
Fontane: „In meinem 15ten Jahre schrieb ich mein erstes Gedicht“
Storm an Fontane, Potsdam, Freitag, 3. Februar 1854
Liebster Fontane,[…] Wollen und können Sie mir nicht die Freude machen, nächstens einmal einen vollen Nachmittag u. eine Nacht bei mir zu bleiben? Sie könnten dann die verlangten Notizen über ihre Balladen mitnehmen, auch die 12 Preuß. Heldengedichte, und wir besprächen dann u. A. auch den Artikel über Sie, den ich wohl nach und nach zu Stande brächte. Gestern in ruhiger Stimmung las ich meiner Frau „Thomas Cranmers Tod“, und ich kann wohl sagen, daß dieß Mal das Gedicht einen bedeutenden Eindruck auf uns machte, und mir in seinem sichern ruhigen Fortschreiten in nichts zu lang erschien.
Grüßen Sie mir den Dichter herzlich, so wie die andern Brüder in Argo!
Einen Gruß aus der Familie an Frau Emilie!
Herrn Th Fontane
Ihr Th Storm
Fontane an Storm, Berlin, Dienstag, 14. Februar 1854
Lieber Storm.Der Umstand, daß ich Ihr freundliches Briefchen vom 3ten oder 4ten noch immer nicht beantwortet habe, ist mir, mehr als vieles andre, ein rechter Beweis für meine Gehetztheit im Dienste des Staats. […] Heut stehl’ ich mir die nöthige Zeit, um die Sache als eingefädelt betrachten zu dürfen, wenn ich Sie übermorgen, beim großen Eichendorff-Diner, wiedersehn werde. […] Nun ein Paar Worte über mich, die Ihnen für Ihren Aufsatz vielleicht einige Anknüpfungspunkte bieten. Von Kindesbeinen an hab’ ich eine ausgeprägte Vorliebe für die Historie gehabt. Ich darf sagen, daß diese Neigung mich geradezu beherrschte und meinen Gedanken wie meinen Arbeiten eine einseitige Richtung gab. Als ich in meinem 10ten Jahre gefragt wurde was ich werden wollte, antwortete ich ganz stramm: Professor der Geschichte. (Dies ist Familientradition, die es erlaubt sein mag zu citiren). Um dieselbe Zeit war ich ein enthusiastischer Zeitungsleser. […]
Dann kam ich auf’s Gymnasium. Als ich ein 13 jähriger Tertianer und im Uebrigen ein mittelmäßiger Schüler war, hatt’ ich in der Geschichte solches Renommée, daß die Primaner mit mir spatzieren gingen und sich – ich kann’s nicht anders ausdrücken – für’s Examen durch mich einpauken ließen. Zum Theil war es bloßer Zahlen= und Gedächtnißkram, doch entsinne ich mich andrerseits deutlich eines Triumphes den ich feierte, als ich meinen Zuhörern die Schlachten von Crecy und Poitiers ausmalte. 13½ Jahre alt kam ich auf die hiesige Gewerbeschule, wo gar kein Geschichtsunterricht war und ich mich aus diesem und hundert andern Gründen unglücklich fühlte.
Das Abenteuer des Gewöhnlichen | 24.01.2019 |
Der literarische Alltag bei Fontane | |
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Theodor Fontane gilt als einer der größten deutschen Romanciers des 19. Jahrhunderts. 2019 wird anlässlich seines 200. Geburtstags das Fontane-Jahr gefeiert. Er verstand es, seine Figuren genau zu charakterisieren anhand der Gespräche seiner Protagonisten: Die oft bemängelte Handlungsarmut seiner Romane wird weggeplaudert. mehr … |
Meine Neigung blieb indeß dieselbe. In meinem 15ten Jahre schrieb ich mein erstes Gedicht, angeregt durch Chamisso’s: Salas y Gomez. Natürlich waren es auch Terzinen; Gegenstand: die Schlacht bei Hochkirch. Zwei Jahre später, als ich schon Apotheker war, leimte ich ein kleines Epos zusammen: Heinrich IV; und das Jahr darauf schrieb ich meine erste Ballade, die ich vielleicht, ohne Erröthen, noch jetzt als mein Machwerk ausgeben könnte. Die Ballade hieß „Vergeltung“, behandelte in 3 Abtheilungen die Schuld, den Triumph und das Ende des Pizarro und wurde, unter Gratulationen von dem betreffenden Redacteur in einem hiesigen Blatte gedruckt. In meinem 20t. Jahre kam ich nach Leipzig, was mir damals gleichbedeutend war mit Himmel und Seligkeit. Es kam die Herwegh-Zeit. Ich machte den Schwindel gründlich mit und das Historische schlug in’s Politische um.
„Das Lyrische ist sicherlich meine schwächste Seite“
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Zur Herausgeberin |
Dr. Gabriele Radecke ist Literatur- und Editionswissenschaftlerin. Wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Universität Göttingen und Leiterin der dortigen Theodor Fontane-Arbeitsstelle. Herausgeberin der Großen Brandenburger Ausgabe zu den Werken und Briefen Theodor Fontanes und der digitalen Edition von Theodor Fontanes Notizbüchern. |
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Theodor Storm – Theodor Fontane Der Briefwechsel Herausgegeben von Dr. Gabriele Radecke Der Briefwechsel zwischen Theodor Fontane und Theodor Storm ist wohl der prominenteste Briefwechsel des deutschen Realismus. Er ist eine wichtige Quelle für die Beschäftigung mit den beiden Autoren und wird hier in einer textkritischen, nach neuen editorischen Standards erarbeiteten und umfangreich kommentierten Edition erstmals als Sonderausgabe im Taschenbuch vorgelegt. |
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