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Vorbildverhalten von Führungskräften kann eine Kultur der Akzeptanz und des Verständnisses innerhalb von Teams fördern. (Foto: Daria Schneider)
Im Gespräch mit Daria Schneider, interkulturelle systemische Beraterin, Persönlichkeitsdiagnostikerin und Coachin

Ein erfolgreiches Unternehmen lebt von psychisch gesunden Beschäftigten

ESV-Redaktion Arbeitsschutz
29.04.2024
Heutzutage ist es für Unternehmen unerlässlich, nicht nur wirtschaftlich erfolgreich zu sein, sondern auch ein gesundes Arbeitsumfeld für ihre Beschäftigten zu schaffen. Ein vitales Team ist das Fundament für den Erfolg eines jeden Geschäfts – es bildet das pulsierende Herz des Betriebsalltags und ist eine unverzichtbare Säule für Innovationen und unternehmerisches Wachstum. Die zunehmende psychische Beanspruchung der Arbeitskräfte weist jedoch auf ein gravierendes Problem hin, das die Leistungsfähigkeit von Firmen spürbar schmälern kann.
Neuere Erhebungen* zeigen einen kontinuierlichen Anstieg der Fehltage wegen psychischer Erkrankungen, was sowohl für die betroffenen Personen als auch für die Unternehmen selbst durch Produktivitätsverluste und finanzielle Einbußen belastend ist. Die Bedeutung von präventiven Maßnahmen und der frühzeitigen Bereitstellung professioneller Hilfe im eigenen Unternehmen nimmt daher stetig zu. Durch die Entwicklung und Implementierung effektiver Strategien zur Verbesserung der psychischen Gesundheit am Arbeitsplatz lässt sich eine Atmosphäre fördern, in der die Beschäftigten nicht nur existieren, sondern prosperieren können – zum Vorteil aller. Daria Schneider gibt Einblicke in das Thema und erörtert, welche Möglichkeiten Unternehmen haben, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich Beschäftigte wohlfühlen können.

Frau Schneider, Statistiken zeigen einen Anstieg der Krankheitstage aufgrund psychischer Belastungen. Was sind die Hauptgründe für diesen Trend, insbesondere in einem hoch entwickelten Land wie Deutschland mit seinen umfangreichen Arbeitnehmerrechten und Sozialsystemen?

Die Zunahme psychischer Belastungen in Deutschland trotz der hohen Lebensqualität und starken Arbeitnehmerrechte lässt sich auf mehrere Faktoren zurückführen. Digitalisierung und Globalisierung in der Arbeitswelt führen zur Automatisierung von Arbeitsprozessen und zu Effizienzsteigerungen, die einerseits die Autonomie fördern und andererseits Stress, soziale Isolation und psychische Belastungen erhöhen. Außerdem führt die ständige Erreichbarkeit durch digitale Medien zu verschwimmenden Grenzen zwischen Arbeit und Privatleben, was die Erholungszeiten reduziert. Zudem können das Streben nach beruflichem Erfolg und die Angst vor Arbeitsplatzverlust in unsicheren wirtschaftlichen Zeiten zu erhöhtem Druck führen. Trotz der guten Arbeitsbedingungen sind diese Faktoren für den Anstieg psychischer Belastungen signifikant verantwortlich, was die Notwendigkeit von präventiven Maßnahmen und einem stärkeren Fokus auf die psychische Gesundheit am Arbeitsplatz unterstreicht.

Die Kosten für Unternehmen durch psychische Belastungen der Mitarbeitenden sind enorm. Können Sie Beispiele nennen, wie sich diese Kosten konkret auf die Unternehmensbilanzen auswirken und welche langfristigen Folgen sich für Unternehmen ergeben können?

Die steigenden Krankheitstage aufgrund psychischer Belastungen führen zu direkten und indirekten Kosten für Unternehmen, die sich erheblich auf die Unternehmensbilanzen auswirken. Direkte Kosten entstehen durch Lohnfortzahlungen im Krankheitsfall, während indirekte Kosten durch Produktivitätsverluste, die Neubesetzung von Stellen und eine erhöhte Fluktuation verursacht werden. Darüber hinaus führen häufige Fehlzeiten zu einer Verschlechterung der Teamarbeit und des Arbeitsklimas, was wiederum die Gesamtleistung des Unternehmens beeinträchtigen kann. Langfristig kann dies zu einer Verringerung der Wettbewerbsfähigkeit führen, da die Innovationskraft und die Reaktionsfähigkeit auf Marktanforderungen abnehmen. Die Investition in präventive Maßnahmen und die Schaffung eines gesunden Arbeitsumfeldes sind daher nicht nur ethisch geboten, sondern auch wirtschaftlich sinnvoll, um die langfristige Stabilität und Produktivität des Unternehmens zu sichern.

