BGH: Eltern können die Vollsteckbarkeit von Vereinbarungen zum Kindesumgang nicht ohne gerichtliche Kontrolle herbeiführen (Foto: Corbis und AllebaziB/Fotolia.com)
Famlienrechtliches Umgangsrecht
BGH: Wann vertragsstrafenähnliche Reglungen zur Durchsetzung von Vereinbarungen zum Kindesumgang sittenwidrig sind
ESV-Redaktion Recht
28.02.2024
Können Eltern zur Durchsetzung von Vereinbarungen zum Umgangsrecht mit ihren Kindern vertragsstrafenähnliche Regelungen vereinbaren, die einer gerichtlichen Kontrolle entzogen sind? Hiermit hat sich der BGH aktuell auseinandergesetzt.
In dem Streitfall war die Antragstellerin eine peruanische Staatsgehörige. Aus ihrer Ehe mit dem deutschen Antragsgegner, die im Jahr 2002 geschlossen wurde, sind eine 2007 geborene Tochter und ein 2012 geborener Sohn hervorgegangen.
Der letzte gemeinsame Aufenthalt der Ehegatten war in Deutschland, wo der Antragsgegner nach wie vor lebt und arbeitet. Im Jahr 2011 zog die Antragstellerin, die Streit mit ihrem Ehemann hatte, mit der Tochter nach Peru und im Jahr 2012 wurde dort auch der Sohn geboren. Nach ihrer Umsiedlung erlaubte sie den persönlichen Umgang des Antragsgegners mit den gemeinsamen Kindern nur dann, wenn sich dieser in Peru aufhielt. Im Jahr 2017 wurde die Ehe rechtskräftig geschieden.
Im weiteren Verfahren machte die Antragstellerin noch die Zahlung eines Zugewinnausgleichs von 80.000 EUR geltend und im Dezember 2021 einigten sich die Parteien vor dem AG München auf einen Vergleich. Dieser verpflichtete den Antragsgegner – zur Abgeltung sämtlicher güterrechtlichen Forderungen – unter anderem zu einer Zahlung von 60.000 EUR, zahlbar in drei jährlichen Raten zu jeweils 20.000 EUR.
Allerdings sollten die Raten erst fällig werden, nachdem vorher ein dreiwöchiger Umgang der gemeinsamen Kinder mit dem Antragsgegner in Deutschland stattgefunden hatte. Zwar hatte das AG München diesen Vergleich gebilligt, allerdings wurde diese Billigung nach einer Beschwerde der Antragstellerin wieder aufgehoben. Der Grund: Das AG hatte keine Kindeswohlprüfung vorgenommen, die die verfahrensrechtlichen Garantien des Kindschaftsrechts erfüllte.
Die Antragstellerin hielt nun den gesamten gerichtlichen Vergleich für nichtig und hat im Mai 2022 die Fortsetzung des güterrechtlichen Verfahrens beantragt. Das AG München wies diesen Antrag zurück und stellte fest, dass das Zugewinnausgleichsverfahren durch den Vergleich beendet wurde. Weil eine Beschwerde hiergegen vor dem OLG München scheiterte, verfolgte die Antragstellerin ihr Ziel der Verfahrensfortsetzung vor dem BGH weiter.
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BGH: Koppelung von Vereinbarung zum Umgangsrecht mit Regelungen zur Ratenfälligkeit ist nichtig
Der XII. Zivilsenat des BGH hob die Entscheidung der Vorinstanz auf und verwies die Sache dorthin zurück. Demnach ist die Umgangsvereinbarung wegen der Verknüpfung mit der Stundungsabrede nach § 138 Absatz 1 BGB sittenwidrig. Die weiteren Erwägungen des Senats:
- Grundsätzliche Gefahr für Kindeswohl bei Koppelung mit wirtschaftlichen Interessen: Zwar ist nicht jeder Zusammenhang zwischen Umgangsvereinbarungen und der Beilegung von vermögensrechtlichen Streitigkeiten zu missbilligen. Dem Senat zufolge besteht bei einer vertraglichen Verknüpfung von Vermögensbelangen der Eltern und dem persönlichen Umgang mit dem Kind aber oft die Gefahr, dass die Ausgestaltung des Umgangs entscheidend von wirtschaftlichen Interessen der Eltern geprägt wird, sodass das Kind Objekt eines Handels gemacht und besonderen Loyalitätskonflikten ausgesetzt wird.
- Grenze zur Sittenwidrigkeit: Die Grenze zur Sittenwidrigkeit wird dann überschritten, wenn die Umgangsregelung unter Ausschluss einer gerichtlichen Kindeswohlkontrolle erzwungen werden kann, etwa durch Vereinbarung einer Vertragsstrafe oder einer vertragsstrafenähnlichen Regelung.
- Keine freie vertragliche Disposition beim Umgangsrecht: Hierbei ist zu beachten, dass das Umgangsrecht nicht der freien vertraglichen Disposition der Eltern unterliegt. Das heißt, die Eltern können die Vollsteckbarkeit einer Vereinbarung zum Umgang nicht ohne sachliche Kontrolle durch das Familiengericht herbeiführen, die sich am Kindeswohl orientiert. Demzufolge sieht § 156 Absatz 2 FamFG die gerichtliche Billigung einer Umgangsvereinbarung als notwendige Voraussetzung ihrer Vollziehbarkeit vor. Diese kann nicht durch eine Vertragsstrafe ausgehebelt werden.
- Vertragsstrafenähnlicher Charakter des Vergleichs: Vorliegend sah der Senat die Verknüpfung der Fälligkeit der Vergleichszahlungen und den Umgang mit den Kindern in Deutschland als sittenwidrig an. Dem Senat zufolge ermöglichte diese Regelung die Ausübung von wirtschaftlichem Druck auf die Antragstellerin, die Umgangsvereinbarung einzuhalten, was der Regelung einen vertragsstrafenähnlichen Charakter verleiht.
- Keine familiengerichtliche Kontrolle: Eine familiengerichtliche Kontrolle der Umgangsvereinbarung, die sich am Maßstab des Kindeswohls orientiert, hatte nicht stattgefunden. Eine solche hätte zwingend die Beteiligung der Kinder am Verfahren und deren Anhörung durch das Gericht vorausgesetzt, was unterbleiben ist.
Auch der Auslandsbezug des Sachverhalts änderte nichts am Ergebnis der Entscheidung des VII. Zivilsenats des BGH. Denn der Inhalt der Umgangsvereinbarung lässt eine spätere gerichtliche Kontrolle durch deutsche oder peruanische Gerichte nicht zu.
Das OLG München muss dem Senat zufolge nun prüfen, ob die Sittenwidrigkeit in Bezug auf die Verknüpfung der Umgangsregelungen mit den Regelungen zur Ratenfälligkeit nach § 139 BGB auf den gesamten gerichtlichen Vergleich durchschlägt. Hierbei muss es klären, ob die Parteien den Vergleich über 60.000 EUR in Raten zur Abgeltung der güterrechtlichen Forderungen auch dann geschlossen hätten, wenn ihnen klar gewesen wäre, dass sie die Fälligkeit der Raten nicht an den Umgang mit den gemeinsamen Kindern knüpfen durften.
Quelle: PM des BGH 27.02.2024 zum Beschluss vom 31.01.2024 – XII ZB 385/23
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- Familienrecht heute Unterhaltsrecht von Jochen Duderstadt
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