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Dr. Anna Izzo-Wagner und Dr. Lea Siering, die meint, dass das Vertrauen im Markt durch die Regulierung gestärkt wird (Foto: privat)
Wieviel Regulierung braucht der Anlegerschutz? Nachgefragt bei Dr. Lea Siering und Dr. Anna Izzo-Wagner

Dr. Izzo-Wagner: „Die Regulierung der Schwarmfinanzierung mit der ECSPR hat auf europäischer Ebene erst begonnen“

ESV-Redaktion Recht
08.05.2023
Das Vermögensanlagenrecht entwickelt sich sehr dynamisch. Künftig sollen auch neue grenzüberschreitende Finanzierungsperspektiven – wie etwa die EU-Crowdfunding-Verordnung (ECSPR) – das Aufsichtsrecht vereinheitlichen. Hierüber und über viele weitere Änderungen geben Frau Dr. Lea Siering, Rechtsanwältin in Berlin und Frau Dr. Anna Izzo-Wagner, LL.M. Eur., Rechtsanwältin, Frankfurt a.M., Auskunft im Interview mit der ESV-Redaktion.
Frau Dr. Izzo-Wagner, der Gesetzgeber hat vor allem seit 2015 den Schutz von Kapitalanlegern verbessert – insbesondere beim sogenannten „grauen Kapitalmarkt“. Können Sie die damalige Ausgangslage kurz skizzieren?

Dr. Anna Izzo-Wagner: Das Bundesjustiz- und Bundesfinanzministerium stellten damals im Rahmen eines verbraucherschützenden Aktionsplans für den Finanzmarkt ein gemeinsames Maßnahmenpaket vor. Hintergrund war die Novellierung der Europäischen Finanzmarktrichtlinie (Markets in Financial Instruments Directive II, MiFID II) mit dem Ziel eines verantwortungsvollen und nachhaltigen Herstellungs- und Vertriebsprozesses für Finanzprodukte (sog. Product Governance).

Im November 2014 beschloss die Bundesregierung daraufhin den Entwurf eines Kleinanlegerschutzgesetzes. Mit diesem Gesetz sollte auf Missstände am Grauen Kapitalmarkt reagiert werden, insbesondere sollten bessere Transparenzregeln und Informationen dafür sorgen, dass Anleger Risiken von Vermögensanlagen besser einschätzen konnten. Dies umfasste etwa die Ausweitung der Prospektpflicht des VermAnlG auf Nachrangdarlehen oder partiarische Darlehen. Zudem wurden bestimmte Transparenzerfordernisse festgelegt, denen Produkte zukünftig unterliegen sollten, um Prospekte aussagefähiger zu gestalten. Zur Transparenzförderung wurden darüber hinaus Wertpapierfirmen verpflichtet, den Kreis ihrer Endkunden konkret zu bestimmen und alle relevanten Risiken für die Anlegergruppe zu bewerten.

Hören Sie rein in den Podcast zum Interview: ESV im Dialog – Sie hören Recht, Folge 8:



Vor allem 2018 und 2021 wurde der Anlegerschutz dann weiter verstärkt. Welche Neuerungen würden Sie insoweit hervorheben?

Dr. Anna Izzo-Wagner: Die Umsetzung der zweiten europäischen Finanzmarktrichtlinie (MiFID II) in nationales Recht trat zum 3. Januar 2018 in Kraft und brachte insbesondere neue Pflichten im Bereich Vertrieb, Verkauf und Beratung von Finanzprodukten. Im Zentrum der Neuerungen stand vor allem die Zielmarktbestimmung, die gewährleisten sollte, dass Produkthersteller den potenziellen Kundenkreis bereits von Anfang an definieren, d.h. der Vertrieb wurde verpflichtet, den vom Hersteller vorgegebenen Zielmarkt kritisch zu prüfen, angesichts seines Kundenstamms zu konkretisieren und dies im Vertrieb praktisch umzusetzen.

Zudem wurde die Transparenz erhöht durch umfassendere Kundeninformationen zu allen Kosten und Nebenkosten im Zusammenhang mit dem Finanzprodukt sowie im Zusammenhang mit den Dienstleistungen und den Auswirkungen der Kosten auf die Rendite.
 