Prävention spielt eine entscheidende Rolle bei der Verringerung psychischer Belastungen am Arbeitsplatz. Welche präventiven Maßnahmen sehen Sie als besonders effektiv an, und wie können Unternehmen eine Kultur schaffen, die psychische Gesundheit fördert und unterstützt?

Effektive präventive Maßnahmen umfassen die Schaffung einer offenen Unternehmenskultur, die psychische Gesundheit unterstützt und fördert, sowie die Implementierung flexibler Arbeitszeitmodelle, die eine bessere Work-Life-Balance ermöglichen. Unternehmen können durch regelmäßige Schulungen und Workshops das Bewusstsein und Verständnis für psychische Gesundheit erhöhen und so das Stigma reduzieren, das oft mit psychischen Erkrankungen verbunden ist. Ebenso wichtig ist die Förderung der internen Kommunikation, um Mitarbeitenden zu ermöglichen, ihre Bedürfnisse und Belastungen ohne Angst vor Repressalien auszudrücken. Zudem sollten Führungskräfte geschult werden, Anzeichen psychischer Belastungen bei Mitarbeitenden frühzeitig zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren. Individuelle Unterstützungsangebote wie psychologische Beratungsdienste tragen zusätzlich dazu bei, ein günstiges Umfeld für die psychische Gesundheit zu schaffen. Solche Maßnahmen fördern nicht nur die psychische Gesundheit der Mitarbeitenden, sondern verbessern auch die Produktivität und das allgemeine Arbeitsklima im Unternehmen.

Wie können Führungskräfte eine offene und unterstützende Umgebung für Mitarbeitende mit psychischen Belastungen schaffen? Welche Rolle spielen dabei Transparenz und das eigene Verhalten der Führungskräfte?

Führungskräfte spielen eine entscheidende Rolle bei der Schaffung einer offenen und unterstützenden Umgebung für Beschäftigte mit psychischen Belastungen. Sie können dies erreichen, indem sie eine offene Kommunikation über psychische Gesundheitsthemen vorleben und ihre Bereitschaft zeigen, über eigene Erfahrungen zu sprechen oder Unterstützung anzubieten. Dieses Vorbildverhalten kann eine Kultur der Akzeptanz und des Verständnisses innerhalb des Teams fördern. Wichtig ist auch, dass Führungskräfte in der Lage sind, Anzeichen psychischer Belastungen frühzeitig zu erkennen und angemessen darauf zu reagieren, ohne zu stigmatisieren oder zu diskriminieren. Dazu gehören Schulungen in emotionaler Intelligenz, Kommunikationstechniken und Konfliktmanagement. Eine weitere zentrale Maßnahme ist die Implementierung klarer Richtlinien zum Umgang mit psychischen Belastungen und die Schaffung von Vertraulichkeits- und Unterstützungsstrukturen, z. B. Beratungsangebote. Indem Führungskräfte eine Kultur der Fürsorge und des Respekts fördern, tragen sie maßgeblich zu einem gesunden und produktiven Arbeitsumfeld bei.

Der Zugang zu professioneller Hilfe bei psychischen Problemen ist entscheidend. Wie bewerten Sie die Effektivität interner Beratungsangebote im Vergleich zu externen Beratern, insbesondere im Hinblick auf Vertraulichkeit und Neutralität?

Alles hängt wesentlich von Vertraulichkeit, Neutralität und dem Vertrauen der Beschäftigten ab. Interne Angebote haben den Vorteil der unmittelbaren Verfügbarkeit und einer erheblichen Kostenersparnis, weil etwa Personaler, die eine zusätzliche Ausbildung im Coaching erhalten haben, direkt eingesetzt werden können und in der Regel weniger Kosten verursachen als eine externe Beratung. Jedoch kann die Sorge um Vertraulichkeit und mögliche Interessenkonflikte, speziell wenn der interne Berater in anderweitige Unternehmensstrukturen eingebunden ist, die Bereitschaft der Mitarbeitenden, diese Angebote in Anspruch zu nehmen, einschränken.

Externe Berater bieten demgegenüber eine größere Distanz zum Unternehmen, was die Neutralität und Anonymität der Beratung stärkt und das Vertrauen der Beschäftigten in die Vertraulichkeit erhöht. Dies kann speziell bei sensiblen Themen von Vorteil sein. Für eine optimale Unterstützung ist daher eine auf das Unternehmen zugeschnittene Lösung erforderlich, um sowohl die niederschwellige Zugänglichkeit als auch die gewünschte Neutralität und Vertraulichkeit zu gewährleisten.

