssicherheit und den Betriebsarzt fachkundig beraten lassen. Nur so ist sie mit den Gefährdungen beim Umgang mit den Arbeitsmitteln ausreichend vertraut, so dass sie
▶ die richtigen Entscheidungen bei der Auswahl der Arbeitsmittel trifft und die erforderlichen Maßnahmen (z. B. Schutzmaßnahmen, Anweisungen, Unterweisungen) ergreift,
▶ in den Auswahlprozess der Arbeitsvorbereitungsabteilung starke Argumente für eine gesundheitsgerechte Auswahl einbringen kann,
▶ ihrer Führungsverantwortung bei der Überwachung der Durchführung der Arbeiten gerecht wird.
Die prozessbegleitende Beurteilung der Arbeitsbedingungen einschließlich Festlegung, Umsetzung und Überprüfung der erforderlichen Maß nahmen leistet auch bei der Arbeitsvorbereitung unverzichtbare Beiträge für einen effizienten, qualitäts- und gesundheitsgerechten Umgang mit Arbeitsmitteln (vgl. Abb. 6 – S. PDF):
▶ Die erste Beurteilung der Arbeitsbedingungen muss im Zusammenhang mit der Prüfung und Bewertung der Optionen erfolgen. Dabei geht es um die Auswahl sowohl des anzuwenden den Arbeitsverfahrens als auch des zu verwendenden Arbeitsmittels.
▶ Ist die Auswahl des Arbeitsverfahrens und des Arbeitsmittels erfolgt, sind vor Aufnahme der Tätigkeiten die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen. Dies kann die Führungskraft selbst tun oder die Beschäftigten entsprechend unterweisen, also anweisen.
▶ Die Führungskraft muss im Rahmen ihrer Führungsverantwortung die Durchführung der Arbeiten und dabei auch die Umsetzung der Arbeitsschutzmaßnahmen überwachen und erforderlichenfalls durchsetzen.
▶ Aus den bei der Verwendung des Arbeitsmittels gewonnenen Erkenntnissen muss die Führungskraft Schlussfolgerungen für den zu künftigen Einsatz der Arbeitsmittel ableiten. Dazu muss sie die Beschäftigten nach ihren Erfahrungen bei der Durchführung der Arbeiten und dem Umgang mit dem Arbeitsmittel auch zu aufgetretenen Gefährdungen und Belastungen sowie Verbesserungsvorschlägen befragen.
Broschüren zum Download |
Die Broschüre „Auswahl von Arbeitsmitteln“ mit ausführlichen Hinweisen zur Beschaffung und Arbeitsvorbereitung steht bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin kostenfrei zum Download bereit. Verwiesen sei zudem auf die Bekanntmachung zur Betriebssicherheit „Beschaffung von Arbeitsmitteln“ (BekBS 1113): www.baua.de/TRBS |
Die Broschüre „Auswahl von Arbeitsmitteln“ mit ausführlichen Hinweisen zur Beschaffung und Arbeitsvorbereitung steht bei der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin kostenfrei zum Download bereit: www.baua.de, Suchbegriff „Auswahl von Arbeitsmitteln“.
Verwiesen sei zudem auf die Bekanntmachung zur Betriebssicherheit „Beschaffung von Arbeitsmitteln“ (BekBS 1113): www.baua.de/TRBS
Der Autor |
Dipl.-Ing. Christof Barth ist Bereichsleiter "Technischer Arbeitsschutz" bei Systemkonzept - Gesellschaft für Systemforschung und Konzeptentwicklung mbH in Köln. |
Um alle Grafiken sehen zu können, hier der Beitrag als PDF-Datei.
Programmbereich: Arbeitsschutz