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Bessere Work-Life-Balance durch Homeoffice (Foto: Bruno Cerbera/Unsplash)
Betriebliche Organisation

Das Recht auf Homeoffice

Volker Nürnberg und Lena Hintschich
12.06.2019
Im Zeitalter der Digitalisierung rückt der Wunsch von Zuhause zu arbeiten immer mehr in den Mittelpunkt. Während in den Niederlande bereits ein Anspruch auf Homeoffice besteht, plant die SPD eine Verankerung des Rechtes auch in Deutschland. Demnach sollen Arbeitgeber lediglich das geographisch flexible Arbeitsmodell aus der Ferne verwehren können, wenn eine ausreichende Begründung vorliege.
Studien zu Folge könnten rund 40% der Arbeitnehmer ihre Arbeit von Zuhause aus verrichten, jedoch geben nur ca. 12% an, dies auch tatsächlich regelmäßig zu tun. Als Vorteile werden hierbei insbesondere die erhöhte Kontollüberzeugung und intrinsische Motivation angesehen, welche zur Steigerung der Produktivität führen. Aber auch Kosteneinsparungen sowie Aspekte des Umweltschutzes und die bessere Vereinbarkeit von Beruf und Familie werden als Chancen der Heimarbeit gesehen. Rund 64% der Deutschen sind daher für einen gesetzlichen Anspruch auf Homeoffice, während 31% sich dagegen aussprechen. Als Kritikpunkte werden häufig die Ungleichbehandlung der Mitarbeiter sowie die Datensicherheit und Verstöße gegen das Arbeitsschutzgesetz aufgeführt.

Insbesondere in der Führungs- und Managementebene ist Telearbeit eine gängige Arbeitsmethode. So zeigten Studienergebnisse des Regus Global Economic Indicator aus dem Jahr 2013, dass 48% der Geschäftsführer weltweit mindestens die Hälfte ihrer Woche aus der Ferne arbeiten. An der Studie nahmen über 26.000 Manager in 90 Ländern teil. 55% der Befragten gaben an, dass das effektive Management von flexiblen Mitarbeitern ein wünschenswertes Unternehmensziel ist. Eine Analyse der leistungsstärksten Unternehmen in Deutschland zeigte außerdem, dass Homeoffice von knapp der Hälfte der Firmen offiziell offeriert wird. Allerdings nutzen viele Arbeitnehmer dieses Angebot nicht, da ihnen die nötige Ausstattung, wie beispielsweise ein Arbeitszimmer, fehlt oder regelmäßige Heimarbeit im Unternehmen nicht gerne gesehen ist.

Besonders bei jüngeren Mitarbeitern lässt sich eine Korrelation zwischen Telearbeit und der Arbeitgeberattraktivität vermuten. Während sich die Homeoffice-Nutzung in den letzten Jahren bei den über 50-Jährigen eher wenig veränderte, steigt diese bei den jüngeren Beschäftigten jährlich. Auch in Bezug auf das Geschlecht lassen sich signifikante Unterschiede erkennen. Männer nutzen das flexible Arbeitsmodell mit ca. 43% öfter als ihre Kolleginnen (33%). Es lässt sich jedoch vermuten, dass diese Diskrepanz weitestgehend auf Branchenunterschiede zurückgeführt werden kann. So sind Frauen übermäßig in Berufsgruppen repräsentiert, in denen das Arbeiten von Zuhause nicht möglich ist.

Chancen

Von dem Recht auf Homeoffice würde sowohl das Unternehmen als auch der Arbeitnehmer profitieren. Bessere Vernetzung in Notfällen, Effektivitäts- und Wirksamkeitsverbesserung des Managements sowie Senkung der allgemeinen Kosten sind häufig aufgeführte Faktoren der Arbeitgeber. Arbeitnehmer hingegen schätzen die bessere Work-Life-Balance*, wodurch berufliche und familiäre Verpflichtungen leichter vereinbart und bewältigt werden können. Hinzu kommt auch eine Steigerung der intrinsischen Motivation und der internalen Kontrollüberzeugung, welche als Faktoren angesehen werden, um eine Erhöhung der Resilienz zu erzielen und somit psychische Krankheitsrisiken zu vermindern.