Das Gesetz zur weiteren Stärkung des Anlegerschutzes legte dann zum 16. August 2021 noch einmal nach:
 
Der Vertrieb von Vermögensanlagen durfte fortan nur noch durch beaufsichtigte Anlageberater und Finanzanlagevermittler erfolgen. Zudem wurden die Möglichkeiten zur Prüfung der Rechnungslegung von Vermögensanlageemittenten verbessert und das Produktinterventionsverfahren der Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) wurde gestärkt.

Auch die Transparenz für Anleger wurde weiter erhöht durch die Neuerung, dass Vermögensanlagen-Verkaufsprospekte, Wertpapierinformationsblätter (WIB) und Vermögensanlagen-Informationsblätter (VIB) künftig auf der Internetseite der BaFin veröffentlicht wurden. Darüber hinaus wurden sog. Blindpool-Anlagen, also Anlagen, bei denen die konkreten Anlageobjekte zum Zeitpunkt der Prospekterstellung noch nicht feststehen, verboten. Damit sollte eine hinreichende Bewertungsmöglichkeit für Anleger zum Zeitpunkt der Anlage sichergestellt werden.
 
Frage an Dr. Siering, welche Regelungen der letzten Jahre waren vor allem für die Start-up-Szene (Fintec) im Bereich des Vermögensanlagenrechts besonders gewinnbringend?
 
Dr. Lea Siering: Die Frage ist schwer zu beantworten. Man könnte zurückfragen, was eine gewinnbringende Regulierung aus Sicht von Fintechs sein soll?

Für Anleger liegen die Vorteile auf der Hand: ein besserer Schutz durch eine bessere Aufklärung, Haftung, Transparenz und möglicherweise auch Warnung. Für die Emittenten bedeutet das aber zunächst: Mehr Arbeit und damit auch mehr Kosten. Das erfreut zunächst die wenigsten. Gleichwohl schafft Regulierung auch Vertrauen.

Trotzdem fallen mir mehr gegenteilige Punkte ein – nicht gewinnbringend ist etwa, dass die bereits vom Gesetzgeber in § 2a Vermögensanlagengesetz (VermAnlG) vorgesehene sog. Schwarmfinanzierungsausnahme noch nicht einheitlich im Hinblick auf partiarische Darlehen, Nachrangdarlehen sowie auf Anteile, die eine Beteiligung am Ergebnis eines Unternehmens gewähren, angewendet wird,  denn nur so kann ein erleichterter Zugang zum Kapitalmarkt insbesondere für junge Unternehmen und Start-ups ermöglicht werden.

Und welche Rolle spielt in der weiteren Entwicklung des Anlegerschutzes das Crowdfunding, das nun durch die VO (EU) 2020/1503 bzw. die European Crowdfunding Service Provider Regulation – oder kurz ECSPR –  reguliert wird?

Dr. Lea Siering: 
Eine große Rolle, sofern diese zur Anwendung gelangt.

Denn Schwarmfinanzierungsangebote von über 5 Mio. Euro sind aus dem Anwendungsbereich herausgenommen. Der Schwellenwert wird auf einen Zeitraum von 12 Monaten berechnet. Für Schwarmfinanzierungsangebote über 5 Mio. Euro finden die aktuell bestehenden Vorschriften wie bisher Anwendung (damit insbesondere das Vermögensanlagegesetz, die EU-Prospekt-VO, des Wertpapierprospektgesetz sowie die GewO, das Kreditwesengesetz oder das WpIG). 

So trifft die ECSPR verschiedene Vorkehrungen zum Anlegerschutz. Ein wesentlicher Bestandteil ist das Anlagebasisinformationsblatt (KIIS). Ebenfalls zum Anlegerschutz zählen die Vorgaben zur Kenntnisprüfung und Simulation der Fähigkeit, Verluste zu tragen. 

