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Was definiert eine Arbeitsstätte? (Grafik: wordcloud)
Unfallversicherung und Recht

Ein Ausstellungspavillon ohne Heizung und Häuschen ist keine Arbeitsstätte

Thomas Wilrich
15.02.2022
In dieser Kolumne erläutert Thomas Wilrich das Urteil des OVG Berlin-Brandenburg, das dem Kläger einen Anspruch auf baulichen Schallschutz  versagt unter Hinweis auf Mängel im Arbeitsstättenbereich.
Der Kläger betreibt einen Ausstellungsraum in der Nähe des Berliner Flughafens BER. Nach einer Lärmschutzauflage des Planfeststellungsbeschlusses sind für Wohnräume, Büroräume und Praxisräume in der Umgebung des Flughafens geeignete Schallschutzvorrichtungen vorzusehen.

Das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg versagt dem Kläger aber mit Urteil vom 25. Juni 2021 (Az. 6A1/20) einen Anspruch auf baulichen Schallschutz – und beruft sich dabei auf die Arbeitsstättenverordnung (ArbStättV) und die Technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR) A3.5 Raumtemperatur und A4.1 Sanitärräume:

Der Pavillon „verfügt nicht über eine Heizung. Soweit der Kläger in seiner zur Baugenehmigung zählenden Betriebsbeschreibung vom 6. Juni 2007 (vgl. Schallschutzvorgang) ausführt, im Winter werde ein Kachelofen in Betrieb genommen, so dass eine zusätzliche Heizung nicht erforderlich sei, ist dies ersichtlich nicht ausreichend, um einen knapp 99 m² großen, nicht durch Zwischenwände unterteilten Raum so zu beheizen, wie dies nach der Verkehrsauffassung für einen Büroraum als üblich angesehen wird. Dass die Verkehrsauffassung eine normale Beheizbarkeit von Büroräumen voraussetzt, kommt auch in der ArbStättV zum Ausdruck, nach deren Anhang Ziffer 3.5 Arbeitsräume, in denen aus betriebstechnischer Sicht keine spezifischen Anforderungen an die Raumtemperatur gestellt werden, während der Nutzungsdauer unter Berücksichtigung der Arbeitsverfahren und der physischen Belastungen der Beschäftigten eine gesundheitlich zuträgliche Raumtemperatur haben müssen. Eine gesundheitlich zuträgliche Raumtemperatur liegt gemäß den Technischen Regeln für Arbeitsstätten (ASR), dort Punkt 4.1 Abs. 2 ASR A3.5, vor, wenn die Wärmebilanz (Wärmezufuhr, Wärmeerzeugung und Wärmeabgabe) des menschlichen Körpers ausgeglichen ist. Da Bürotätigkeit überwiegend beim Sitzen ausgeübt wird und einer leichten Arbeitsschwere (leichte Hand- und Armarbeit mit ruhigem Sitzen bzw. Stehen verbunden mit gelegentlichem Gehen) entspricht, muss die Lufttemperatur in dem Arbeitsraum 20° C entsprechen.“

Der Ausstellungspavillon ist auch kein Büroraum, weil „er nicht über sanitäre Anlagen verfügt. Dieses Erfordernis entspricht dem Umstand, dass ein (schützenswerter) Büroraum in der Regel innerhalb eines Gebäudes liegt, in dem sich auch sanitäre Anlagen befinden. Dass der Ausstellungspavillon nur aus einem einzigen großen Raum besteht, mag zwar für sich genommen einer Einstufung als Büroraum nicht entgegenstehen. Eine Eignung des Raumes als Büroraum setzt jedoch auch in diesem Fall voraus, dass sich in dem Raum – in einem abgetrennten Bereich – sanitäre Anlagen wie eine Toilette und eine Handwaschgelegenheit befinden. Dementsprechend sieht die ArbStättV in Anhang Ziffer 4.1 Abs. 1 vor, dass der Arbeitgeber Toilettenräume mit verschließbaren Zugängen, einer ausreichenden Zahl von Toilettenbecken und Handwaschgelegenheiten zur Verfügung zu stellen hat, die sich in der Nähe der Arbeitsräume befinden müssen. Nach Punkt 5.2 Abs. 1 ASR A4.1 soll die Weglänge zu den Toilettenräumen nicht länger als 50 m sein und darf 100 m nicht überschreiten, müssen sich die Toilettenräume im gleichen Gebäude befinden, dürfen nicht weiter als eine Etage von ständigen Arbeitsplätzen entfernt sein und soll der Weg von ständigen Arbeitsplätzen in Gebäuden zu Toiletten nicht durchs Freie führen.“

Das OVG setzt hinzu: „Auch bei einem Ein-Mann-Betrieb setzt die Nutzung eines Raumes als Büroraum nach allgemeiner Verkehrsauffassung voraus, dass sich in der Nähe bzw. in demselben Gebäude sanitäre Anlagen befinden. Hierzu genügt es nicht, dass sich in dem auf der gegenüberliegenden Straßenseite befindlichen privat genutzten Wohnhaus des Klägers sanitäre Anlagen befinden.“


Rechtsanwalt Prof. Dr. Thomas Wilrich ist tätig rund um die Themen Produktsicherheit, Produkthaftung und Arbeitsschutz einschließlich Betriebsorganisation, Führungskräftehaftung, Vertragsgestaltung und Strafverteidigung. Er ist an der Hochschule München zuständig für Wirtschafts-, Arbeits-, Technik- und Unternehmensorganisationsrecht und Autor von Fachbüchern: Sicherheitsverantwortung (Erich Schmidt Verlag), Arbeitsschutz-Strafrecht (Erich Schmidt Verlag), Produktsicherheitsgesetz (ProdSG), Betriebssicherheitsverordnung (BetrSichV), Rechtliche Bedeutung technischer Normen.

 


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