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Die ESV-Redaktion im Dialog mit Dr. Ansgar Kalle (links im Bild): „Die Haftung der Arbeitgeber für Scheinselbstständigkeit beschäftigt die Praxis in hohem Maße" (Foto: Privat und NetxtGenMedia)
Zweite junge Tagung Sozialrecht

Dr. Ansgar Kalle: „Die Tagung hat gezeigt, dass es bei der Suche nach Lösungen hilft, mit wissenschaftlicher Systematik vorzugehen“

ESV-Redaktion Recht
20.05.2025
Im deutschsprachigen Raum mangelt es an wissenschaftlichem Nachwuchs im Sozialrecht. Daher wollen einige junge Rechtswissenschaftlerinnen und Rechtswissenschaftler den Nachwuchs in diesem Bereich mit regelmäßigen Tagungen zusammenbringen und die Vernetzung fördern. Über die Idee und die Themen dahinter hat Dr. Ansgar Kalle (Universität Bonn) einer der Initiatoren der Zweiten Jungen Tagung Sozialrecht gegenüber der ESV-Redaktion unter anderem in einem Video Auskunft gegeben.   
Nachdem Ende März 2024 die „Erste Junge Tagung Sozialrecht“ in den Räumen des GKV-Spitzenverbandes in Berlin stattfand, folgte vom 17. bis zum 19. März 2025 die Fortsetzung. Welche Idee steckt dahinter?

Dr. Ansgar Kalle:  Die Tagung sollte dem sozialrechtlich interessierten Nachwuchs ein Forum für den fachlichen Austausch eröffnen. Ein solches Format existiert bereits seit längerem für andere Fächer, etwa das Arbeitsrecht. Dort hat es den Austausch zwischen fachlich Interessierten aus ganz Deutschland – aber auch den europäischen Nachbarn – erheblich erleichtert. Schließlich bietet eine solche Tagung die Möglichkeit, sich einmal pro Jahr in Präsenz zu treffen. Diese Möglichkeit wollten unsere Vorgänger im letzten Jahr auch für das Sozialrecht eröffnen.
 

Wie war die damalige Resonanz? 
 
Dr. Ansgar Kalle: Die Resonanz war ausgesprochen gut. Die beiden Tagungstage stießen auf großes Interesse. Es gab weit mehr Einsendungen als Vortragsplätze. Während der Veranstaltung zeigte sich das Publikum sehr interessiert. Die Vorträge wurden ausgiebig diskutiert. Die Tagung kam so gut an, dass sich die Veranstalter bereits vor Ort entschieden haben, dass die Tagung im nächsten Jahr fortgesetzt werden sollte.





Auch als Audio-Podcast:




Die zweite Veranstaltung stand unter dem Leitgedanken oder Motto: „Solidarität und Selbstverantwortung“. Auf welche (Teil)-Bereiche war die diese Tagung fokussiert ?
 
Dr. Ansgar Kalle:  Wir hatten drei Blöcke zum Krankenversicherungsrecht. Zu diesem Teilbereich des Sozialrechts haben uns die meisten Einsendungen erreicht. Das dürfte zum einerseits darauf zurückzuführen sein, dass Solidarität und Selbstverantwortung im § 1 SGB V, dem zentralen Gesetz zur GKV, als Leitbegriffe besonders hervorgehoben werden. Allerdings spiegelt die hohe Zahl an Einsendungen auch die Schwerpunktsetzung der Praxis wieder. Dort zeigt sich im Recht der GKV der größte Beratungsbedarf.
 
Können Sie die weiteren Themen der zweiten Tagung kurz umreißen? Welche würden Sie hervorheben?
 
Dr. Ansgar Kalle:  Die Tagung beleuchtete neben dem Krankenversicherungsrecht viele weitere Sektoren. Als Zivil- und Arbeitsrechtler hatte ich ein besonderes Interesse am Vortragsblock zum Thema Scheinselbstständigkeit. Die Haftung der Arbeitgeber für Scheinselbstständigkeit ist ein komplexes Problem, das die Praxis in hohem Maß beschäftigt. Gleiches gilt für die Frage, wie Scheinselbstständige sozialrechtlich abgesichert sind. Weitere Vorträge befassten sich mit der Unfallversicherung und dem Existenzsicherungsrecht.
 
Was waren aus Ihrer Sicht die wichtigsten Erkenntnisse der zweiten Tagung?
 
Dr. Ansgar Kalle:  Die Tagung hat in vielen Bereichen einen beachtlichen Forschungsbedarf aufgezeigt. Sei es bei der Scheinselbstständigkeit, bei der Kürzung krankenversicherungsrechtlicher Leistungen wegen Mitverschuldens, bei der Weiterentwicklung der gesetzlichen Rentenversicherung oder bei der effektiven Gestaltung der Notfallversorgung – es bestehen noch viele Probleme, die einer Lösung bedürfen, um die Effektivität des Sozialrechts zu steigern. Der spezifische Ansatz der Tagung hat gezeigt, dass es hilft, bei der Suche nach Lösungen mit wissenschaftlicher Systematik vorzugehen.
 
