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Lärm und Vibrationen können Schwerhörigkeit und Muskel-Skelett-Erkrankungen auslösen. (Foto: stux/Pixabay)
LärmVibrationsArbSchV

Gefährdungsbeurteilung für Beschäftigte mit Lärm- oder Vibrationsexposition

ESV-Redaktion Arbeitsschutz/sis
04.09.2023
Wer bei der Arbeit regelmäßig Lärm oder Vibrationen ausgesetzt ist, riskiert Gesundheitsschäden wie Lärmschwerhörigkeit und Muskel-Skelett-Erkrankungen. Das soll die Anwendung der Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung (LärmVibrationsArbSchV) verhindern. In der Praxis ergeben sich oft Probleme, im Rahmen einer Gefährdungsbeurteilung die Höhe der Exposition zu beurteilen und geeignete Maßnahmen abzuleiten, da Angaben aus der Literatur und von Maschinenherstellern differieren. Deshalb ist es wichtig, die Herkunft der Daten zu kennen sowie die Rahmenbedingungen, unter denen sie ermittelt wurden.
Warum die Fachkunde so wichtig ist

Das wichtigste Instrument zur Ermittlung von schädlichen Expositionen ist die Gefährdungsbeurteilung. Im Unternehmen ist zunächst zu überprüfen:
  • Gibt es laute Arbeitsbereiche oder Tätigkeiten?
  • Werden Flurförderzeuge bewegt?
  • Kommen handgehaltene vibrierende Werkzeuge zum Einsatz?
Werden eine oder mehrere dieser Fragen mit Ja beantwortet, müssen fachkundige Personen eine Gefährdungsbeurteilung oder sogar Messungen durchführen. Die LärmVibrationsArbSchV erlaubt in einem ersten Schritt ausdrücklich die Beschaffung von Expositionsdaten bei Maschinenherstellern bzw. anderen Quellen. Erst wenn durch diese Daten die Einhaltung von Auslöse- bzw. Expositionsgrenzwerten nicht sicher ermittelt werden kann, sind Messungen am Arbeitsplatz durchzuführen.

Wer ist fachkundig?

Gemäß der LärmVibrationsArbSchV gilt als fachkundig, wer über die erforderlichen Fachkenntnisse zur Ausübung einer in dieser Verordnung bestimmten Aufgabe verfügt. Die jeweilige Art der Aufgabe bestimmt die Anforderungen an die Fachkunde, beispielsweise eine entsprechende Berufsausbildung oder Berufserfahrung jeweils in Verbindung mit einer zeitnah ausgeübten einschlägigen beruflichen Tätigkeit sowie die Teilnahme an spezifischen Fortbildungsmaßnahmen.

Gefahren durch langjährige Exposition

Zahlreiche Studien belegen den Zusammenhang zwischen langjähriger Exposition durch erhöhte Dauerschalldruckpegel und den Einfluss einzelner lauter Schallereignisse auf das menschliche Gehör. Daraus resultieren die in der LärmVibrationsArbSchV festgelegten unteren und oberen Auslösewerte zum Tages-Lärmexpositionspegel (gemittelter Dauerschalldruckpegel über eine Acht-Stunden-Schicht) sowie dem Spitzenschalldruckpegel (einzelne laute Schallereignisse). Wird einer oder beide Auslösewerte erreicht oder überschritten, müssen vom Unternehmen Maßnahmen eingeleitet werden.

Auch bei Ganzkörper- sowie Hand-Arm-Vibrationen sind Zusammenhänge zwischen langjähriger Exposition und gesundheitlichen Auswirkungen wie Erkrankungen der Lendenwirbelsäule oder Durchblutungsstörungen in den Händen bekannt. Anders als bei den Auslösewerten beim Lärm gibt es bei den beiden Vibrationsarten einen Auslöse- und einen Expositionsgrenzwert. Stellt man eine Überschreitung des Expositionsgrenzwertes fest, sind Sofortmaßnahmen einzuleiten.

Eine solche Überschreitung wurde beispielsweise in einem Unternehmen der Nahrungsmittelindustrie bei einer Messung im Rahmen der Gefährdungsbeurteilung festgestellt. Mittels Gabelstapler sortierte man dort im unbefestigten Bereich eines Betriebsgeländes Müll. Dies ist eine Fahrbahn, für die Gabelstapler nicht ausgelegt sind. Die Sofortmaßnahme bestand in der Umsetzung der Müllcontainer auf befestigtes Gelände. Eine erneute Messung bestätigte, dass der Expositionsgrenzwert nun deutlich unterschritten wurde.

