„Lernerfolge zeigen sich nicht nur in einem Endprodukt“
Liebe Frau Buschmann-Göbels, lieber Herr Chaudhuri, das miteinander und voneinander Lernen ist nicht unbedingt eine Selbstverständlichkeit im Deutschunterricht. Lernt man gemeinsam besser?
Astrid Buschmann-Göbels /Tushar Chaudhuri: Aus neurobiologischer Sicht ist Lernen immer dann effektiv, wenn mehrere Kanäle (wie Hören, Lesen, Sprechen, Sehen, u.a.) gleichzeitig am Lernen beteiligt sind. Sachverhalte, die man ausspricht und einem Lernpartner/einer Lernpartnerin erklärt, verfestigen sich im Gehirn und bleiben zu einem Großteil als Lernstoff in Erinnerung. Eine entspannte und fröhliche Atmosphäre bei gemeinsamer Arbeit trägt ebenfalls entscheidend zur eigenen Motivation und zum Lernerfolg bei. Ein weiterer Pluspunkt des kooperativen Lernens ist das Trainieren von Teamfähigkeit. Konkret bedeutet dies das Einüben und Anwenden kommunikativer Regeln (z.B. zuhören, ausreden lassen, objektives Feedback geben), von planerischer Kompetenz oder auch von Verantwortung, Selbstorganisation und Toleranz. Entsprechende Hinführung zum gelingenden kooperativen Lernen kann im Unterricht z.B. durch ein Methodentraining und entsprechende kleine Lernprojekte erfolgen.
Was sind die besten Tipps für kooperatives Lernen?
Astrid Buschmann-Göbels /Tushar Chaudhuri: Unabhängig vom Alter der Schülerinnen und Schüler ist es lohnend, kooperatives Lernen im Unterricht als Lernform zu integrieren. Beginnen Sie mit kleinen Partnerarbeiten, üben notwendige Skills ein und gehen Sie dann über zu Gruppenarbeiten. Verlage und Bildungsserver halten nützliche Tipps und Materialien für interaktive Partner- und/oder Gruppenarbeiten parat – für Online- wie Präsenzsettings. Wichtig ist, dass das gemeinsame Ziel stets vor Augen ist und alle Gruppenmitglieder einen eigenen Anteil am Erfolg haben.
Welche Ängste haben Lehrkräfte in Bezug auf kooperatives Lernen? Wie kann man ihnen diese nehmen?
Astrid Buschmann-Göbels /Tushar Chaudhuri: Eine Befürchtung, die oftmals von Lehrkräften geäußert wird, ist die mutmaßlich aufwendige Vorbereitung kooperativer Lernszenarien, verbunden mit einem gefühlt geringeren Lernerfolg oder einer geringeren Lernerfolgskontrolle.
Lernerfolge zeigen sich aber nicht nur in einem Endprodukt (z.B. einer Präsentation), sondern auch in motivierter und freudiger Lernbereitschaft und aktiver Teilnahme an einem kooperativen Lernprojekt. Sind die gewählten Aufgaben handlungsorientiert und somit relevant für die Schülerinnen und Schüler, werden sie sich intensiv damit beschäftigen, in der Gruppe Rollen aushandeln und Aufgaben verteilen. Dies führt am Ende zu einem Lernprodukt, an dem alle gemäß ihrer Rolle und ihren Fähigkeiten partizipiert haben.
Hat man sich einmal als Lehrkraft mit den vielfältigen Möglichkeiten, interaktive Gruppenarbeiten zu gestalten, vertraut gemacht, so kann man auf diesen Fundus zurückgreifen. Interner Austausch, aber auch Fortbildung über externe Anbieter bieten Gelegenheit, sich aktiv mit dem Thema zu beschäftigen.
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Astrid Buschmann-Göbels /Tushar Chaudhuri: Unserer Meinung nach ist dies nicht eine Frage von online oder offline, sondern eine nach dem Ziel und den aktuellen Möglichkeiten. Es ist auch eine Frage des individuellen Lernverhaltens. Kommunizieren Lernende heutzutage überwiegend online über sozialen Medien, fällt es ihnen auch einfacher, sich schnell online zu verabreden und an dem Projekt weiterzuarbeiten. Sind die Materialien überwiegend online verfügbar, ist es auch einfacher, diese in einem Onlinesetting gemeinsam zu bearbeiten. Dabei spart man Zeit und vermittelt zugleich nicht den Eindruck, dass Lernen nur im gut ausgestatteten Klassenraum unter Aufsicht der Lehrperson geschehen kann. Offlinephasen sind wichtig, um die Gruppendynamik zu fördern, offene Fragen zu klären und um einen Überblick über das ganze Lernprojekt zu behalten.
