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Das BVerfG kann nach § 32 Abs. 1 BVerfGG im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung unter bestimmten Voraussetzungen vorläufig selbst regeln (Foto: Klaus Eppele und AllebaziB / stock.adobe.com)
Räumungsschutz bei Wohnraummiete

BVerfG zur Zwangsräumung der Wohnung von hochschwangerer Frau

ESV-Redaktion Recht
12.06.2025
Kann das BVerfG die Zwangsräumung der Wohnung einer hochschwangeren Frau, die vier Tage vor einem Kaiserschnitt stattfinden soll, zeitweise aussetzen, weil die Familie ansonsten in eine Container-Notunterkunft ziehen müsste? Hierüber hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG in einem kürzlich veröffentlichten Beschluss entschieden.
In dem Streitfall hatte der Vermieter aus einem Vergleich, den die Mietparteien am 18.01.2024 vor dem AG Schwabach (1 C 379/23) geschlossen hatten, die Zwangsräumung betrieben. Demnach sollte die Wohnung vier Tage vor einem geplanten Kaiserschnitt zwangsgeräumt werden. Die Familie hätte dann in einer Notunterkunft der Gemeinde in Containern untergebracht werden müssen.  
 
Hiergegen beantragte die Familie Räumungsschutz beim Vollstreckungsgericht am AG Schwabach (kurz VG) im Sinne von § 765a ZPO. Dabei legte sie unter anderem den Bericht ihres Krankenhauses vor, dem auch der bevorstehende Kaiserschnitt zu entnehmen war und beanstandete die hygienischen Verhältnisse in der Notunterkunft.
 

Vollstreckungsgericht: Keine sittenwidrige Härte

 
Das VG lehnte den Räumungsschutzantrag der Familie mit Beschluss vom 13.05.2025 ab. Demnach lag keine sittenwidrige Härte im Sinne von § 765a Abs. 1 ZPO (siehe auch unten) vor. Das VG meinte, dass schon die Schwangerschaft nicht ausreichend nachgewiesen wäre. Darüber hinaus sah das Gericht eine etwaige erneute Schwangerschaft der Frau aufgrund der finanziellen Situation der Familie als „geradezu fahrlässig“ an. Daher könne die Familie keine staatlichen Schutzpflichten geltend machen. Gegen den Ablehnungsbeschluss des VG beantragte die Familie dann eine einstweilige Anordnung vor dem BVerfG.

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BVerfG: Einstweilige Aussetzung der Zwangsräumung

 
Die 3. Kammer des Zweiten Senats des BVerfG hat die Zwangsvollstreckung aus dem obigen Räumungsvergleich bis zu einer Entscheidung über eine noch einzulegende Verfassungsbeschwerde – höchstens aber für sechs Monate – ausgesetzt. Die wesentlichen Überlegungen der Kammer:
 

Regelung durch einstweilige Anordnung möglich

 
Zunächst stellte die Kammer klar, dass vorliegend ein isolierter Eilantrag der Vollstreckungsschuldner auf Aussetzung der Zwangsräumung zulässig war. Sie betonte ebenso, dass das BVerfG nach § 32 Abs. 1 BVerfGG (siehe auch unten) im Streitfall einen Zustand vorläufig durch einstweilige Anordnung regeln kann, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile dringend geboten ist oder ein anderer wichtiger Grund vorliegt, der dem Gemeinwohl dient. 
 

Unzureichende Sachaufklärung

 
Nach den weiteren Ausführungen der Kammer hätte sich das Vollstreckungsgericht (VG) ein genaues Bild von dem Sachverhalt machen müssen und dabei nicht nur an der Oberfläche bleiben dürfen: Dies begründete die Kammer wie folgt:  

  • Unbeachteter Krankenhausbericht: Das VG hätte sich vor allem Klarheit über die gesundheitlichen Folgen der Unterbringung in Not-Containern Klarheit schaffen müssen. Das gilt vor allem für die Schwere der zu erwartenden Gesundheitsbeeinträchtigungen und deren Eintrittswahrscheinlichkeit. Auch weil das VG den Krankenhausbericht unbeachtet ließ, habe es seine Prüfpflichten nicht erfüllt.
  • Zweifel an Schwangerschaft nicht näher ausgeführt: Zudem hat das VG der Kammer zufolge die gesundheitliche Situation der hochschwangeren Antragstellerin nicht ausreichend gewürdigt. Es zweifelte ihre Schwangerschaft zwar an, aber es klärte den Sachverhalt hierzu nicht auf.  


Sicherstellung einer menschenwürdigen Unterbringung als staatliche Aufgabe


Schließlich hält die Kammer die Begründung des VG – nach der sich die Familie deshalb nicht auf staatliche Schutzpflichten berufen konnte, weil das VG eine erneute Schwangerschaft aufgrund der finanziellen Situation als „geradezu fahrlässig" ansah – für verfehlt. Der Grund: Es ist Aufgabe der staatlichen Stellen, eine menschenwürdige Unterbringung im Sinne von Art. 1 Abs. 1 GG sicherzustellen. Auch zu dieser Frage hätte das VG den Sachverhalt näher aufklären müssen, wenn es den Vollstreckungsschutz ablehnt, so die Kammer abschließend.
 


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Bearbeiter: Björn Frische, Prof. Dr. Oliver Horsky, Prof. Ulrich Keller

 

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  • Räumungsvollstreckung bei Wohnraum, insbesondere die sogenannte Berliner Räumung
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  • Eingehende Erläuterungen zur Vermögensauskunft des Schuldners
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Im Wortlaut: § 765a Abs. 1 Sätze 1 und 2 ZPO – Vollstreckungsschutz
(1) 1 Auf Antrag des Schuldners kann das Vollstreckungsgericht eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. 2 Es ist befugt, die in § 732 Abs. 2 bezeichneten Anordnungen zu erlassen.
 
Im Worltaut: § 32 Abs. 1 BVerfGG
(1) Das Bundesverfassungsgericht kann im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist.


(ESV/bp)

Programmbereich: Bürgerliches Recht, Zivilverfahrensrecht