Auch Vergleiche helfen

Messungen werden vor allem dann durchgeführt, wenn die Einhaltung von Auslöse- oder Expositionsgrenzwerten nicht sicher ermittelt werden kann. Vorwiegend werden Angaben vergleichbarer Maschinen aus Literaturangaben, Herstellerangaben oder Datenbankrecherchen genutzt. Es empfiehlt sich, auf mehrere Quellen zuzugreifen, da die Messungen eventuell unter sehr unterschiedlichen Bedingungen durchgeführt wurden.

Oft hilft eine Anfrage beim zuständigen Unfallversicherungsträger, um branchenbezogene Messwerte zu erhalten. Weiterhin gibt es Reports, z. B. vom Institut für Arbeitsschutz der DGUV (IFA), in denen ebenfalls branchenbezogene Ergebnisse dokumentiert sind (Quelle: www.dguv.de, Webcode d4067). Auch das Landesamt für Arbeitsschutz des Landes Brandenburg hat eine umfangreiche Datenbank erstellt: den Katalog repräsentativer Lärm- und Vibrationsdaten am Arbeitsplatz (www.karla-info.de).

Emission oder Immission?

Beim Einkauf von Maschinen werden fälschlicherweise oft die in der LärmVibrationsArbSchV genannten Auslösewerte verwendet. So fordern Betreiber von Herstellern zum Beispiel als Bestandteil des Kaufvertrages nach der Aufstellung neuer Maschinen oder Anlagen „eine Unterschreitung von 85 dB(A)“, um die Abgrenzung von Lärmbereichen und die daraus resultierenden weiteren Maßnahmen aus der LärmVibrationsArbSchV zu vermeiden. Die Einhaltung dieser Forderung können Maschinenhersteller meist gar nicht beurteilen. Dazu müssten sie die räumlichen Gegebenheiten beim Betreiber ebenso kennen wie den gesamten Maschinenpark in dem Bereich, wo die neue Maschine oder Anlage aufgestellt werden soll. Denn diese Angaben sind nötig, um mittels einer Lärmprognose noch vor Aufstellung einer neuen Maschine oder Anlage die Lärmexposition überschlägig zu beziffern und auch verschiedene Varianten im Vorfeld prüfen zu können, zum Beispiel eine veränderte Aufstellung mehrerer Anlagen, aber auch den Einbau von Absorber-Materialien wie beispielsweise eine Akustikdecke.

Deshalb müssen die Maschinenhersteller für eine Vielzahl von Maschinen Angaben zu Emissionen von Lärm und Vibrationen machen (siehe Maschinenrichtlinie 2006/42/EG). Diese sind von den Umgebungsbedingungen unabhängig. Nur so können die Betreiber von Maschinen verschiedene Produkte vergleichen, um das leiseste oder schwingungsärmste Modell für den jeweiligen Verwendungszweck auszuwählen. Für diesen Vergleich müssen die Bedingungen wie etwa Leerlauf, Lastlauf oder gefahrene Leistung bekannt sein, unter denen die Emissionsdaten ermittelt wurden. Nur Emissionsdaten, die unter gleichen oder zumindest ähnlichen Betriebsbedingungen ermittelt wurden, können sinnvoll miteinander verglichen werden.

Betriebsbedingungen sind entscheidend

Auch bei Vibrationsdaten können große Unterschiede zwischen den Herstellerangaben und Expositionen in der Praxis auftreten. So wurde in Unternehmen der Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie eine Vielzahl von Vibrationsmessungen auf Flurförderzeugen (Gabelstapler und Schnellläufer) durchgeführt. Danach wurde bei Gabelstaplern, welche auf ebenem Untergrund fahren (z. B. im Gebäude oder auf asphaltierten Hofflächen), ein mittlerer Beschleunigungswert von awz = 0,34 m/s2 ermittelt.

Im Vergleich dazu wurden exemplarisch aktuelle Herstellerdaten aus einer Betriebsanleitung der Firma Jungheinrich gezogen: Zu den Gabelstaplern Typ EFG 213-220 und EFG 316-320 sind Beschleunigungswerte von 0,51 bzw. 0,53 m/s2 angegeben.