Ähnlich wie bei der Angemessenheitsprüfung, die Wertpapierdienstleister unter dem WpHG/MiFID2 sowie Finanzanlagevermittler unter der FinVermV vornehmen müssen, müssen auch Schwarmfinanzierungsdienstleister bei den nicht kundigen Anlegern eine Kenntnisprüfung durchführen. Die Abgrenzung von „nicht kundigen Anlegern“ und „kundigen Anlegern“ erfolgt, indem alle Anleger, die nicht die Anforderungen an kundige Anleger erfüllen, nicht kundige Anleger sind. Kundige Anleger sind alle natürlichen oder juristischen Personen, die sog. geborene professionelle Kunden nach der MiFID2 sind, oder für die die Genehmigung des Schwarmfinanzierungsdienstleisters für eine Behandlung als kundiger Anleger im Einklang mit den Kriterien und dem Verfahren nach dem Anhang II der ECSPR vorliegt. Für die Kenntnisprüfung soll der Schwarmfinanzierungsdienstleister Informationen über die Erfahrung, Anlageziele, finanzielle Situation und das grundlegende Verständnis der potenziellen nicht kundigen Anleger hinsichtlich der Risiken, die mit Anlagen im Allgemeinen und mit den auf der Schwarmfinanzierungsplattform angebotenen Anlagearten im Besonderen verbunden sind, erheben. Dazu gehören insbesondere Informationen über frühere Anlagen und das Verständnis hinsichtlich der Risiken, die mit der Anlage einhergehen, sowie Berufserfahrung im Zusammenhang mit Schwarmfinanzierungsanlagen. Technische Regulierungsstandards sollen hier konkrete Vorgaben regeln. Verlusttragung/Anlageschwellen Aus dem WpHG, WpPG und VermAnlG sind bereits Anlageschwellen für Kleinanleger bekannt. Diese liegen bei 1.000 Euro, 10.000 Euro (bei einem frei verfügbaren Vermögen von mindestens 100.000 Euro) oder das doppelte monatliche Nettoeinkommen, maximal aber 25.000 Euro. Die Berechnung erfolgt auf einer Selbstauskunft des Anlegers. Ein ähnliches Vorgehen ist auch für Schwarmfinanzierungsdienstleister erforderlich. Zunächst müssen sie eine Selbstauskunft über das Reinvermögen einholen und einen 10 % Verlust simulieren. Soweit der Anleger mehr als 1.000 Euro oder einen Betrag von 5 % seines Nettovermögens investieren möchte, muss der Anleger einen Risikohinweis erhalten und ausdrücklich seine Zustimmung erteilen. Zudem muss er (etwa anhand der Kenntnisprüfung) nachweisen, dass er die Anlage und die Risiken verstanden hat.

Die ECSPR ist bereits seit dem 10. November 2021 anzuwenden. Gleichzeitig gibt es einen Übergangszeitraum; während dieses Übergangszeitraums können Schwarmfinanzierungsdienstleister (soweit ihnen noch keine Erlaubnis nach der ECSPR erteilt wurde) weiterhin gemäß den geltenden nationalen Rechtsvorschriften Schwarmfinanzierungsdienstleistungen erbringen, die in den Anwendungsbereich der ECSPR fallen. 

Die Autorinnen 
  • Dr. Lea Siering, Rechtsanwältin, Berlin: Die Autorin war 10 Jahre als Anwältin in der Fondsberatung und anderen regulierten Investmentprodukten tätig. Ihre Beratungsschwerpunkte bildeten insbesondere fintechs sowie Institute mit digitalem Fokus. Sie ist aktuell Geschäftsführerin eines in Deutschland regulierten Zahlungsdienstleisters. Daneben ist sie Mitglied des Digital Finance Forums, Vorstand des Arbeitskreises Fintech und Digital Banking des Bitkom e.V.
  • Dr. Anna Izzo-Wagner, LL.M. Eur., Rechtsanwältin, Frankfurt a.M.: Die Autorin ist seit 2006 als Rechtsanwältin in Frankfurt am Main im Bereich des Bankaufsichtsrechts und der Produktregulierung tätig und weist umfassende und fundierte Erfahrung im Bereich der Beratung von Fonds-Emittenten und –Initiatoren, zahlreichen FinTech-Unternehmen sowie Anbietern neuer Finanzprodukte auf. Sie ist Gründerin und Partnerin der auf das Bankaufsichtsrecht spezialisierten und führenden Kanzlei Annerton.

 
Welche Neuerungen würden Sie denn insoweit besonders betonen?
 
