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Dr. Manfred Wichmann: Die Politik sollte deutlich sagen, welche Kosten mit einem klimafreundlichen Fahrradverkehr im Winter verbunden sind (Foto: privat)
Winterdienstpflichten gegenüber Radfahrern

Dr. Manfred Wichmann: „Es würde mich freuen, wenn die Kommunen den klimafreundlichen Fahrradverkehr unterstützen“

ESV-Redaktion Recht
19.02.2021
Der Radverkehr nimmt aufgrund des Klimawandels, aber auch wegen Corona zu. Doch wie steht es um den rechtlichen Schutz von Radfahrern vor allem bei Eis und Schnee? Auskunft hierüber gibt RA Dr. Manfred Wichmann im Interview mit der ESV-Redaktion.  
Herr Dr. Wichmann, in Ihrem Beitrag in der FAZ vom 9. Februar 2021 haben Sie ausgeführt, dass grundsätzlich nur verkehrswichtige Radwege und diese auch nur an gefährlichen Stellen von Schnee und Glätte befreit werden müssen. Könnten Sie die Rechtslage speziell für Fahrradfahrer kurz skizzieren?

Dr. Manfred Wichmann: Das Winterdienstrecht wird vom Prinzip der Zumutbarkeit beherrscht. Die Zumutbarkeit, an der jeder Winterdienst zu messen ist, begrenzt die Pflichten von Städten und Gemeinden. Diese bestehen ausschließlich aufgrund der tatsächlichen und finanziellen Leistungsfähigkeit der Kommunen.

Es gibt keinen Anspruch auf uneingeschränktes Räumen und Streuen. Städten und Gemeinden ist nur zumutbar, was Straßenbenutzer nicht mehr durch ihre eigene Sorgfalt leisten können. Gerichte haben den zugegebenermaßen ziemlich abstrakten Rechtsbegriff der „Zumutbarkeit“ dergestalt in die Praxis übersetzt, dass Fahrradfahrer allein auf verkehrswichtigen Radwegen an gefährlichen Stellen zu schützen sind. „Gefährlichkeit“ und „Verkehrswichtigkeit“ müssen zusammen vorliegen. Kommunen wären überfordert, müssten sie auf allen Radwegen unbeschränkt handeln. Die Gesichtspunkte „Gefährlichkeit“ und „Verkehrswichtigkeit“ gelten gleichermaßen für die Räum- und Streupflicht.

Zur Person
Dr. Manfred Wichmann ist Rechtsanwalt und Hauptreferent beim Städte- und Gemeindebund Nordrhein-Westfalen.


Und was gilt bei Pop-up-Radwegen?


Dr. Manfred Wichmann: Im Zuge der Corona-Pandemie sind gerade in größeren Städten zahlreiche sogenannte „Pop-up-Radwege“ entstanden. Für sie gibt es keine speziellen Winterdienstpflichten, die über die soeben geschilderten hinausgehen.

Das ist sogar unabhängig vom Ausgang des zurzeit bei Ihnen in Berlin, dem Sitz des ESV, erbittert geführten juristischen Streits um die rechtliche Zulässigkeit derartiger „Pop-up-Radwege“. Wären diese unzulässig, bliebe es rechtlich eine Fahrbahn. Dort gelten die zum Schutz des Kraftfahrverkehrs bestehenden Pflichten ebenfalls für Radfahrer. Man müsste für beide Benutzergruppen an gefährlichen Stellen auf verkehrswichtigen Straßen handeln.

Sollte durch einen „Pop-up-Radweg“ zulässigerweise ein Radweg im Rechtssinn entstanden sein, gebietet das kein umfangreicheres Tätigwerden. Selbst dort wären nur gefährliche Stellen auf einem verkehrswichtigen Radweg zu sichern.
 
Sie führen weiter aus, dass sich bei Fahrradfahrern, die eigenverantwortlich handeln müssen, gegebenenfalls ein „zu Fuß gehen“ anbietet. Bei einem Autofahrer wird es schon schwieriger, ihm zu sagen, dass er bei Glätte aussteigen und schieben soll. Warum ist dies keine Benachteiligung der Radfahrer?
 
Dr. Manfred Wichmann: Die Rechtsprechung verlangt von jedem Verkehrsteilnehmer ein erhebliches Maß an eigener Sorgfalt. Dieses kann darin bestehen, dass man vorsichtig, langsam oder eben als Autofahrer mit weniger als Schrittgeschwindigkeit fährt. Zwar müssen Kraftfahrer nicht aussteigen und ihr Auto schieben. Im Begriff „Schritt“-Geschwindigkeit ist aber ein dem vom Fahrradfahrer verlangten Absteigen und Schieben vergleichbarer Fortbewegungsmodus angelegt. Deshalb erkenne ich nicht, dass Gerichte Radfahrer benachteiligen.

Das Winterdienstrecht sieht im Fahrrad kein ganzjähriges Verkehrsmittel. Daher gibt es nur geringe Rechtspflichten, um Fahrradfahrer zu schützen. Auch aus der Pflicht auf bestimmten Wegen fahren zu müssen folgt keine erhöhte Schutzpflicht. Müsste das Winterdienstrecht in Anbetracht der Pandemie geändert werden, weil das Rad nun häufiger genutzt wird?
 