Der Grund der abweichenden Werte liegt vor allem in den unterschiedlichen Bedingungen, unter denen diese ermittelt wurden. In den Unternehmen der Nahrungsmittel- und Getränkeindustrie ist in den meisten Fällen eine gute Fahrbahn vorhanden, in den Lagern und Hallen meist ein Industriefußboden, seltener Fliesen oder Platten. Das Betriebsgelände ist oft asphaltiert, gelegentlich auch mit Verbundsteinen, Betonplatten oder Pflastersteinen ausgelegt.

Hersteller von Flurförderzeugen verwenden die Messnorm DIN EN 13059 „Sicherheit von Flurförderzeugen – Schwingungsmessung“, um vergleichbare Werte nach Forderung der Maschinenrichtlinie zu erhalten. Damit kann bei einem Neukauf das Fahrzeug mit der geringsten Schwingungsbelastung ausgewählt werden. Um diese Vergleichbarkeit zu erreichen, wird in der genannten Norm eine Teststrecke definiert, auf der sich die Flurförderzeuge während der Messung bewegen. Das besondere Merkmal dieser Teststrecke sind Bohlen, über welche die Fahrzeuge während der Messung fahren müssen. Damit steigt die Schwingungsbelastung gegenüber einer ebenen Fahrstrecke.

Umsetzen, dokumentieren, überprüfen

Müssen Maßnahmen zur Lärm- bzw. Vibrationsminderung durchgeführt werden, ist das in einem sogenannten Minderungsprogramm zu dokumentieren. Folgende Tabelle enthält exemplarisch ein Lärmminderungsprogramm.

Beispiel eines Lärmminderungsprogramms
Arbeitsplatz/Maschine/ Tätigkeit Lärmminderungsmaßnahme
Angestrebte Pegelminderung

Fertigstellung

Verantwortliche Person
Etikettiermaschine (Seriennummer 9856777_01a) Öffnungen der Einhausung auf ein Minimum reduzieren, andere Druckluftdüsen zur Anblasung der Flaschen auswählen 7 dB(A) 12/2022 Frau Obertinski (Sifa)
Transportband (Flaschen- auflauf vor Füller) Bandsteuerung optimieren (Herstellerfirma beauftragen) 2 dB(A) 12/2022 Frau Obertinski (Sifa)
Füller Einbau Akustikdecke im Bereich des Füllers 3 dB(A) 06/2023 Herr Müller (Technischer Leiter)
Die beiden erstgenannten Fälle aus dem in der Tabelle aufgeführten Lärmminderungsprogramm sind klassische Beispiele, wie im Fall eines vorhandenen Maschinenbestandes vorgegangen wird. Werden neue Maschinen oder Anlagen gekauft, können dort von den Unternehmen bereits entscheidende Weichen gestellt werden, um Expositionen sowohl bei Lärm als auch bei Vibrationen zu reduzieren.

Das dritte Beispiel in der Tabelle, der Einbau von schallabsorbierenden Materialien wie hier die Akustikdecke im Bereich des Füllers, soll auf eine Besonderheit der technischen Maßnahmen hinweisen: die lärmmindernde Gestaltung und Einrichtung der Arbeitsstätten und Arbeitsplätze. In der Technischen Regel zur Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung (TRLV) Teil 3 Lärmschutzmaßnahmen gilt der Stand der Technik als eingehalten, wenn eine Schallpegelabnahme pro Verdopplung des Abstandes von der Schallquelle von 4 dB bzw. ein mittlerer Schallabsorptionsgrad von 0,3 vorliegt (beides in einem Frequenzbereich von 500 bis 4000 Hz). Beide Kriterien können nur eingehalten werden, wenn in Produktionshallen schallabsorbierende Materialien an Decken und/oder Wänden angebracht werden.

Nach Abschluss der Maßnahmen aus dem Lärmminderungsprogramm muss mittels Messung überprüft werden, ob die angestrebte Reduzierung eingetreten ist. Falls nicht, sind weitere Maßnahmen einzuleiten.

Autorin: Claudia Mattke

Der Beitrag erschien zuerst in unserer Fachzeitschrift:


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(ESV/FG)

Programmbereich: Arbeitsschutz