Im „War for Talents“ ist eine hohe Arbeitgeberattraktivität essentiell, um High-Potential-Kandidaten zu gewinnen und zu halten. So sind die meisten Mitarbeiter loyaler gegenüber ihrem Arbeitgeber, wenn sie die Möglichkeit haben, ihre Arbeit flexibel einzuteilen.  Dies geht mit einer allgemein höheren Zufriedenheit einher, welche insbesondere aus einem verringerten Konflikt zwischen Arbeit und Familie sowie einer höher wahrgenommenen Handlungsfreiheit resultiert. Besonders für Frauen bietet das Homeoffice daher eine große Chance. Studien zeigen, dass die meiste unbezahlte Arbeit (Hausarbeit, Kindererziehung) in der heutigen Zeit immer noch vom weiblichen Geschlecht übernommen wird. Dies geht mit einer hohen Frauenquote in Teilzeitarbeit und einer verringertem Frauenanteil in Führungsebenen einher. Durch das Recht auf Homeoffice hätten ambitionierte Frauen demnach eine bessere Chance, Beruf und Familie zu vereinen und die Geschlechterungleichheit in den höheren Managementebenen zu verringern.

Für Arbeitgeber ist besonders die gesteigerte Produktivität von Vorteil. Eine Studie der Universitäten Stanford und Beijing zeigt, dass Mitarbeiter, die zufällig ausgewählt wurden, um für neun Monate von Zuhause aus zu arbeiten, ihre Produktivität um 13,5% im Vergleich zu der Kontrollgruppe im Büro steigern konnten. Diese Verbesserung ergab sich zum einen aus der längeren Arbeits- und der ersparten Pendelzeit, zum anderen aus der höheren Effizienz durch ruhigere Arbeitsbedingungen. Die Studie zeigte außerdem, dass Heimarbeiter signifikant höhere Arbeitszufriedenheitswerte haben und ihre Austrittsquote um fast 50% sank. Die Beförderungsraten der Mitarbeiter, die Homeoffice nutzten, verringerten sich hingegen um die Hälfte.

Ferner lässt sich vermuten, dass Heimarbeit positive Auswirkungen auf die Umwelt und die Verkehrsinfrastruktur hat. So gehen australische Schätzungen davon aus, dass 120 Millionen Liter Kraftstoff eingespart und der Ausstoß von 320.000 Tonnen CO2 verringert werden können, wenn nur zehn Prozent der Angestellten die Hälfte ihrer Arbeitszeit von Zuhause arbeiten würden.

Risiken

Obwohl die Heimarbeit auf den ersten Blick einige Vorteile bietet, argumentieren Kritiker mit einer geringeren Mitarbeiterbindung, einem Mangel an Datensicherheit, Verstöße gegen den Arbeitsschutz und einer Ungleichbehandlung der Mitarbeiter. Auch die ständige Erreichbarkeit und das damit einhergehende erhöhte Stresslevel sind häufig aufgeführte Gegenargumente.

In vielen Berufen ist das Recht auf Homeoffice nicht realisierbar, wie beispielsweise in der Pflege, als Verkäufer im Einzelhandel oder als Handwerker. Daher bieten laut einer Befragung 63% der Unternehmen keine Heimarbeit an, da sie die Befürchtung haben, dass dies zur einer unfairen und ungleichen Behandlung der Angestellten sowie zu einer Verschlechterung der Arbeitsbeziehungen führen könnte.  Auch Teamarbeitsprozesse gestalten sich im Homeoffice eher schwierig. So geben rund 53% der Mitarbeiter an, das Gefühl zu haben, wichtige soziale und geschäftliche Interaktionen und aktuelle Themen zu verpassen oder nicht ausreichend informiert zu werden. Eine langsame Isolation von den alltäglichen Aktivitäten des Unternehmens und der Kollegen entsteht. Infolgedessen werden Auswirkungen und Effekte auf die Firma möglicherweise weniger bewusst wahrgenommen. Durch die fehlende persönliche und zwischenmenschliche Kommunikation kommt es außerdem zu einem Abfall der Verbundenheit und des Vertrauens. Eine Studie zeigt die Wichtigkeit der Manager-Mitarbeiter-Kommunikation und des Feedbackprozesses. Demnach haben Mitarbeiter eine geringe Arbeitszufriedenheit, wenn die verantwortliche Führungskraft größtenteils von der Ferne arbeitet.

