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Martin Blum, Kostenstellenleiter Continental Automotive GmbH Werk Karben (Foto: Continental)
Nachgefragt bei: Martin Blum, Kostenstellenleiter Continental Automotive GmbH Werk Karben

Blum: „Ergonomische Prozesse: Maßgeblich sind die Mitarbeitenden selbst“

ESV-Redaktion Arbeitsschutz
13.09.2021
Wie ergonomische Verbesserungen im Produktionsprozess am besten angestoßen und umgesetzt werden können, erläutert Martin Blum im Interview.

Die Gesundheitsförderung bei Continental in Karben hat Vorbildfunktion und ist mit dem unternehmensinternen Global Ergonomic Award 2020-2021 ausgezeichnet worden. Wie kam es dazu?

Blum: Wir dokumentieren und analysieren die Belastung unserer Mitarbeiter an den jeweiligen Arbeitsplätzen. Im nächsten Schritt erarbeiten wir im Team Lösungen. Am besten ist es, wenn die Belastungen gar nicht erst auftauchen und bereits vor dem Aufbau von technischen Anlagen simuliert werden können. Durch Analyse und Dokumentation erkennen wir Belastungen immer schneller und sind froh, zur Lösung auf etablierte Systeme zurückgreifen zu können. Das Konzept „Industriearbeitsplatz“ des Aktion Gesunder Rücken e.V. (AGR) ist ein guter Einstieg. Es unterstützt auch bei der Auswahl geeigneter Umsetzungspartner.

Jede Abteilung hat ein bis drei Verantwortliche für die Ergonomie am Arbeitsplatz. Zusammen mit dem Ergonomie-Coach des Werkes bilden sie das Ergonomie-Team, tauschen sich aus und machen Vorschläge.

Inzwischen haben wir höhenverstellbare Arbeitstische, Wagen und mobile Beistellwagen mit Akku oder Stromanschluss, mit Federkraft oder individuell einstellbarer Neigung. Wir optimieren Greifwege und Bewegungsprofile.

Wer setzt die Vorschläge dann um und implementiert sie in den Produktionsprozess?

Blum: Maßgeblich sind das die Mitarbeitenden selbst. Sie haben ein großes Interesse an einem möglichst ergonomischen Arbeitsplatz, können Belastungen am besten beschreiben und an Verbesserungen mitwirken.

Unser Ansatz ist es, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter konkret einzubinden, denn nur wenn die Mitarbeitenden eine neue Maßnahme als „ihre Idee“ begreifen, ist die Akzeptanz hoch. Ein Beispiel: So folgte aus einer Mitarbeiterbefragung die Anregung, Krananlagen mit pneumatischen Schlauchhebern auszustatten. Heute sind sie bei uns Standard.  

Ein weiteres Beispiel ist eine Hubeinheit für Kundenpaletten. Bisher mussten die meist weiblichen MitarbeiterInnen, ca. 3 Kilogramm schwere Fertiggeräte auf eine Palette in die entsprechenden Kundenbehälter ablegen. Die MitarbeiterInnen mussten also um die Palette laufen, sich bücken oder weit strecken, um die Geräte ordnungsgemäß verpacken zu können. Sie wünschten sich eine Hubeinheit, die nicht nur in der Höhe verstellbar, sondern auch noch drehbar ist, um von allen Seiten und auf jeder Ebene die Geräte abzulegen. Wir konnten eine solche Hub-Dreheinheit konzipieren und haben diese heute in der Produktion im Einsatz.

Oder: Zum Rüsten unsere Prüflinien müssen Adapterteile ausgetauscht werden. Diese Teile sind schwer und können nicht an den jeweils entsprechenden Linien gelagert werden. Außerdem müssen sie zu Wartungszwecken in eine Werkstatt gebracht werden. Es entsteht also ein erheblicher Aufwand beim Heben und Transportieren dieser Adapterteile.

Hier wurde ein akkubetriebener Hubwagen für drei komplette Adaptersätze konzipiert. Somit kann sehr ergonomisch, aber auch sehr viel schneller und flexibler gearbeitet werden. Die Rüstzeiten haben sich dadurch zusätzlich drastisch reduziert. Mittlerweile haben wir vier solcher „Rüstwagen“ im Gebrauch.

Sie arbeiten auch mit externen Ergonomieberatern zusammen. Wie läuft das?

Blum: Anfang 2020 hat Susanne Weber von ergoimpuls ca. 50 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zur richtigen Einstellung von ergonomischen Arbeitsplatzsystemen und ergonomischen Bewegungsabläufen geschult. Ihr Konzept stellt die Schulung von ErgoScouts als Multiplikatoren im Betrieb in den Mittelpunkt. Wichtiger Nebeneffekt ist die Sensibilisierung für Gesundheit. Das Wissen über Ergonomie am Arbeitsplatz ist bei unseren Mitarbeitenden enorm, der persönliche Nutzen für alle erkennbar.

Unsere Beschäftigten haben ein großes Interesse an der individuell richtigen Einstellung ihrer Arbeitsplätze und übernehmen sie nicht mehr einfach von der Vor-Schicht. Das ist wie beim Auto: Sitz und Spiegel, passt alles?

Diese Ergonomie-Schulungen wollen wir ausweiten und planen Termine für die einzelnen Abteilungen und dann jährliche Auffrischungen.

Wie steht es mit den Kosten?

Blum: Die sind überschaubar. Einmal umgesetzte Verbesserungen laufen in das Lastenheft ein. So verbessern sich die Anlagen stetig. Sollten die Kosten einmal höher ausfallen, muss man abwägen, welche Krankheiten entstehen könnten und was Ausfalltage dann kosten. Davon abgesehen, lassen wir uns bei Continental die Ergonomie schon etwas kosten. Die beste Bestätigung sind zufriedene und gesunde Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.  

Sie haben sich mit Erfolg um die AGR-Auszeichnung als Gesundheitsförderndes Unternehmen bemüht und außerdem den unternehmensinternen Global Ergonomic Award 2020-2021 bekommen. Welchen Wert haben diese Auszeichnung für Sie?

Blum: Natürlich ist es reizvoll diese Auszeichnungen zu bekommen. Ergonomie-Experten haben bestätigt, dass wir gute Arbeit geleistet haben und die Gesundheit unserer Belegschaft fördern. Wir wissen, dass wir auf diesem Gebiet vorne dran sind. Diese Auszeichnungen sind Bestätigungen und motivieren natürlich am Thema Ergonomie dranzubleiben.

Vielen Dank!

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