Sie haben folgende Möglichkeiten:
  1. zum Login.
  2. zur Navigation.
  3. zum Inhalt der Seite.

Kennt sich aus mit Medien: Till Dembeck (Foto: privat)
Nachgefragt bei Prof. Dr. Till Dembeck

„Ipads sind keine besseren Notizblöcke“

ESV-Redaktion Philologie
07.07.2021
Medien im Unterricht und digitales Lernen – diese Themen sind durch die pandemiebedingten Beschränkungen an unseren Schulen und Universitäten in letzter Zeit stärker in den Fokus gerrückt. Im Erich Schmidt Verlag erscheint nun ein Sammelband über „Medienwissenschaften und Mediendidaktik im Dialog – Zum Status Quo von Medienbildung im Deutschunterricht“, in dem mehrere Autoren sich aus verschiedenen Blickwinkeln mit Medien im Literaturunterricht beschäftigen. Über die interdisziplinäre Perspektive, die Herausfoderungen und mögliche Zukunft der Mediendidaktik haben wir mit einem der Herausgeber, Prof. Dr. Till Dembeck, gesprochen.
Lieber Herr Dembeck, Sie haben in Ihrem Band Vertreterinnen und Vertreter dreier Disziplinen zusammengebracht: der Medienwissenschaft, der Mediendidaktik und der angewandten Mediendidaktik. Ihr primäres Ziel war es dabei, einen Dialog zwischen diesen drei Disziplinen zu ermöglichen. Was haben Sie sich von diesem Dialog versprochen?

Till Dembeck: Es erschien uns zunächst einmal verwunderlich, dass dieser Dialog nicht ohnehin schon viel intensiver ist; vor allem gibt es eine gewisse Kluft zwischen Medienwissenschaft einerseits und Didaktik wie Pädagogik andererseits. Verwunderlich ist das deshalb, weil beiden Seiten das Interesse an Vermittlung gemeinsam ist – Medien sind ja nichts anderes als Vermittler. Wir glauben, dass in beide Richtungen Lernprozesse möglich sind: Die Medienwissenschaft kann ihre Modelle verfeinern und bereichern, wenn sie sich auf die Ergebnisse zum Beispiel der empirischen Bildungsforschung einlässt; und die Mediendidaktik könnte, gerade im Bereich der Deutschdidaktik, zum Beispiel aus der Betrachtung historischer Formen von Schriftmedialität in ihrem Zusammenhang mit Prozessen der Wissensorganisation lernen.
Natürlich gibt es in diesen Bereichen schon Austausch, aber eine Intensivierung ist gerade angesichts der überall diskutierten Einflüsse von neuen Medien auf Gesellschaft und Schule wichtiger denn je. Das ist auch der Grund dafür, dass wir auch Vertreter Luxemburger Schulen zu dem Dialog eingeladen haben.

Es geht in Ihrem Buch zentral auch um die Frage der Digitalisierung des Deutschunterrichts. Diskutiert werden aktuelle Konzeptionen von medienintegrativem, computergestütztem, intermedialem und symmedialem Deutschunterricht. Bitte erläutern Sie uns, worauf diese unterschiedlichen Konzeptionen beruhen.

Till Dembeck: Diese Konzepte werden vor allem in der Mediendidaktik intensiv diskutiert und im Detail entwickelt. Wichtiger als die feinen Unterschiede zwischen ihnen ist allerdings sicherlich der Grundgedanke, der sie eint – und der eigentlich gar nicht so originell ist. Er besteht in der Einsicht, dass in jedem Falle ein Deutschunterricht verfehlt ist, der die mediale Umwelt ignoriert, in der die Schülerinnen und Schüler aber leben. Es ist wichtig zu sehen, dass das auch geschehen kann, wenn sogenannte neue Medien eingesetzt werden. Wenn zum Beispiel in einer iPad-Klasse die Geräte als bessere Notizblöcke eingesetzt werden, geht das an den medialen Umgangsweisen vorbei, mit denen die Schülerinnen und Schüler bereits vertraut sind. Das ist also dann gerade nicht integrativ, nicht symmedial usw., obwohl kein Papier mehr vorkommt.
In dem Band werden verschiedene Modelle vorgestellt, wie man das besser machen kann, u. a. auch durch den zwischenzeitlich verpönten Einsatz von Literaturverfilmungen. Es muss nicht alles computergestützt sein. Es wird aber auch das Konzept einer Luxemburger Schule vorgestellt, die ganz auf iPad-Klassen setzt – aber eben eingebettet in ein durchdachtes pädagogisches Gesamtkonzept.
Digital Natives unterrichten 02.07.2021
Digital Natives unterrichten
Medien im Unterricht – das ist gerade in Zeiten des pandemiebedingten digitalen Lernens ein hochaktuelles Thema. Unser neuer Sammelband <strong>Medienwissenschaften und Mediendidaktik im Dialog</strong>, herausgegeben von Till Dembeck und Jennifer Pavlik, beschäftigt sich mit der Medienbildung im Deutschunterricht. mehr …