Die Fähigkeit zur Arbeits- und Selbstmotivation ist besonders im Homeoffice von großer Bedeutung. Während im Büro das Arbeitsklima oder die Anwesenheit der Teamkollegen und des Managers motivierende Faktoren darstellen, entfallen diese Komponente bei der Heimarbeit fast komplett. Hinzu kommt die Beeinträchtigung durch Kinder, Ehepartner, Haustiere und Nachbarn. So ist die Ablenkung im Homeoffice nur dann geringer als im Büro, wenn ein geeigneter Raum mit den nötigen Arbeitsmitteln zu Verfügung steht. Ferner werden die Arbeitskraft und das Engagement der Heimarbeiter durch die flexiblen Arbeitszeiten häufig lediglich über Ergebnisse und Produktivität gemessen. Nachteile hierbei sind, dass Variablen wie beispielsweise Recherchetätigkeiten, der Umgang mit technischen Problemen sowie der Zeitverlust bei erfolglosen Versuchen oft unberücksichtigt bleiben. So werden die für die Arbeit aufgewendeten Stunden in der Regel unterschätzt, was zu optimistischen Zahlen von Produktivitätszuwächse und -einsparungen führt.

Weitere Kritikpunkte sind die erschwerte Überwachung der Mitarbeiter bezüglich des Arbeitsschutzgesetzes und die verringerte Datensicherheit. Insbesondere das Einhalten der gesetzlich vorgeschriebenen Höchstarbeitszeiten, Pausen und Nachtruhe gelten bei dem flexiblen Arbeitsmodell als kritisch. Hinzu kommt, dass bei der Heimarbeit oder der Arbeit an öffentlichen Orten eine verminderte Datensicherheit besteht. Hauptsächlich Dienstleister, bei denen die Arbeit mit Kundendaten zum alltäglichen Geschäft gehört, laufen Gefahr, gegen die Datenschutzrichtlinien zu verstoßen.

Fazit

Im Allgemeinen profitiert die Gesellschaft von der Heimarbeit in persönlicher, ökologischer und wirtschaftlicher Hinsicht. Für Städte und den Umweltschutz würde das Recht auf Homeoffice den Vorteil bieten, dass die Transportinfrastruktur entlastet und der Ausstoß von Abgasen vermindert wird.

Arbeitnehmer dagegen profitieren besonders von der besseren Work-Life-Balance. So würde insbesondere Zeit eingespart werden, die Angestellte normalerweise durch Pendeln zum Arbeitsplatz verlieren. Aus Unternehmenssicht stellen die Vergrößerung des Talent-Pools, reduzierte Kosten und eine Steigerung der Produktivität nennenswerte Chancen dar. Vor allem Kosteneinsparungen werden von Firmen als Vorteile aufgeführt, jedoch können diese gleichzeitig auch als potenzielle Risiken für Mitarbeiter angesehen werden. Durch die Einführung des Anspruchs auf Heimarbeit könnte es sein, dass Unternehmen ihre Büro- und Arbeitskapazitäten verkleinern und Angestellte keine andere Wahl haben, als von Zuhause aus zu arbeiten, selbst wenn sie nicht über die nötigen Arbeitsmittel verfügen. Hinzu kommen eine ungleiche Behandlung der Mitarbeiter und eine Verschlechterung der Teamarbeitsprozesse sowie der Arbeitsbeziehungen. Auch die größere Stressbelastung der Arbeitnehmer durch die ständige Erreichbarkeit sowie ergebnisorientierte Messungen der Arbeitskraft und des Engagements sprechen gegen die Verankerung des Rechts auf Homeoffice in Deutschland.


Exkurs: Work-Life-Balance

Als Work-Life-Balance wird das Gleichgewicht zwischen Arbeits- und Privatleben verstanden. Ziel ist es private Interessen mit den Anforderungen der Arbeitswelt in Einklang zu bringen. Eine konzeptuelle Erweiterung der Work-Life-Balance stellt die Life-Domain-Balance dar, welche von mehreren relevanten Lebensbereichen ausgeht, die es zu vereinen gilt.

Auch der Work-Life-Blending und der Work-Life-Separation Ansatz beschäftigen sich mit der Beziehung zwischen Privatleben und Arbeit. Während Work-Life-Blending eine Integration der geschäftlichen und persönlichen Interessen in den Alltag für gesundheitsförderlich hält. Besagt der Work-Life-Separation Ansatz das Gegenteil.


Die Autoren
Prof. Dr. Volker Nürnberg ist Partner im Fachbereich Gesundheitswirtschaft Advisory Services bei BDO und lehrt u.a. an der TU München.

Lena Hintschich ist Studentin der Psychologie.


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