
BSG: Rechtsprechung zur Genehmigungsfiktion bei beantragten Kassenleistungen geändert
Zugelassen ist das Medikament Fampyra aber nur zur Behandlung von Gangstörungen bei Multipler Sklerose. Daher holte die beklagte AOK ein Gutachten des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK) ein. Dies teilte sie dem Kläger mit Schreiben vom 26.2.2016 mit. Mit Bescheid vom 17.5.2020 lehnte die Beklagte die beantragte Versorgung dann ab. Die Begründung: Die Voraussetzungen eines Off-Label-Use würden nicht vorliegen. Hierbei stützte sie sich auf das MDAK-Gutachten. Den Grund, warum die Beklagte über die beantragte Versorgung erst nach dem Ablauf der Fünfwochenfrist nach § 13 Absatz 3a Satz 1 SGB V entschieden hat, teilte sie dem Kläger zu keinem Zeitpunkt mit.
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Vorinstanzen: Kläger hat Anspruch auf Verordnung mit Fampyra
Im Wortlaut: § 13 SGB V Kostenerstattung - Auszug |
(3a) 1Die Krankenkasse hat über einen Antrag auf Leistungen zügig, spätestens bis zum Ablauf von drei Wochen nach Antragseingang oder in Fällen, in denen eine gutachtliche Stellungnahme, insbesondere des Medizinischen Dienstes, eingeholt wird, innerhalb von fünf Wochen nach Antragseingang zu entscheiden. 2 Wenn die Krankenkasse eine gutachtliche Stellungnahme für erforderlich hält, hat sie diese unverzüglich einzuholen und die Leistungsberechtigten hierüber zu unterrichten (…) 5 Kann die Krankenkasse Fristen nach Satz 1 oder Satz 4 nicht einhalten, teilt sie dies den Leistungsberechtigten unter Darlegung der Gründe rechtzeitig schriftlich mit. 6 Erfolgt keine Mitteilung eines hinreichenden Grundes, gilt die Leistung nach Ablauf der Frist als genehmigt. |
BSG: Genehmigungsfiktion gibt nur Anspruch auf Kostenersatz
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Kein eigenständiger Leistungsanspruch auf künftige Versorgung: Nach Auffassung des Senats hat der Kläger nur aufgrund der Genehmigungsfiktion noch keinen eigenständigen Leistungsanspruch auf die Versorgung mit Fampyra. Diese Fiktion, so der Senat weiter, hat nicht die Qualität eines Verwaltungsaktes.
- Fiktion vermittelt nur vorläufige Rechtsposition: Vielmehr vermittelt sie dem Versicherten nur eine vorläufige Rechtsposition. Aufgrund dieser darf er zwar die beantragte Leistung selbst beschaffen und Kostenersatz verlangen, solange er gutgläubig ist. Dies betrifft allerdings nicht den künftigen Versorgungsanspruch. Insoweit ist die Krankenkasse (KK) weiterhin berechtigt und verpflichtet, über den gestellten Antrag zu entscheiden und damit das laufende Verwaltungsverfahren zu beenden.
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Aber - KK trägt Risiko des Kostenersatzes: Bis zur Entscheidung trägt die KK aber das Risiko des Kostenersatzes aufgrund der Genehmigungsfiktion. Das danach begründete Recht zur Selbstbeschaffung auf Kosten der Kasse hat der Versicherte dem Senat zufolge auch bei materieller Rechtswidrigkeit der selbstbeschafften Leistung, solange er nicht bösgläubig ist.
Änderung der ursprünglichen Rechtsprechung des 1. Senats des BSG
Der Kläger kann kann also nicht die Aufhebung des Ablehnungsbescheides mit der Begründung verlangen, dass eine Genehmigungsfiktion wirkt. Vor allem insoweit hatte der Senat seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben. Seine Haltung leitet er im Wesentlichen aus den
- Gesetzgebungsmaterialien,
- aus den Grundsätzen der Verfahrensbeschleunigung,
- sowie aus den Sanktionen für die Nichteinhaltung der Fristen für die Krankenkassen her.
Ausblick
Künftig werden die Versicherten bei den Ansprüchen gegen Ihre KK genauer unterscheiden müssen zwischen
- dem Kostenersatz aus der Genehmigungsfiktion, der sich vom Grunde her zeitlich auf die Entscheidungsphase über die beantragte Versorgung beschränkt
- und der grundsätzlichen Versorgung, die auf die Zukunft gerichtet ist.
Quellen:
- PM des BSG vom 28.5.2020 zum Urteil vom 26.5.2020 – B 111 KR 9/18 R
- Terminbericht 19/20 vom 26.5.2020 zur Sitzung des 1. Senats des BSG
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(ESV/bp)
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