Es gibt zahlreiche Untersuchungen zum Einfluss der Digitalisierung auf das Leseverhalten und die Lesekompetenz von Schülerinnen und Schülern. Können die Deutschdidaktik bzw. die Mediendidaktik in diesem Zusammenhang sinnvolle und hilfreiche Antworten für die Praxis geben?

Till Dembeck: Natürlich – wenn wir das nicht glauben würden, hätten wir uns gar nicht erst an die Arbeit gemacht. Man muss hier vielleicht zwei Perspektiven unterscheiden: Einerseits gibt es den (man muss sagen: wieder einmal) boomenden Bereich der empirischen Leseforschung, der jetzt ergründet, wie sich zum Beispiel das Lesen digitaler Texte vom deep reading gedruckter Bücher unterscheidet. Das muss man natürlich unbedingt zur Kenntnis nehmen.
Andererseits gibt es die eher phänomenologisch argumentierende Medientheorie, die darüber nachdenkt, welche Umgangsmöglichkeiten unterschiedliche Medien nahelegen oder gar erzwingen und welche Konsequenzen das wiederum für die individuelle Entwicklung und für die Gesellschaft hat. Von hier aus kann man McLuhans alte, aber immer noch unglaublich treffende Formulierung, das Medium selbst sei die Botschaft, für den Deutschunterricht fruchtbar machen. Wenn man als Lehrperson sozusagen die Botschaften der unterschiedlichen Medien kennt, kann man sie viel zielgenauer einsetzen.

Die Corona-Pandemie hat den Schulunterricht bekanntlich stark verändert und unter Druck gesetzt.  Es war über einen längeren Zeitraum kaum Präsenzunterricht möglich, auch der Wechselunterricht hat viele Lehrerinnen und Lehrer herausgefordert. Inwiefern hat das durch die Pandemie vermehrt notwendige digitale Lernen die Mediendidaktik verändert?

Till Dembeck: Vermutlich ist es noch zu früh, um das wirklich abschätzen zu können. Die Beiträge zu diesem Band sind alle vor der Pandemie entstanden, und wir selbst können die Veränderungen bisher vor allem aus hochschuldidaktischer Perspektive beschreiben, weil wir an einer Universität unterrichten. Da sieht es dann so aus, dass sich zwar einerseits sehr viel Neues entwickelt hat – Not macht eben erfinderisch; dass aber andererseits die Grundkonzepte, auf die wir zurückgegriffen haben, alle schon vorlagen. Man denke etwa an alte Konzepte wie den flipped classroom. Vorher war es so, dass das Lehrpersonal immer mal wieder zu Fortbildungen zur Digitalisierung verdonnert wurde, aber die meisten wenig davon angenommen haben. Jetzt auf einmal musste man sich damit auseinandersetzen, und das hat in der Breite eine viel klarere Sicht auf die Dinge ermöglicht. Wir wissen jetzt u.a., dass das Unterrichten auf Zoom etc. einerseits mehr Möglichkeiten bietet, Schülerinnen und Schüler einzubinden – schüchternere Zeitgenossen können sich zum Beispiel schriftlich einbringen –, dass es aber langfristig andererseits sehr viel mehr Aufwandes bedarf, die Lerngruppen mitzunehmen und bei der Stange zu halten.

Welche etwaigen Probleme sehen Sie beim aktuellen Status Quo der Medienbildung? Welche Potentiale sehen Sie für einen engeren Austausch zwischen Medientheorie, Mediengeschichte, empirischer Lernforschung und Mediendidaktik?