Dr. Manfred Wichmann: Das ist nicht erforderlich. Das Winterdienstrecht berücksichtigt bereits über das Element der „Verkehrswichtigkeit“, ob ein Verkehrsmittel stärker genutzt wird. Wie beim Autoverkehr, der pandemiebedingt ebenfalls zugenommen hat, müssen Städte und Gemeinden beim Fahrradverkehr stets prüfen, ob es verkehrsbedeutende Wege sind.

Dazu ist im Winter die durchschnittliche Radfahrerfrequenz für die Hauptverkehrszeit zu ermitteln. Hauptverkehrszeit wird als die gesamte Dauer des Tagesverkehrs (regelmäßig von 07:00 Uhr bis 20:00 Uhr) definiert; einzelne Verkehrsspitzen sind unerheblich. Kommen mehr als 200 Fahrten pro Stunde (in Großstädten) beziehungsweise 100 Fahrten pro Stunde (in kleineren Städten und Gemeinden) zusammen, liegt die Verkehrsrelevanz vor. Fahrradfahrer haben es also selbst „in der Pedale“, durch stärkere Nutzung ihrer Räder im Winter für ihren eigenen Schutz zu sorgen.

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Sie sind Hauptreferent des Städte- und Gemeindebundes Nordrhein-Westfalen und Autor des Werks „Straßenreinigung und Winterdienst in der kommunalen Praxis“. Was hat Sie dazu bewogen, sich mit der Thematik so intensiv auseinanderzusetzen?
 
Dr. Manfred Wichmann: Beim Städte- und Gemeindebund gehört die Rechtsberatung zum Kerngeschäft. Dabei habe ich festgestellt, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den Städten und Gemeinden manchmal unsicher sind. Sie müssen einerseits die vielfältigen, juristisch schwierigen und haftungsträchtigen Probleme des Winterdienstrechts lösen.

Andererseits sind sie einer gewissen Anspruchshaltung seitens der Bürger sowie der Lokalpolitiker ausgesetzt. Um Rechtssicherheit zu schaffen, um Kommunen und Verkehrsteilnehmern zu helfen, ihre jeweiligen Rechte und Pflichten zu erkennen, ist die Idee zum Buch entstanden. 1995 erschien die erste Auflage von „Straßenreinigung und Winterdienst in der kommunalen Praxis“, nunmehr sind wir bei der achten. Zum 1. März 2021 trete ich in den Ruhestand, werde dann aber als Rechtsanwalt speziell im Straßenreinigungs- und Winterdienstrecht praktizieren. Mit weiteren Auflagen ist also zu rechnen.

Ihr Ausblick: Was würden Sie Kommunen raten, wenn diese weitergehende Aktivitäten zum Schutz der Radfahrer entfalten wollen?

Dr. Manfred Wichmann: Erforderlich ist eine intensive verkehrspolitische und gerade keine juristische Debatte.
 
Wenn ich nach dem Wintereinbruch der letzten Tage die Häme in den sozialen Netzwerken über angeblich unfähige Stadtverwaltungen lese, bin ich entsetzt über die Anspruchsmentalität mancher Zeitgenossen. Man meint, einige scheinen ein Recht auf trocken geföhnte Radwege zu propagieren.
 
Wörter wie Rücksichtnahme im Straßenverkehr, Eigenschutz, Vorsicht und vielleicht sogar einmal zuhause bleiben bei unwirtlichem Wetter kommen nicht vor. Städte und Gemeinden sollten deshalb die Öffentlichkeit darauf hinweisen, dass das Winterdienstrecht ein ungeeignetes Vehikel ist, um politische Agenden zu verwirklichen, beispielsweise den umweltfreundlichen Fahrradverkehr zu fördern. Andernfalls würde der jeglichem Winterdienst innewohnende ordnungsrechtliche Aspekt der Gefahrenabwehr verkannt. Dessen Anforderungen bestimmen sich allein nach dem Schutzbedarf des Verkehrsteilnehmers unter primärer Berücksichtigung seiner ihm zumutbaren Eigenverantwortung. Das Winterdienstrecht sieht im Fahrrad korrekterweise kein Ganzjahresverkehrsmittel.
 
Ich selbst benutze das Rad, auch im Winter. Deshalb würde es mich freuen, wenn Kommunen den klimafreundlichen Fahrradverkehr unterstützen. Dazu sollten sie eine breite verkehrs- und umweltpolitische Diskussion mit Bürgerinnen und Bürgern, aber ebenfalls mit den Fahrradinteressenverbänden führen. Akzeptables Ergebnis könnte sein, ein den tatsächlichen Verkehrsbedürfnissen im Winter entsprechendes Hauptradwegenetz festzulegen. Städte und Gemeinden müssten dieses dann komplett (und nicht bloß an gefährlichen Stellen) sorgfältig räumen bzw. mit Sole bestreuen.
 
Hierfür wären entsprechende Kehr- und Streumaschinen anzuschaffen und/oder zusätzliches Personal zum Räumen bzw. Streuen per Hand erforderlich. Alle anderen Radwege könnten unbehandelt bleiben.
 
Die Politik sollte dann aber deutlich sagen, welche Kosten mit dem Konzept verbunden sind. Denn letztlich müssten Bürgerinnen und Bürger diese verkehrs- und umweltpolitisch gewünschten Maßnahmen mit ihren (steigenden) Steuern begleichen.


Straßenreinigung und Winterdienst in der kommunalen Praxis

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  • Zahlreiche Beispiele, Checklisten, Vertrags- und Satzungsmuster runden das Werk ab
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(ESV/pc/bp)

Programmbereich: Kommunalrecht und Kommunalverwaltung