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Psychische Belastung kann Arbeitsunfall auslösen (Foto: Charles Deluvio/Unsplash)
Aktuelle Rechtsprechung

Herzstillstand nach Streitgespräch mit dem Vorgesetzten kann Arbeitsunfall sein

Sebastian Felz
15.09.2021
Eine psychische Belastung am Arbeitsplatz kann bei gesundheitlichen Folgen sogar zur Anerkennung als Arbeitsunfall führen, wie das Bundessozialgericht jetzt klargestellt hat. In dem entschiedenen Fall klagte eine Bankkauffrau gegen einen Träger der gesetzlichen Unfallversicherung. Sie war nach einem Streit mit einem Vorgesetzten mit einem Herzstillstand auf ihrem Schreibtischstuhl zusammengebrochen, ein Notarzt konnte sie wiederbeleben.
Die Klägerin ist als Bankkauffrau be­schäftigt. Am Unfalltag kollabierte sie auf ihrem Schreibtischstuhl. Der her­beigerufene Notarzt reanimierte sie. Die Klägerin wurde stationär in einem Krankenhaus aufgenommen und ein Herzdefibrillator implantiert. Nach­dem die Arbeitgeberin der Beklagten das Geschehen gemeldet hatte, führte diese ein Telefongespräch mit der Klä­gerin und lehnte die Anerkennung ei­nes Arbeitsunfalls ab. Ein Unfall setze ein plötzliches äußeres Ereignis voraus, das nicht vorgelegen habe. Die Kläge­rin habe bei der üblichen Arbeit einen „Herzinfarkt“ erlitten sowie selbst ange­geben, dass an diesem Tag keine Beson­derheiten aufgetreten seien.

Die Kläge­rin beantragte die Überprüfung dieses Bescheides, weil sie keinen Herzinfarkt, sondern einen Herzstillstand erlitten habe. Es habe sich keinesfalls um eine normale berufliche Situation gehandelt, sondern vielmehr um einen sehr stressi­gen Tag. Nach Geschäftsschluss sei eine Kassendifferenz festgestellt worden. Sie habe mit dem aushilfsweise als Filial­leiter tätigen Kollegen gestritten, weil dieser eine durch einen Kollegen verur­sachte Kassendifferenz melden wollte. Sie habe jedoch den Kollegen in Schutz nehmen wollen und eine Meldung nicht für notwendig gehalten. Nach der Ausei­nandersetzung sei sie an ihren Schreib­tisch zurückgekehrt und dann kollabiert. Die Beklagte lehnte die Rücknahme des Bescheides ab. Klage und Berufung der Klägerin sind ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat ausgeführt, das Vorliegen eines Arbeitsunfalls sei bei dem „Herzstill­stand“ der Klägerin zu verneinen, weil bereits kein von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis vorliege. Es habe keine Extremsituation vorgelegen. Ver­bale Differenzen und das Verhalten von Menschen, über das man sich in hohem Grade aufregen könne, seien nicht nur in einer Bank, sondern überall anzutref­fen. Wie stark die Reaktion auf Heraus­forderungen sei, hänge von dem jeweili­gen berufsunabhängigen Temperament des Betroffenen ab. Das Gespräch mit dem Filialleiter, in dessen Verlauf unter­schiedliche Standpunkte sachlich und in einem angemessenen Ton ausgetauscht worden seien, habe zwar „unschön, un­harmonisch und frostig“ geendet. Dieser habe jedoch solche Gespräche als All­tagsgeschäft bezeichnet. 

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision die Entscheidung des LSG. Ihr Gespräch mit dem Filialleiter habe optisch und akustisch auf sie eingewirkt und einen Herzstillstand als Gesundheitsschaden verursacht. Für ein von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis bedürfe es keines besonderen oder ungewöhn­lichen Geschehens. Die Beklagte macht geltend, selbst wenn man ein Unfall­ereignis bejahe, so stellten die bei der Klägerin das bereits seit sieben Jahren auftretende anfallsartige Herzrasen und ihre Medikation doch eine rein innere Ursache dar.

Die vom LSG festgestellten Tatsachen reichen für eine abschließende Entschei­dung nicht aus, so das BSG, ob die Kläge­rin einen Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII erlitten hat. Ein Unfall sei zunächst ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Er­eignis. Dessen Vorliegen habe das LSG mit rechtlich unzutreffenden Erwägun­gen verneint, denn für den Unfallbegriff sei nicht konstitutiv, dass ein besonde­res, ungewöhnliches Geschehen vorlie­ge. Vielmehr genüge als von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis auch ein alltäglicher Vorgang, sodass ein Un­fall auch dann vorliege, wenn durch bloße Wahrnehmungen (Sehen, Hören, Schmecken, Ertasten, Riechen) sich der physiologische Zustand des Verletzten ändere. Ein solches Ereignis habe hier mit dem intensiven Gespräch der Kläge­rin mit ihrem Vorgesetzten vorgelegen.

Unklar sei aber, ob das Gespräch über­haupt im Rahmen der versicherten Tä­tigkeit der Klägerin stattgefunden habe. Eine nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versi­cherte Tätigkeit erfordere das Vorliegen einer Verrichtung, deren Ergebnis nicht dem Beschäftigten selbst, sondern dem Unternehmer unmittelbar zum Vor­- oder Nachteil gereiche (vgl. § 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII). Eine Beschäftigung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII werde ausge­übt, wenn die Verrichtung darauf gerich­tet sei, entweder eine eigene objektiv bestehende Haupt­ oder Nebenpflicht aus dem zugrunde liegenden Rechts­verhältnis zu erfüllen, oder unterneh­mensbezogene Rechte aus dem Rechts­verhältnis auszuüben oder der Verletzte eine objektiv nicht geschuldete Hand­lung vornimmt, um einer vermeintli­chen Pflicht aus dem Rechtsverhältnis nachzugehen, sofern er nach den be­sonderen Umständen seiner Beschäfti­gung zurzeit der Verrichtung annehmen durfte, ihn treffe eine solche Pflicht.

In­sofern werde, so das BSG, das LSG noch die konkreten Umstände des Gesprächs der Klägerin mit ihrem Vorgesetzten zu ermitteln haben. Es müsse ermittelt werden, ob die Klägerin zu Recht davon ausgehen konnte, sie erfülle mit ihrem Eintreten für ihren Kollegen auch eine Verpflichtung aus dem Beschäftigungs­verhältnis oder nehme unternehmens­bezogene Rechte aus dem Rechtsver­hältnis wahr. Weiterhin fehlten Feststel­lungen dazu, welche Gesundheitsschä­den bei der Klägerin vorlagen. Das LSG habe lediglich festgestellt, dass die Klä­gerin auf ihrem Stuhl sitzend kollabiert sei. Welche Gesundheitsstörung dem zugrunde gelegen habe und welcher Gesundheitsschaden eingetreten sei, sei unklar. Ebenso müsse das LSG noch festzustellen haben, ob das Gespräch als einwirkendes Ereignis einen noch kon­kret festzustellenden Gesundheitsscha­den objektiv (1. Stufe) und rechtlich we­sentlich (2. Stufe) verursacht habe. 

BSG, Urt. v. 6.5.2021, B 2 U 15/19 R

Dr. Sebastian Felz, Bonn


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