Dr. Lea Siering: Sicher den zuvor bereits aufgezeigten Anlegerschutz, strenge Haftungsvorgaben, sowie – ebenfalls aus Gründen des VerbraucherInnenschutzes – weitere Informationspflichten, wie etwa ein Anlagebasisinformationsblatt, die Pflicht zur Veröffentlichung von Ausfallquoten der vermittelten Krediten. Zudem müssen vor Abschluss eines Vertrags die Kenntnisse der Anleger geprüft und ihre Fähigkeit, Verluste zu tragen, simuliert werden. Auch erwähnenswert ist die Bedenkzeit, die man AnlegerInnen einräumen muss. Spannend ist aber im Besonderen die international Skalierung durch das Passporting in der Schwarmfinanzierungsverordnung: es muss nicht mehr für jeden EU-Mitgliedstaat individuell geprüft werden, welche jeweils nationalen Regelungen einzuhalten sind, sondern „eine“ Erlaubnis reicht aus, die dann durch ein einfaches Notifizierungsverfahren auch in den anderen EU Staaten gilt.

Frau Dr. Izzo-Wagner, wie unterscheidet sich die nun eigenständige Erlaubnis in diesem Bereich von den Erlaubnissen in § 34 f. GewO oder in § 15 WpIG?
 
Dr. Anna Izzo-Wagner: Die eigenständige Erlaubnis nach der in allen Mitgliedstaaten unmittelbar anwendbaren Schwarmfinanzierungsverordnung ((EU) 2020/1503 – European Crowdfunding Service Provider Regulation – „ECSPR“) geht den Regelungen der Erlaubnis nach § 34f Gewerbeordnung (GewO) und § 15 Wertpapierinstitutsgesetz (WpIG) grundsätzlich erst einmal vor. Das heißt, sofern die ECSPR Anwendung findet, bestehen zunächst in der Regel keine Erlaubnispflichten nach § 34f GewO oder § 15 WpIG.
 
Die ECSPR findet Anwendung auf sog. Schwarmfinanzierungsdienstleistungen. Diese bezeichnen die Zusammenführung von Geschäftsfinanzierungsinteressen von Anlegern und Projektträgern mithilfe einer Schwarmfinanzierungsplattform, durch die Vermittlung von Krediten, sowie die Platzierung ohne feste Übernahmepflicht von übertragbaren Wertpapieren und für Schwarmfinanzierungszwecke zugelassenen Instrumenten und die Annahme und Übermittlung von Kundenaufträgen. Die ECSPR umfasst demnach nur kredit- und anlagebasierte Schwarmfinanzierungen (lending-based crowdfunding und investment-based crowdfunding), also namentlich Schwarmfinanzierungsdienstleistungen in Bezug auf Kredite, Wertpapiere, sowie sog. „für Schwarmfinanzierungszwecke zugelassene Instrumente“.
 
Dabei werden Schwarmfinanzierungsangebote von über 5 Mio. Euro (über einen Zeitraum von 12 Monaten berechnet), aus dem Anwendungsbereich der ECSPR herausgenommen. Weiter darf es sich beim Emittenten, also beispielsweise dem Darlehensnehmer, nicht um einen Verbraucher handeln.

Ist der Anwendungsbereich der Schwarmfinanzierungsverordnung nicht eröffnet, finden die außerhalb der ECSPR bestehenden Vorschriften, insbesondere die des Vermögensanlagegesetzes (VermAnlG), sowie der GewO und des WpIG Anwendung.
 
Juristische Personen, die Schwarmfinanzierungsdienstleistungen erbringen möchten, benötigen eine Erlaubnis der zuständigen Behörde des Mitgliedstaats, in dem sie niedergelassen sind, in Deutschland also der BaFin.
 
Während Schwarmfinanzierungsdienstleister, die bereits über eine Erlaubnis nach der ECSPR verfügen, keiner zusätzlichen Erlaubnis nach dem WpIG oder dem KWG bedürfen, gilt dies nicht im umgekehrten Fall. Unternehmen, die über eine Erlaubnis nach dem WpIG oder dem KWG verfügen, müssen zusätzlich eine Erlaubnis als Schwarmfinanzierungsdienstleister beantragen, wenn sie Schwarmfinanzierungsdienstleistungen erbringen möchten.
 
Verglichen mit einer Erlaubnis nach § 34f GewO sind die Hürden einer ECSPR-Erlaubnis jedoch weitaus höher und eher vergleichbar mit den Anforderungen an eine Erlaubnis nach dem WpIG. Zwar sind dabei spezifische Angaben zur Erfüllung der aufsichtsrechtlichen Vorgaben zu machen und die Darlegungslast gegenüber der BaFin ist hoch.