Gibt es auch Situationen, in denen alleine arbeiten doch besser ist?
Astrid Buschmann-Göbels /Tushar Chaudhuri: Einzelarbeit bedeutet u.a., dass Lernende selbstständig und nach ihrem Tempo allein an einer Aufgabenstellung arbeiten. Dies erfordert ein hohes Maß an selbstständigem Lernen. Passende Hilfsmittel sollten den Schülerinnen und Schülern an die Hand gegeben werden. Zielsetzung und Erwartungshaltung im Hinblick auf die zu lösende Aufgabenstellung sollten von der Lehrkraft klar formuliert sein. Schüler und Schülerinnen können so lernen, konzentriert für sich zu arbeiten.
Einzelarbeit ist so auch ein wichtiger Baustein für kooperatives Lernen. Hat ein Schüler/eine Schülern gelernt, Wissen für sich selbst zu erarbeiten, kann er oder sie sich vermutlich später besser in eine Gruppe einbringen.
Bestimmte Methoden, wie z.B. Think-Pair-Share kombinieren so auch Einzelarbeit (Think) mit der Vorstellung der Ergebnisse der Einzelarbeit in Partnerarbeit (Pair) und dann in Gruppenarbeit/Plenum (Share).
Was erwartet die Leser und Leserinnen in diesem Heft?
Astrid Buschmann-Göbels /Tushar Chaudhuri: Die aktuelle Ausgabe versucht, viele praktische Handreichungen zum kooperativen Lernen anzubieten. Beiträge aus Schule und Hochschule geben sowohl einen theoretischen Hintergrund zum Heftthema „Kooperatives Lernen“ wie auch Tipps, Modelle und zahlreiche Links für Erfahrene wie auch Neueinsteiger:innen. Anerkannte Expter:innen und erfahrene Praktiker:innen zeigen mit Gelingensfaktoren und übertragbaren Projekten auf, wie kooperatives Lernen im realen wie virtuellen Klassenraum funktionieren kann.
Was ist Ihr ganz persönlicher Tipp zum Lernen?
Astrid Buschmann-Göbels /Tushar Chaudhuri: Versuchen Sie, kreativ zu bleiben und auch einmal neue Lernwege zu bestreiten. Methodenvielfalt und Vertrauen auf die Lernbereitschaft und die Kompetenzen der Schülerinnen und Schüler sind lohnend, um gemeinsam einen guten Lernerfolg zu erzielen. Bezogen auf die Sprachen ist es sehr wertschätzend, die mitgebrachten Herkunftssprachen der Schüler und Schülerinnen zu sehen und, wenn es passt, in den Unterricht mit einzubeziehen. Die Sprache ist der Weg zum Ziel. Wichtig ist, dieses Ziel klar zu definieren und die Lernaktivitäten danach zu richten.
Vielen Dank, lieber Herr Chaudhuri und liebe Frau Buschmann-Göbels, dass Sie sich Zeit für das Interview genommen haben!
Falls Sie neugierig geworden sind und Sie das neue Heft der Zeitschrift „Fremdsprache Deutsch“ zum Thema „Kooperative Lernszenarien“ lesen möchten: Sie können die Print-Ausgabe bequem hier oder aber auch in jeder Buchhandlung bestellen. Außerdem gibt es das Heft auch als eJournal - schauen Sie einfach einmal auf: www.fremdsprachedeutschdigital.de vorbei.
Zu den Heftherausgebenden Astrid Buschmann-Göbels ist stellvertretende Leiterin und Koordinatorin des Tutorenprogramms und der Sprachkursangebote am Sprachenzentrum der Hochschulen im Land Bremen. Ihre Arbeitsschwerpunkte sind autonomes Sprachenlernen, E-Learning und Teacher Training. Sie ist Herausgeberin und Autorin im Themenfeld „autonomes Lernen”. Tushar Chaudhuri ist Koordinator des Deutschbereichs am Leibniz Language Centre, Leibniz Universität Hannover. Zu seinen Forschungs- und Arbeitsschwerpunkten gehören E-Learning, Telekollaboratives Lernen und Mehrsprachigkeit im Deutschunterricht. |
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Programmbereich: Deutsch als Fremdsprache