
BGH: Anwaltsverschulden trotz Fehler des Familiengerichts
Am 27.04.2023 forderte das FamG die Abschriften, die versehentlich mit dem umfassenden Rechtskraftvermerk versehen waren, zurück – und zwar mit dem Hinweis, dass eine schwerwiegende Abweichung von der Urschrift vorliegt, die auch zur Unwirksamkeit der Zustellung führt.
Die Anwältin des Ehegatten legte dann am 08.05.2023 im Namen ihres Mandaten Beschwerde ein gegen die Verpflichtung zur Zahlung von nachehelichem Unterhalt ein, allerdings nur fristwahrend und behielt sich vor, ihre Beschwerde zu begründen oder zurückzunehmen.
Mit richterlicher Verfügung – ebenfalls am 08.05.2023 – teilte das FamG mit, dass es eine erneute Zustellung veranlassen werde, sobald alle fehlerhaften Ausfertigungen zurückgelangt wären.
Anschließend nahm die Anwältin ihre „vorsorglich fristwahrend eingelegte“ Beschwerde vom 08.05.2023 zurück.
Schließlich legte die Anwältin am 13.06.2023 im Namen des Antragstellers erneut Beschwerde gegen die Unterhaltsverpflichtung ein und begründete diese.
Prozessbevollmächtigte des Antragstellers: Vertrauen in Verfügungen des FamG geschützt
Auf Hinweis des Beschwerdegerichts, dass es die erneute Beschwerde wegen Verfristung für unzulässig hielt, beantragte die Prozessbevollmächtige des Antragstellers am 03.08.2023 vorsorglich Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Demnach hatte sie darauf vertraut, dass der ihr am 06.04.2023 zugegangene Beschluss als nicht zugestellt gilt, weil das FamG die Abschrift zwecks Berichtigung und erneuter Zustellung zurückgefordert und dementsprechend richterlich hierauf hingewiesen hatte. Weil der Wiedereinsetzungsantrag erfolglos blieb, zog sie mit einer Rechtsbeschwerde im Auftrag ihres Mandanten vor den BGH.
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BGH: Beschwerdefrist begann trotz fehlerhaftem Rechtskraftvermerk zu laufen
Der XII. Zivilsenat des BGH folgte der Ansicht der Prozessbevollmächtigten des Antragstellers nicht. Den Grund hierfür sah der Senat in einem Verschulden der Anwältin. Die tragenden Gründe des Senats im Kern:
- Fehler des Gerichts offenkundig: Demnach war der Fehler des FamG für die Anwältin nach dem Kenntnisstand, der bei ihr vorauszusetzen war, offenkundig. Von einer Anwältin sei zu erwarten, dass ihr die Verfahrensgrundzüge einschließlich des Rechtsmittelsystems bekannt sind und sie habe keinen Anlass gehabt, den streitgegenständlichen Rechtskraftvermerk falsch zu verstehen.
- Fristversäumnis verschuldet: Eine Wiedereinsetzung, so der Senat weiter, hätte jedoch vorausgesetzt, dass die Anwältin das Versäumen der Beschwerdefrist nicht verschuldet hat. Vorliegend gab es aber zumindest einen Hinweis auf das Rechtsmittel der Beschwerde – lediglich der Rechtskraftvermerk war fehlerhaft. Dieser Fehler war dem Senat zufolge aber offenkundig, sodass für die Prozessbevollmächtigte die Vermutung von § 233 Satz 2 Alt. 2 ZPO (siehe unten) – die ein Verschulden nach einer fehlerhaften Rechtsmittelbelehrung prinzipiell ausschließt – nicht gilt.
- Beschwerde vom 13.06.2023 verfristet: Weil der erste Beschluss mit dem fehlerhaften Rechtskraftvermerk der Anwältin am 06.04.2023 zugestellt wurde und sie ihre Beschwerde hiergegen zurückgenommen hatte, kam ihre Beschwerde vom 13.06.2023 zu spät, denn die Monatsfrist für die Beschwerde begann am 06.04.2023 und endete am 08.05.2023, so der Senat.
Quelle: Beschluss des BGH vom 06.03.2024 – XII ZB 408/23
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Im Wortlaut: § 233 ZPO – Wiedereinsetzung in den vorigen Stand |
1 War eine Partei ohne ihr Verschulden verhindert, eine Notfrist oder die Frist zur Begründung der Berufung, der Revision, der Nichtzulassungsbeschwerde oder der Rechtsbeschwerde oder die Frist des § 234 Abs. 1 einzuhalten, so ist ihr auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. 2 Ein Fehlen des Verschuldens wird vermutet, wenn eine Rechtsbehelfsbelehrung unterblieben oder fehlerhaft ist. |
(ESV/bp)
Programmbereich: Bürgerliches Recht, Zivilverfahrensrecht