Dennoch kommt Instituten im Rahmen des ECSPR-Erlaubnisverfahrens zugute, dass bereits in anderen Erlaubnisverfahren der BaFin vorgelegte Dokumente und Angaben nicht erneut übermittelt werden müssen, vorausgesetzt sie sind nach wie vor aktuell. Hat ein Unternehmen, das Schwarmfinanzierungsdienstleistungen erbringen möchte, also bereits eine Erlaubnis als E-Geld Institut, Zahlungsinstitut, Kreditinstitut, Finanzdienstleistungsinstitut oder Wertpapierinstitut, wird sich der nötige Aufwand, um eine Erlaubnis als Schwarmfinanzierungsdienstleister zu beantragen, in Grenzen halten.
 
Gegenüber der Erlaubnis als Finanzanlagenvermittler nach § 34 Abs. 1 GewO erlaubt die Lizenzierung als Schwarmfinanzierungsdienstleister den europaweiten Vertrieb. Wie auch das WpIG erlaubt die ECSPR das Passporting der Lizenz in andere Mitgliedsstaaten.

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Können Sie umreißen, wie sich die Rolle der Aufsicht verändert hat, Frau Dr. Siering?
 
Dr. Lea Siering: Die Aufsicht hat durch die Entwicklung in den vergangenen Jahres und insbesondere die strengere Regulierung mit gesteigerten Anforderungen entsprechend auch eine stärkere Rolle eingenommen. Durch die Schwarmfinanzierungsverordnung und die damit verbundene Möglichkeit der Europäischen Passportings wird die Aufsicht von Vermögensanlagen damit auch in gewisser Weise  internationaler.
 
Und wieder zurück an Frau Dr. Izzo-Wagner, in welchem Verhältnis stehen denn die Regelungen der SchwarmfinanzierungVO generell zum VermAnlG?
 
Dr. Anna Izzo-Wagner: Die ECSPR gilt grundsätzlich vorrangig vor den Regelungen des (rein nationalen) Vermögenanlagegesetz (VermAnlG). Das VermAnlG gilt daher nur, wenn der Anwendungsbereich der ECSPR nicht eröffnet ist.

Das bedeutet, dass auch die Ausnahmeregelung in § 2 Abs. 1 Nr. 3 VermAnlG, unter die seit Inkrafttreten des Kleinanlegerschutzgesetzes auch bestimmte Schwarmfinanzierungen fallen, nur Geltung findet, soweit die ECSPR nicht bereits einschlägig ist.
 
Gegebenenfalls muss das betroffene Institut also auch hier über unterschiedliche Lizenzen verfügen und unterschiedliche Anforderungen und Pflichten im Hinblick auf den Vermittlungsprozess erfüllen, wenn es innerhalb und außerhalb des Anwendungsbereichs der ECSPR tätig sein möchte.
 
Aber auch  die Prospektpflichten haben sich erweitert. Können Sie die Änderungen kurz skizzieren?
 
Das Verfahren der Prüfung und Billigung von Vermögensanlagen-Verkaufsprospekten, welches durch das Gesetz zur Novellierung des Finanzanlagenvermittler- und Vermögensanlagenrechts vom 06. 12. 2011 in das VermAnlG aufgenommen wurde, entspricht im Wesentlichen dem Billigungsverfahren für das öffentliche Angebot von Wertpapieren i.S. v. § 13 WpPG.

Während nun gem. § 8 Abs. 1 S. 1 VermAnlG ein Verkaufsprospekt vor seiner Billigung nicht veröffentlicht werden darf, war vor der Novellierung im Jahr 2012 die Veröffentlichung des Verkaufsprospekts noch gestattet.
 