Till Dembeck: Das wichtigste Problem besteht in der Praxis sicherlich darin, dass zu wenig Zeit dafür bleibt, sozusagen die Botschaft der neuen Medien zu entziffern. Fortbildungen zur Digitalisierung des Unterrichts helfen wenig, wenn man sich nicht grundlegend darüber klar ist, welche Effekte die eingesetzten Medien individuell und gesellschaftlich eigentlich zeitigen. Ein Beispiel dafür wäre die zunehmende Verwischung der Differenz zwischen mündlichem und schriftlichem Sprachgebrauch. In der Gutenberg-Galaxis nahm man in der Schule eine klare Differenz wahr zwischen dem, was man hörte und sagte, und dem, was man geschrieben fand – und was man selbst schriftlich produzieren musste. Die Situationsunabhängigkeit der Schrift legt ja einen viel höheren Grad der Abstraktheit im Ausdruck nahe. Heute aber ist der Großteil der Schriftproduktion in den digitalen Medien eben nicht situationsunabhängig, sondern situativ gebunden – und nähert sich folgerichtig den Formen des mündlichen Sprachgebrauchs an. Es ist aber für Bildung weiterhin entscheidend, beide Formen des Sprachgebrauchs zu beherrschen. Wer das als Bildungsziel verfolgt, muss die Effekte des digitalen Lesens nicht nur anhand der empirischen Leseforschung studieren, sondern auch auf der Grundlage der Medientheorie.

Zu guter Letzt, was ist aus Ihrer Sicht die wichtigste Aufgabe der Medienwissenschaften und der Mediendidaktik für die Zukunft?

Till Dembeck: Ganz klar die genaue Beschreibung der Veränderungen im Bereich der Schriftmedialität und die Entwicklung von Konzepten, wie in diesem Bereich Kompetenzen unter neuen medialen Bedingungen gefördert werden können. Diese Veränderungen betreffen natürlich nicht nur die Annäherung an die Mündlichkeit, sondern auch Interferenzen mit Bildlichkeit, von denen wir schon allein historisch nachweisen können, dass sie enorme kognitive Schübe auslösen können, die aber womöglich in anderen Konstellationen ganz andere Effekte haben kann.

Wir danken Ihnen herzlich für dieses interessante Gespräch.

Der Herausgeber
Till Dembeck ist Associate Professor für neuere deutsche Literatur und Mediendidaktik an der Universität Luxemburg. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört der Zusammenhang von Mediengeschichte, -theorie und -didaktik.

Medienwissenschaften und Mediendidaktik im Dialog
Herausgegeben vonTill Dembeck und Jennifer Pavlik
Mit Beiträgen von Achim Barsch, Christian Dawidowski, Till Dembeck, Martin Doll, Markus Engelns, Hendrick Heimböckel, Nathalie Jacoby, Magdalena Kißling, Georg Mein, Christoph Müller, Jennifer Pavlik, Ulrike Preußer und Camille Weyrich
Der Austausch zwischen Medienwissenschaft und Mediendidaktik ist zumindest in einer Richtung recht selbstverständlich. MediendidaktikerInnen wie -pädagogInnen nehmen natürlich zur Kenntnis, worüber die Medienwissenschaft forscht. Keine Einführung in die Mediendidaktik kann ohne Ausführungen zum Medienbegriff im Allgemeinen, zur Mediengeschichte oder zu Fragen der Medienkritik auskommen.
Umgekehrt besteht jedoch der begründete Verdacht, dass es weniger selbstverständlich ist, dass sich die Medienwissenschaft auf die Mediendidaktik bezieht. Dies ist insbesondere verwunderlich, da sich die Medienwissenschaft doch eigentlich für Vermittlungsfragen aller Art zuständig halten müsste und daher gerade auch für diejenigen, mit denen es die Mediendidaktik zu tun hat. Diesen Austausch soll der vorliegende Band intensivieren, indem er medienwissenschaftliche und mediendidaktische Aufsätze sowie Stimmen aus der schulischen Praxis versammelt, die aus unterschiedlichen Perspektiven über die Zukunft des Deutschunterrichts reflektieren.

Programmbereich: Germanistik und Komparatistik