
EuGH sorgt für Aufregung um Arbeitszeiterfassung
EuGH: Objektives und verlässliches Zeiterfassungs-System notwendig
Der EuGH teilte im Ergebnis die Meinung der Klägerin. Nach der Entscheidung des Gerichts müssen die Arbeitgeber der Mitgliedstaaten ein objektives, verlässliches und zugängliches System einrichten, das die tägliche Arbeitszeit von jedem Arbeitnehmer messen kann. Nur so könne das Recht aus Arbeitszeitrichtlinie und Charta gesichert werden. Ohne Zeiterfassungssystem könnten weder die geleisteten Arbeitsstunden, ihre zeitliche Verteilung noch die Überstunden zuverlässig ermittelt werden. Arbeitnehmer könnten ihre Rechte ansonsten praktisch kaum durchsetzen. Dabei betonten die EuGH-Richter die Bedeutung des Grundrechts der Arbeitnehmer auf Begrenzung der Höchstarbeitszeit und auf tägliche bzw. wöchentliche Ruhezeiten.Der kostenlose Newsletter Recht – Hier können Sie sich anmelden! |
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Geteiltes Echo
Das Urteil aus Luxemburg hat zahlreiche unterschiedliche Reaktionen ausgelöst:- Ende der „Vertrauensarbeit“? Der Richterspruch aus Luxemburg würde die Vertrauensarbeitszeit beenden, obwohl sich die Beschäftigten neue, flexible Arbeitsformen wünschen würden, kritisierte der Hauptgeschäftsführer des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, Oliver Zander, gegenüber der Online-Ausgabe des Handelsblatts.
- „Rückkehr der Stechuhr“ oder „Bürokratie-Tsunami“? Vor allem einige Arbeitsrechtler fürchten eine neue Bürokratiewelle in Deutschland. Teilweise ist von einem „Bürokratie-Tsunami“ die Rede. Andere wiederum beklagen die Rückkehr der Stechuhr im 21. Jahrhundert. Auch Datenschutzprobleme werden zum Teil ins Feld geführt.
- Oder aber „Flatrate-Arbeit“ gestoppt?“ Anders der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB): So meinte Vorstandsmitglied Annelie Buntenbach, dass der EuGH das Ende „der Flatrate-Arbeit“ eingeläutet habe. In diesem Zusammenhang verwies sie auf Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB). Danach haben die deutschen Arbeitnehmer etwa 2,2 Milliarden Überstunden geleistet. Nur etwa die Hälfte davon soll auch bezahlt worden sein, wenn man zahlreichen Medienberichten folgt.
Die bisherige Situation in Deutschland
- Aufzeichnung von Überstunden: Nach § 16 Satz 2 ArbZG muss der Arbeitgeber erst die Überschreitung der maximalen werktäglichen Arbeitszeit von acht Stunden dokumentieren. Er muss also lediglich Überstunden aufzeichnen. Alle Aufzeichnungen hat er zwei Jahre lang aufzubewahren und muss diese auf Verlangen den betreffenden Behörden vorlegen.
- Bestimmte Arbeitszeiten schon jetzt erfasst: Bei einigen bestimmten Arbeitsverhältnissen muss der Arbeitgeber schon jetzt die Arbeitszeit erfassen, beispielsweise bei Minijobs oder Schichtarbeit. Auch bei Kraftfahrern im öffentlichen Dienst sind Arbeitsstunden zu dokumentieren.
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Wie es weitergeht
Eine endgültige Bewertung, ob dies überhaupt notwendig ist – das heißt, ob Deutschland die Vorgaben des EuGH bereits jetzt schon erfüllt – ist erst nach einer eingehenden Prüfung der Entscheidung möglich. Dennoch ist davon auszugehen, dass sich das Urteil auch auf das deutsche Recht auswirken wird.Noch kein akuter Handlungsbedarf für Unternehmen
Akuter Handlungsbedarf für die Arbeitgeber besteht derzeit aber noch nicht. Vielmehr muss der deutsche Gesetzgeber die neuen Vorgaben aus dem Urteil erst umsetzen.
- Keine großen Änderungen für die Industrie: In den meisten Industrieunternehmen oder sonstigen größeren Unternehmen wird sich voraussichtlich nicht viel ändern. Hier wird die komplette tägliche Arbeitszeit in aller Regel bereits erfasst.
- Aber – Ungewissheit für kleinere Unternehmen: In kleinere Unternehmen und vor allem in Start-Ups sind Zeiterfassungen eher die Ausnahme. So äußert Florian Nöll, Vorsitzender des Bundesverbandes Deutscher Startups die Sorge, dass die Entscheidung aus Luxemburg die „notwendige gedankliche Flexibilität, das Hand in Hand“ beeinträchtigt. Gerade die kleinen Unternehmensgründungen, wären aber darauf angewiesen, so Nöll laut Tagesschau.de.
Der EuGH hat seinen Mitgliedern zur Umsetzung des Urteils keine Frist gesetzt. Dennoch könnte die EU-Kommission ein Vertragsverletzungsverfahren einleiten, wenn Deutschland das Urteil gar nicht umsetzt. Ob es zu einem solchen Verfahren kommt, erscheint jedoch unwahrscheinlich.
Den Mitgliedstaaten obliegen die konkreten Modalitäten zur Umsetzung der Zeiterfassung. Hierbei sind auch etwaige Besonderheiten des jeweiligen Tätigkeitsbereichs und auch deren Eigenheiten oder die Größe der Unternehmen zu berücksichtigen.
Nur so viel scheint sicher: Es wird den Arbeitgebern überlassen bleiben, ob sie digitale Stechuhren, Apps oder die Papierform wählen – und die Daten müssen vier Jahre lang aufbewahrt werden.
Quelle: Unter anderem PM des EuGH 14.5.2019 zur Entscheidung vom selben Tag – C-55/18 und zahlreiche Medienberichte
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(ESV/bp)
Programmbereich: Arbeitsrecht