Durch Art. 1 des Gesetzes zur weiteren Stärkung des Anlegerschutzes wurde § 8 VermAnlG zudem ein vollständig neuer Absatz 4 hinzugefügt. Dieser regelt den Fall von Anlegerschutzbedenken der Bundesanstalt und die Schritte, die die Aufsicht dann einzuleiten hat, etwa in Bezug auf die Billigung des Verkaufsprospekts. Hiernach gilt, dass für den Fall dass die Bundesanstalt aufgrund der Beschreibung der Vermögensanlage im Verkaufsprospekt oder sonstiger der Bundesanstalt bekannten Tatsachen Anhaltspunkte dafür hat, dass Anlegerschutzbedenken im Hinblick auf § 15 des Wertpapierhandelsgesetzes bestehen, sie das Prospektprüfungsverfahren solange aus soll, bis das Verfahren nach § 15 des Wertpapierhandelsgesetzes abgeschlossen ist.
 
Demnach darf eine Prospektbilligung nur dann durch die Aufsicht erfolgen, wenn keine Untersagung nach § 8 Absatz 4 Satz 4 erfolgt. Hierdurch ist eine Verzahnung zwischen Prospektprüfung und Produktintervention auch im Verfahrensabschluss gewährleistet worden.
 
Weitere Frage an Frau Dr. Siering,  demnächst erscheint die zweite Auflage Ihres Berliner Kommentars zum Vermögensanlagengesetz. Was wird sich an der Neuauflage im Gegensatz zur Erstauflage verändern?

Frau Dr. Lea Siering:
Die Kommentierung ist wesentlich breiter gefasst und umfassender, was nicht dem Umstand geschuldet ist, dass wir alle “mehr” geschrieben haben. Vielmehr liegt die Ursache in weiteren Regulierungen, die wir nunmehr ebenfalls in das Werk aufgenommen haben - und das erstmals auf dem Markt. Die Kommentierung erfasst nicht mehr nur das VermAnlG und die korrespondierende VO, sondern auch die Schwarmfinanzierungsverordnung.

Weiter bleibt der ausgezeichnete und gelobte Praxisbezug des Werkes und die exzellente  AutorInnenschaft  aus allen Bereichen: Wirtschaft, Anwaltschaft, Aufsicht.
 
Was zeichnet denn die Neuauflage aus Ihrer Sicht besonders aus?
 
Die Neuauflagen zeichnet sich durch ihre marktführende Aktualität, die diverse und erfahrene AutorInnenschaft  aus Wirtschaft, Kanzlei und Aufsicht und den Praxisbezug aus.
 
Kommen wir zu den Entwicklungen bei der Schwarmfinanzierung. Sind diese nun abgeschlossen – vor allem vor dem Hintergrund des Geldwäschegesetzes Frau Izzo-Wagner?
 
Dr. Anna Izzo-Wagner: Das denke ich nicht. Es ist vielmehr so, dass die Regulierung von Schwarmfinanzierungen mit der ECSPR auf europäischer Ebene erst begonnen hat. Außerdem ist zu bedenken, dass insbesondere der aus Verbraucherschutzsicht bedeutsame Bereich der P2P-Darlehen derzeit allein national reguliert ist. Die bevorstehende Reform der Verbraucherkreditrichtlinie mit der dritten Verbraucherkreditrichtlinie sieht hier eine zivilrechtliche Regulierung vor, gerade aber keine aufsichtsrechtliche. Auch im Bereich Geldwäscheregulierung ist sicherlich nicht das letzte Wort gesprochen. Der derzeitige Entwurf des AML Package sieht etwa vor, dass Schwarmfinanzierungsplattformen nur dann nach der AMLR oder dem GwG Verpflichtete sein sollen, wenn sie gerade nicht nach der ECSPR reguliert sind. Es bleibt m. E. abzuwarten, ob das eine Momentaufnahme ist. Im Übrigen ist auch in diesem Bereich die Regulierung noch stark fragmentiert: So können Crowdfunding-Plattformen unter dem Vermögensanlagengesetz zur Anwendung der Sorgfaltspflichten des GwG verpflichtet sein, je nachdem, wie die entsprechenden Anlagen strukturiert sind. Von einem „level playing field“, was ja das Ziel europäischer Regulierung ist, ist man also durchaus noch weit entfernt.
 
Wirken nach Ihrer Meinung die supranationalen und nationalen Regelungen im Vermögensanlagenrecht harmonisch und abgestimmt zusammen oder gibt es Schnittstellen, bei denen Sie regelungstechnische Ungereimtheiten identifizieren?
 