Inwiefern kann die Angst der Mitarbeitenden vor negativen Konsequenzen ihre Bereitschaft beeinflussen, interne Angebote zur Bewältigung psychischer Belastungen zu nutzen, und wie kann ein Unternehmen diese Angst überwinden?

Die Angst der Mitarbeitenden vor negativen Konsequenzen gründet oft auf der Sorge, dass die Inanspruchnahme solcher Angebote als Schwäche wahrgenommen wird oder negative Auswirkungen auf ihre Karriere haben könnte. Um diese Angst zu überwinden, ist es für Unternehmen entscheidend, eine Kultur der Offenheit und des Vertrauens zu etablieren. Dies kann erreicht werden, indem klare Richtlinien und Unterstützungsstrukturen kommuniziert werden, die die Vertraulichkeit und den nicht diskriminierenden Umgang mit psychischen Belastungen garantieren. Wie bereits erwähnt, sollten Führungskräfte als Vorbilder agieren, indem sie offen über psychische Gesundheit sprechen und ihre Unterstützung für betroffene Mitarbeitende zeigen. Zudem sollten Unternehmen anonyme Beratungsmöglichkeiten anbieten, die Beschäftigten die Gewissheit geben, dass ihre Anliegen vertraulich behandelt werden. Die aktive Bekämpfung von Stigmatisierung und die Förderung eines unterstützenden Arbeitsumfeldes sind somit essenziell, um Mitarbeitenden die Angst vor negativen Konsequenzen zu nehmen und sie zu ermutigen, Hilfe zu suchen.

Welche langfristigen Vorteile sehen Sie für Unternehmen, die in individuelle Gesprächsräume und externe Beratungsangebote investieren?

Es handelt sich für Unternehmen um bedeutende Maßnahmen zur Förderung der psychischen Gesundheit ihrer Mitarbeitenden. Diese Angebote können langfristig zu einem positiven Return on Investment (ROI) führen, indem sie die Produktivität, das Engagement und das allgemeine Wohlbefinden der Mitarbeitenden verbessern. Ein direkter Vorteil ist die Verringerung der Krankheitstage, die auf psychische Belastungen zurückzuführen sind, was zu einer höheren Gesamtproduktivität beiträgt. Darüber hinaus stärken solche Maßnahmen die Mitarbeiterbindung, da sich Beschäftigte von ihrem Arbeitgeber wertgeschätzt und unterstützt fühlen, was wiederum die Fluktuation verringert. Ein verbessertes Arbeitsklima und eine stärkere Zusammenarbeit sind weitere positive Effekte, die sich aus einer offenen und unterstützenden Unternehmenskultur ergeben. Laut der International Coach Federation (ICF) haben 70 % der befragten Unternehmen eine Steigerung der Produktivität durch Einzelgespräche festgestellt, was die Effektivität solcher Investitionen unterstreicht. Somit führen individuelle Unterstützungsangebote nicht nur zu einer gesünderen Belegschaft, sondern auch zu einer stärkeren, resilienteren und wettbewerbsfähigeren Organisation.

Frau Schneider, vielen Dank für das Gespräch!

*Quellen:
https://www2.deloitte.com/ca/en/pages/press-releases/articles/significant-roi-for-workplace-mental-health-programs.html
https://www2.deloitte.com/ca/en/pages/about-deloitte/articles/mental-health-roi.html

Über Daria Schneider
Daria Schneider ist interkulturelle systemische Beraterin, Persönlichkeitsdiagnostikerin und Coach. Sie verließ 2014 allein ihr Heimatland, um eine gute Ausbildung zu erhalten und sich in Deutschland zu verwirklichen. Mit einer Vielzahl an facettenreichen Qualifikationen und zahlreichen Berufs- und Lebenserfahrungen machte sich Frau Schneider im Bereich mehrsprachige psychosoziale Beratung und Coaching selbstständig. Ihre Leidenschaft ist es, Individuen dabei zu helfen, ein positives Lebens- und Arbeitsumfeld zu schaffen. Mit ihrer eigenen Geschichte betont sie, dass jeder Mensch, unabhängig von den Umständen, sein individuelles Potenzial entfalten und somit Verantwortung für sein Glück übernehmen kann.

Weitere Informationen unter: www.dariaschneider.com

Das Interview erschien zuerst in unserer Fachzeitschrift:

Betriebliche Prävention

Redaktionsbeirat: Dr. Michael Au, Prof. Dr. Gudrun Faller, Prof. Dr.-Ing. Anke Kahl
Redaktion: Florian Gräfe

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(ESV/FG)

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