Herzstillstand nach Streitgespräch mit dem Vorgesetzten kann Arbeitsunfall sein
Die Klägerin beantragte die Überprüfung dieses Bescheides, weil sie keinen Herzinfarkt, sondern einen Herzstillstand erlitten habe. Es habe sich keinesfalls um eine normale berufliche Situation gehandelt, sondern vielmehr um einen sehr stressigen Tag. Nach Geschäftsschluss sei eine Kassendifferenz festgestellt worden. Sie habe mit dem aushilfsweise als Filialleiter tätigen Kollegen gestritten, weil dieser eine durch einen Kollegen verursachte Kassendifferenz melden wollte. Sie habe jedoch den Kollegen in Schutz nehmen wollen und eine Meldung nicht für notwendig gehalten. Nach der Auseinandersetzung sei sie an ihren Schreibtisch zurückgekehrt und dann kollabiert. Die Beklagte lehnte die Rücknahme des Bescheides ab. Klage und Berufung der Klägerin sind ohne Erfolg geblieben. Das LSG hat ausgeführt, das Vorliegen eines Arbeitsunfalls sei bei dem „Herzstillstand“ der Klägerin zu verneinen, weil bereits kein von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis vorliege. Es habe keine Extremsituation vorgelegen. Verbale Differenzen und das Verhalten von Menschen, über das man sich in hohem Grade aufregen könne, seien nicht nur in einer Bank, sondern überall anzutreffen. Wie stark die Reaktion auf Herausforderungen sei, hänge von dem jeweiligen berufsunabhängigen Temperament des Betroffenen ab. Das Gespräch mit dem Filialleiter, in dessen Verlauf unterschiedliche Standpunkte sachlich und in einem angemessenen Ton ausgetauscht worden seien, habe zwar „unschön, unharmonisch und frostig“ geendet. Dieser habe jedoch solche Gespräche als Alltagsgeschäft bezeichnet.
Die Klägerin rügt mit ihrer Revision die Entscheidung des LSG. Ihr Gespräch mit dem Filialleiter habe optisch und akustisch auf sie eingewirkt und einen Herzstillstand als Gesundheitsschaden verursacht. Für ein von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis bedürfe es keines besonderen oder ungewöhnlichen Geschehens. Die Beklagte macht geltend, selbst wenn man ein Unfallereignis bejahe, so stellten die bei der Klägerin das bereits seit sieben Jahren auftretende anfallsartige Herzrasen und ihre Medikation doch eine rein innere Ursache dar.
Die vom LSG festgestellten Tatsachen reichen für eine abschließende Entscheidung nicht aus, so das BSG, ob die Klägerin einen Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs. 1 S. 2 SGB VII erlitten hat. Ein Unfall sei zunächst ein zeitlich begrenztes, von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis. Dessen Vorliegen habe das LSG mit rechtlich unzutreffenden Erwägungen verneint, denn für den Unfallbegriff sei nicht konstitutiv, dass ein besonderes, ungewöhnliches Geschehen vorliege. Vielmehr genüge als von außen auf den Körper einwirkendes Ereignis auch ein alltäglicher Vorgang, sodass ein Unfall auch dann vorliege, wenn durch bloße Wahrnehmungen (Sehen, Hören, Schmecken, Ertasten, Riechen) sich der physiologische Zustand des Verletzten ändere. Ein solches Ereignis habe hier mit dem intensiven Gespräch der Klägerin mit ihrem Vorgesetzten vorgelegen.
Unklar sei aber, ob das Gespräch überhaupt im Rahmen der versicherten Tätigkeit der Klägerin stattgefunden habe. Eine nach § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII versicherte Tätigkeit erfordere das Vorliegen einer Verrichtung, deren Ergebnis nicht dem Beschäftigten selbst, sondern dem Unternehmer unmittelbar zum Vor- oder Nachteil gereiche (vgl. § 136 Abs. 3 Nr. 1 SGB VII). Eine Beschäftigung im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 SGB VII werde ausgeübt, wenn die Verrichtung darauf gerichtet sei, entweder eine eigene objektiv bestehende Haupt oder Nebenpflicht aus dem zugrunde liegenden Rechtsverhältnis zu erfüllen, oder unternehmensbezogene Rechte aus dem Rechtsverhältnis auszuüben oder der Verletzte eine objektiv nicht geschuldete Handlung vornimmt, um einer vermeintlichen Pflicht aus dem Rechtsverhältnis nachzugehen, sofern er nach den besonderen Umständen seiner Beschäftigung zurzeit der Verrichtung annehmen durfte, ihn treffe eine solche Pflicht.
Insofern werde, so das BSG, das LSG noch die konkreten Umstände des Gesprächs der Klägerin mit ihrem Vorgesetzten zu ermitteln haben. Es müsse ermittelt werden, ob die Klägerin zu Recht davon ausgehen konnte, sie erfülle mit ihrem Eintreten für ihren Kollegen auch eine Verpflichtung aus dem Beschäftigungsverhältnis oder nehme unternehmensbezogene Rechte aus dem Rechtsverhältnis wahr. Weiterhin fehlten Feststellungen dazu, welche Gesundheitsschäden bei der Klägerin vorlagen. Das LSG habe lediglich festgestellt, dass die Klägerin auf ihrem Stuhl sitzend kollabiert sei. Welche Gesundheitsstörung dem zugrunde gelegen habe und welcher Gesundheitsschaden eingetreten sei, sei unklar. Ebenso müsse das LSG noch festzustellen haben, ob das Gespräch als einwirkendes Ereignis einen noch konkret festzustellenden Gesundheitsschaden objektiv (1. Stufe) und rechtlich wesentlich (2. Stufe) verursacht habe.
BSG, Urt. v. 6.5.2021, B 2 U 15/19 R
Dr. Sebastian Felz, Bonn
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