Die ECSPR hat einen großen Beitrag zur Harmonisierung geleistet. Wie bei jeder europäischen Regulierung, können jedoch auch im Kontext der ECSPR Friktionen entstehen, hier also zwischen der ECSPR und dem Vermögensanlagengesetz. Als Beispiel: Es wird aktuell diskutiert, ob die in Deutschland bislang gängigen "unechten Crowdfunding-Darlehen", bei denen die Darlehen durch eine Fronting-Bank ausgereicht und die Forderung dann durch die Fronting-Bank abgetreten werden, sowohl im Anwendungsbereich des VermAnlG als auch der ECSRP liegen könnten. Wenngleich dies für betroffene Akteure ganz wesentlich ist, besteht am Markt aus unserer Sicht dennoch im Großen und Ganzen Einigkeit, dass der Anwendungsbereich der ECSPR und der Anwendungsbereich des VermAnlG gut voneinander abgegrenzt werden können. 
 
Ihre abschließende Bewertung, Frau Dr. Siering, ist der Schutz der Anleger nun einerseits hinreichend effektiv, aber anderseits auch ausgewogen? Oder falls nein, wo sehen Sie noch Schieflagen oder Verbesserungsbedarf?
 
Dr. Lea Siering: Ich würde denken, dass der Schutz in ausreichendem Maße gegeben sein dürfte. Vergessen werden dabei darf nicht, dass Anleger und Anlegerinnen mündig sind und selbst auch in der Verantwortung stehen, sich Investments mit Verstand anzusehen.

Fraglich ist, ob man da wirklich Obergrenzen für einzelne Investments braucht, wie sie für das Crowdinvesting vorgeschrieben werden (§ 2a VermAnlG), oder ob diese nicht zu weit gehen.

Ebenso kann man die Mindestlaufzeiten von 24 Monaten und sechsmonatige Kündigungsfristen für Vermögensanlagen hinterfragen (§ 5a VermAnlG). Diese mögen zwar die Finanzierungsgrundlage des Unternehmens stabilisieren, zugleich können sie jedoch ein Anlagehemmnis darstellen. 



Vermögensanlagenrecht zum Schwärmen

VermAnlG

Um Informationsgrundlagen der Anleger zu verbessern und die Aufsicht und ihre Befugnisse zu stärken, ist das Vermögensanlagenrecht zuletzt mit vielseitigen Neuregelungen in Bewegung geblieben. Für Schwarmfinanzierungsdienstleister und neue grenzüberschreitende Finanzierungsperspektiven vereinheitlicht zudem die EU-Crowdfunding-Verordnung (ECSPR) künftig das Aufsichtsrecht.

ECSPR – erstmals kommentiert

Welche Chancen und Auswirkungen für Geschäftsmodelle, Portfolios und Aufsichtspraxis sich dabei konkret ergeben, beleuchtet die umfassend aktualisierte 2. Auflage dieses Kommentars. Ein ausgewogenes Autorenteam aus Aufsicht, Anwaltschaft und Unternehmen stellt Ihnen alles Wichtige zusammen:

  • Prägnante Kommentierungen zum VermAnlG und der VermVerkProspV sowie eine erstmalige Kommentierung der ECSPR – VO (EU) 2020/1503, unter Berücksichtigung der aufsichtsrechtlichen Praxis
  • Fragen zur erweiterten Prospektpflicht – u.a. für Unternehmensbeteiligungen und Beteiligungen an Treuhandvermögen, für Genussrechte oder für  Namensschuldverschreibungen
  • Ausblick auf weitere Regulierungsvorhaben: etwa zur Schwarmfinanzierung im Kontext des Geldwäschegesetzes

Für einwandfreie Verkaufsprospekte: Viele Muster und Formulierungsbeispiele, insb. für die Erstellung bzw. Prüfung eines Verkaufsprospekts und dazugehöriger Dokumente (z.B. VIB, KIIS oder die Vorgaben zur Anleger-Kenntnisprüfung ), unterstützen Sie bei der sicheren Rechtsanwendung.

„Für Juristen, die sich mit dem ehemaligen grauen Kapitalmarktrecht beschäftigen, führt damit kein Weg am Izzo-Wagner/Siering vorbei."

Univ.-Prof. Dr. Rüdiger Wilhelmi zur Vorauflage in: Wertpapier-Mitteilungen (WM), 8/2019

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(ESV/bp)

 

Programmbereich: Bank- und Kapitalmarktrecht