
Der Arbeitsschutz der Zukunft
Die Gründe hierfür sind vielfältig. Arbeitsschutz wird oft als unbequem empfunden. So z. B. der Schulterblick beim Rückwärtsfahren mit dem Gabelstapler, der möglicherweise zu Nackenschmerzen führt. Daher neigen Arbeitnehmer dazu, nicht mehr nach hinten zu gucken. Hinzu kommt die Erfahrung, bisher noch keinen Arbeitsunfall erlitten zu haben – eine gefährliche Mischung!
Mit Verboten oder Regeln zu arbeiten ist nicht zielführend. Vielmehr müssen Arbeitnehmer vernünftig ausgebildet und unterwiesen werden. Dies sollte auf Augenhöhe und interessenorientiert geschehen. Anstatt bei Verfehlungen zu bestrafen, sollten wir Mitarbeiter für die Befolgung des Arbeitsschutzes loben. Dies mag ein ungewohntes Verhalten sein, das regelmäßig mit Mehraufwand verbunden ist. Deshalb wiederhole ich es immer wieder: Arbeitnehmer sollen für sicheres Arbeitsverhalten so oft es geht positives Feedback erhalten. An dieser Stelle ist ein Wandel der Unternehmenskultur anzustreben, der nicht von heute auf morgen stattfindet und die Bereitschaft von Führungskräften, Sifas und Mitarbeitern voraussetzt.
Ein anderer Grund für Arbeitsunfälle ist das Situationsbewusstsein. Fragen Sie sich selbst einmal, wo Sie sich gedanklich befinden, wenn Sie über die Autobahn fahren? Sie sind gedanklich überall, nur nicht auf der Autobahn. Genau dieser „Autopilot-Modus“ erklärt vielleicht, wieso es allein im Jahre 2020 rund 13.700 Unfälle mit Gabelstaplern gab.
„Vision Zero“ ist eine Utopie. Auch wenn wir sie nicht zu 100 % erreichen, sollten wir alles daransetzen, uns ihr immer weiter anzunähern. Ziel aller Arbeitnehmer ist es doch, nicht nur gesund auf der Arbeit zu erscheinen, sondern auch gesund wieder nach Hause zu gehen.
Was müsste politisch, also im Arbeitsschutzrecht, geregelt werden und was sollte auf betrieblicher Ebene gefördert werden?
Das Arbeitsschutzrecht in Deutschland ist ausführlich genug. Gerade durch den Dualismus im Arbeitsschutz benötigen wir nicht noch mehr Regelungen. Auch mehr Kontrollen durch die Behörden würde lediglich dazu führen, dass sich die Unternehmen nur auf Kontrollen vorbereiten und im Ergebnis nichts in ihren Betrieben verändern.
Was wir benötigen, sind Führungskräfte, die ihre Verantwortung auf dem Gebiet des Arbeitsschutzes kennen und dieser auch nachkommen wollen. Wir brauchen Führungskräfte, die sich fragen: „Wie bleiben unsere Arbeitnehmer gesund?“ Voraussetzung ist ein positives Betriebsklima. Mitarbeiter sollten sich freuen, ihre Vorgesetzten zu sehen. Nur so kann man offen über Themen wie den Arbeitsschutz diskutieren. Auch sollten sinnlose Regeln des Arbeitsschutzes abgeschafft werden. Denn nur wenn Regeln Sinn ergeben, werden sie gerne und gewissenhaft befolgt.
Gerade ging es wieder durch die Medien: Die Manipulation an Maschinen wird häufig durch Vorgesetzte gedeckt oder sogar gefördert. Was muss sich hier ändern? Sanktionen gibt es ja bereits.
Leider werden gute Mitarbeiter oft zu schlechten Führungskräften befördert. Mitarbeiterführung ist meistens kein Bestandteil der Ausbildung. Zudem mangelt es vielen an der Vorstellung, welche Pflichten und Haftungsrisiken mit einer Führungsposition einhergehen. Dabei gibt es etliche Urteile darüber, dass Führungskräfte Maschinenmanipulationen präventiv verhindern müssen. Schon das Dulden einer Manipulation kann bei einem Personenschaden als Vorsatz gewertet werden und neben dem Jobverlust straf- und zivilrechtliche Folgen haben. Und wozu? Weil eine schlechte Planung zu Zeitdruck in der Produktion geführt hat und Kunden gehalten werden sollen?
Meiner Meinung nach müssen Führungskräfte besser ausgewählt und gezielt auf ihre Aufgaben inkl. der Themen des Arbeitsschutzes vorbereitet werden. Sie sollten den Arbeitsschutz von sich aus wollen und den Anspruch haben, Teil eines Unternehmens zu sein, das Arbeitsunfälle und Berufskrankheiten nicht in Kauf nimmt.
Inwiefern spielen Kommunikation und Softskills bei Sicherheitsingenieuren eine Rolle? Liegt hier Potenzial brach?
Zu der Berufsgruppe gehören Techniker, Meister und Ingenieure. Das ist auch gut so. Denn der Job ist oft technischer Natur. Mittels Zeichnungen und Tabellen aus DIN-Normen wird analysiert, wie der optimale Arbeitsplatz aussehen soll. Eine gute Tisch- und Stuhlhöhe bekommen so alle hin. Ein guter Sicherheitsingenieur/-techniker/-meister muss aber auch juristische und psychologische Kenntnisse haben. Wir arbeiten nämlich nicht nur mit Maschinen, sondern mit Menschen und diese sind komplex, sodass es mehrere „richtige“ und noch mehr „nicht-richtige“ Maßnahmen gibt.
Das juristische Know-how benötigen wir, um die Führungskräfte im Arbeitsschutz zielführend zu beraten und um uns selbst exkulpieren zu können. In Betrieben mit eigenen Rechtsabteilungen sind Wissenslücken in diesem Bereich oft nicht allzu dramatisch. Dies setzt allerdings voraus, dass die Rechtsabteilung den Arbeitsschutz mitbetreut und mit der Sifa zusammenarbeitet. Das wird in der Praxis oft vernachlässigt.
Schwieriger ist die Frage, wie Sifas Führungskräfte und Mitarbeiter erreichen können. Denn die wenigsten Betriebe beschäftigen Arbeitspsychologen. Vielen Sicherheitsingenieuren fehlen die erforderlichen Softskills in diesem Zusammenhang, sodass der wertschöpfende Umgang mit Mitarbeitern vernachlässigt wird. Zwar sind arbeitspsychologische Themen in der neuen Sifa-Ausbildung stärker vertreten, allerdings geht dies auf Kosten anderer Inhalte.
Eine gute Sicherheitsfachkraft sollte sich daher selbst in den Bereichen Human Factors und Behavior Based Safety weiterbilden.
Nur so kann sie Mitarbeiter effizient dabei unterstützen, sich an Arbeitsschutzvorschriften zu halten, was für das große Ziel „Vision Zero“ förderlich ist. Im Ergebnis sollte Arbeitsschutz – wie das Anschnallen im PKW – ein Automatismus sein.
Vielen Dank, Herr Muro!
Das Interview erschien zuerst in unserer Fachzeitschrift:
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(ESV/FG)
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