In der Gesetzgebungspraxis beobachtet man häufig, dass sich der Gesetzgeber vorschnell auf Einzelfragen fokussiert und dadurch das Gesamtsystem aus dem Blick verliert. Dies kann zu Unstimmigkeiten  und einer übermäßigen Zergliederung führen. Dieses methodische Problem konnten die Tagungsteilnehmer vermeiden, indem sie Lösungen entwickelten, nachdem sie Einzelprobleme auf die Kollision zweier Leitprinzipien zurückgeführt haben: das Solidaritätsprinzip und das Prinzip der Eigenverantwortung.


Online-Kolloquium

Im Rahmen der Veranstaltung stellte Julian Seidl (Goethe-Universität Frankfurt am Main) ein Online-Kolloquium für den Austausch von Nachwuchswissenschaftler*innen zu sozialrechtlichen Themen vor, das sich regelmäßig via Zoom trifft.

Das Kolloquium ist offen für Promovierende und Habilitierende, die sich mit sozialstaatlichen bzw. sozialrechtlichen Fragestellungen im weitverstandenen Sinne beschäftigen und heißt gerne neue Teilnehmende willkommen.
Interessierte können sich gerne jederzeit via E-Mail an: seidl@jur.uni-frankfurt.de  wenden. 


 
Wie sehen Sie die Bedeutung des Sozialrechts heute? Wird diese weiter zunehmen?
 
Dr. Ansgar Kalle:  Die praktische Relevanz des Sozialrechts ist hoch. Vermutlich wird sie weiter steigen. Das Recht wird mit der Zeit immer komplexer und differenziert stärker aus. Da ist das Sozialrecht keine Ausnahme. Dies steigert den Beratungsbedarf. Hinzu kommt, dass vor allem im Kranken- und im Rentenversicherungsrecht der wirtschaftliche Druck zunimmt. Dies macht aufwändige Reformen notwendig.
 
Sehen Sie im deutschsprachigen Raum noch immer einen Mangel an wissenschaftlichem Nachwuchs im Bereich Sozialrecht oder hat sich Situation gebessert?
 
Dr. Ansgar Kalle:  Die Zahl der sozialrechtlichen Nachwuchskräfte ist nach wie vor gering. An der Universität Bonn nehmen in jedem Jahr zwischen 10 und 20 Studenten an den Vorlesungen teil, von denen sich der Großteil auf das Arbeitsrecht spezialisiert. Das dürfte zu einem großen Teil daran liegen, dass das Sozialrecht in den universitären Lehrplänen ein Nischendasein fristet. Das Sozialrecht wird lediglich in Schwerpunktbereichen besprochen. Anders als andere Nebengebiete wie das Arbeits- und das Gesellschaftsrecht zählt es nicht einmal in Grundzügen zum universitären Pflichtfachstoff. Angesichts der hohen praktischen Relevanz des Sozialrechts wären diesbezügliche Änderungen durchaus eine Diskussion wert.

Zur Person
Dr. Ansgar Kalle ist Akademischer Rat auf Zeit an der Universität Bonn. Er ist neben Frau Lamia Amhaouach-Lares (Goethe-Universität Frankfurt, ineges) und Frau Dr. Lara Wiese (Ruhr-Universität Bochum, ISGR) einer der Organisatoren der Zweiten Jungen Tagung Sozialrecht.. 

 

Welche weiteren Aktionen planen Sie?
 
Dr. Ansgar Kalle:  Ich strebe eine venia legendi auch im Bereich des Sozialrechts an und Frau Dr. Wiese möchte der Sozialrechtswissenschaft ebenfalls verbunden bleiben. Daher wollen wir langfristig weitere sozialrechtliche Veranstaltungen ausrichten und an solchen teilnehmen. Bei mir steht als nächstes Projekt der BSG-Moot Court zum Sozialrecht an. Dort nimmt der Lehrstuhl, an dem ich beschäftigt bin, mit zwei studentischen Teams aus Bonn und Köln teil.
 
In Verbindung mit der Jungen Tagung Sozialrecht 2025 realisieren Frau Ahaouach-Lares, Frau Dr. Wiese und ich zudem gerade noch ein Vorhaben, über das wir uns besonders freuen: Die Erstellung eines Tagungsbandes, der alle Beiträge enthält und kostenlos als E-Book verfügbar sein wird.


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(ESV/bp)

Programmbereich: Sozialrecht und Sozialversicherung