Compliance Defence
Das vorliegende Buch, zugleich an der Universität Bochum als Dissertation angenommen, ist im Rahmen des Bochumer Nachwuchsforscherkollegs für intradisziplinäre Rechtswissenschaft entstanden. Aktueller Aufhänger sind die immer mehr und höheren Bußgelder für Kartellrechtsverstöße, die in großen Teilen auf die Einführung der Kronzeugenregelung in Europa zurückzuführen sind. Ziel des Buches ist es, herauszufinden, ob und wie Compliance-Defence im kartellrechtlichen Verfahren möglich ist und wie sie gestaltet werden kann, um in den Genuss der Bonusregel – also einer Minderung des Bußgeldes – zu kommen.
Die Ausführungen beginnen mit einer Darstellung der Folgen von kartellrechtlichem Fehlverhalten. Dabei geht der Autor nicht nur auf die auf der Hand liegenden einschlägigen Gefahren durch Bußgelder ein, sondern beschreibt auch die ethischen Risiken. Außerdem werden potenzielle Entwicklungen im Bereich zivilrechtlicher und der persönlichen Haftung von Geschäftsführern ausführlich besprochen. Der Autor nimmt die dargestellten erheblichen monetären und nicht-monetären Risiken zum Anlass, die Compliance-Defence zu diskutieren. Darunter versteht er ein Compliance-Programm, das die Belegschaft dazu bringen soll, kartellrechtliches Fehlverhalten zu vermeiden. Zur Defence wird dieses Programm erst dann, wenn ein kartellrechtlicher Vorwurf im Raum steht und sich das Unternehmen gegen die Vorhaltungen des Kartellamts verteidigen muss.
Roos schreibt Compliance vier Funktionen zu: 1. Eine Signalfunktion an den Kapitalmarkt. 2. Eine Schutzfunktion für die Mitarbeiter, die über potenzielle Haftungsfolgen informiert werden und geschützt werden sollen. 3. Eng damit verbunden ist die Informationsfunktion, durch die die Mitarbeiter erst erfahren, welche Regeln für sie einschlägig sind. 4. Eine Marketingfunktion, wodurch das Unternehmen seine öffentliche Wahrnehmung steigert.
Die kartellrechtliche Compliance hat dabei eine Besonderheit. Es entsteht eine Rente dadurch, dass die Bonusregelung mit zum Teil erheblichen Vorteilen für das bestrafte Unternehmen greift. Die Kartellbehörden selbst haben auch einen Vorteil: Durch Honorierung bestimmter Praktiken kann das Setzen von Best Practice erreicht werden, mit dem wiederum versucht wird, letztlich das Zustandekommen von Kartellfällen zu verhindern.
Ausführlich wird dann die bisherige Entscheidungspraxis der EU-Kommission dargestellt. Anhand von sechs Entscheidungen aus der Vergangenheit wird dargelegt, dass bisher Compliance-Defence-Programme sehr wohl zu Minderungen der Bußgelder geführt haben. Allerdings hat die EU-Kommission und bei der Überprüfung auch der Europäische Gerichtshof die Entscheidungspraxis geändert. Eine Compliance-Defence wird nicht mehr als bußgeldmindernd angesehen. Hintergrund ist insbesondere, dass die EU die verhaltenssteuernde Wirkung von Bußgeldern anerkennt und davon ausgeht, dass die teilweise sehr hohen Bußgelder eine abschreckende Wirkung haben. Der Autor arbeitet heraus, dass je mehr sich der Compliance-Gedanke in Praxis und Wissenschaft verbreitete, die Chance geringer wurde, dass ein Compliance-Programm zu reduzierten Bußgeldern führte.
Die Haltung des deutschen Kartellamts wird vom Autor eher negativ eingeschätzt. Bußgeldminderung durch Compliance-Programme ist nicht vorgesehen. Dies wird allerdings in Entscheidungen deutscher Gerichte schon anders gehandhabt. Hier wird selbst die Ankündigung von Compliance-Programmen als haftungsmindernd angesehen. Ausführlich stellt Roos auch die Rechtslage in den USA dar. Mit Frankreich und dem Vereinigten Königreich geben zwei EU Mitgliedsstaaten bis zu zehn Prozent Rabatt auf Bußgelder bei Vorliegen eines Compliance-Programms.
Im zweiten Teil der Arbeit werden die gesellschaftsrechtlichen Aspekte der kartellrechtlichen Compliance diskutiert. Hier startet der Autor mit einer Diskussion der Frage nach der Notwendigkeit von Compliance im Allgemeinen. Zurecht bezeichnet er Compliance-Programme jenseits aller formaljuristischen Überlegungen als ein Gebot der Vernunft, dem sich jeder Unternehmensverantwortliche stellen sollte. Gerade einmal sechs Seiten widmet Roos der sinnvollen Ausgestaltung des Compliance-Programms, um in einem kartellrechtlichen Bußgeldverfahren bestehen zu können. Dies ist schade, hier hätte sich insbesondere der Praktiker der Compliance deutlich mehr Hinweise gewünscht.
Im dritten Teil widmet sich der Autor dann dem kartellrechtlichen Bußgeldverfahren an sich. Dieser Teil ist insbesondere für Rechtswissenschaftler interessant. Der abschließende Vorschlag des Autors, eine Ermäßigung quasi auf Bewährung zu geben, ist interessant. Die Erleichterung wird gewährt – und sofern beobachtet wird, dass es keine weiteren kartellrechtlichen Verstöße gibt, bleibt es bei der milderen Strafe.
Der Band hat viele interessante Ansätze, weitere Klärung wünscht man sich insbesondere bei der rechtskonformen Ausgestaltung der Compliance-Defence. Dem Buch würde ein genaues Lektorat gut tun, da es viele, teilweise stark störende Druckfehler gibt.
Prof. Dr. Stefan Behringer, NORDAKADEMIE Elmshorn
Quelle: ZRFC Risk, Fraud & Compliance Heft 2/2015