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Merkmal "bl" im Schwerbehindertenausweis: Es ist unerheblich, ob ein Defekt der Augen oder des Gehirns vorliegt (Foto: WavebreakMediaMicro/Fotolia.com)
Eintragungen im Schwerbehindertenausweis

LSG Niedersachsen-Bremen: Auch Hirnschädigung kann Grundlage für Merkzeichen „Blind” sein

ESV-Redaktion Recht
28.12.2017
Welche Voraussetzungen sieht das Gesetz für eine Eintragung des Merkzeichens „Bl” in den Schwerbehindertenausweis vor? Muss hierzu tatsächlich das Auge beeinträchtigt sein oder ist auch eine Funktionsstörung des Gehirns zu berücksichtigen? Hierzu hat sich das Landessozialgericht Niedersachsen-Bremen (LSG) aktuell geäußert.
Klägerin war ein 10-jähriges Mädchen aus dem Landkreis Leer. Wegen einer  Stoffwechselstörung war das Mädchen schwerst hirngeschädigt und erlitt täglich epileptische Krampfanfälle. Ihr Kinderarzt bestätigte, dass die Klägerin ihre Augen überwiegend geschlossen hält oder nur kleine Sehschlitze öffnet. Zudem verdreht sie ihre Pupillen, wenn sie dennoch ihre Augen mal aufreißt. Auf optische Reize reagiert die Klägerin gar nicht. Die Untersuchung mit einer sogenannten Blitzbrille ergab eine ausgeprägte Funktionsstörung des Gehirns der Klägerin. Visuelle Sinneseindrücke kann die Klägerin danach wohl nicht verarbeiten.

Landesamt für Soziales: Klägerin hat keine Sehstörung

Dennoch lehnte das beklagte Landesamt für Soziales, Jugend und Familie die Eintragung das Merkzeichen „Bl” in den Schwerbehindertenausweis der Klägerin ab. Nach Auffassung der Behörde liegt keine Störung des Seh-Apparates vor, sondern eine Störung des Erkennens und der Verarbeitung der optischen Sinneseindrücke im Gehirn. Gegen die Entscheidung des Landesamtes legte die Klägerin erfolglos Widerspruch ein.

Bereits die Vorinstanz - das Sozialgericht (SG) Aurich - teilte in Auffassung des Landesamtes nicht und verurteilte die Behörde zur Eintragung des Merkzeichens „Bl” in den Schwerbehindertenausweis der Klägerin. Gegen diese Entscheidung legte die Beklagte Berufung ein.

LSG: Die Klägerin ist blind im Sinne des Gesetzes

Auch die Berufung der Beklagten blieb ohne Erfolg. Dabei berief sich der 13. Senat des Landessozialgerichts (LSG) Niedersachsen-Bremen auf ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) vom 11.08.2015. Mit dieser Entscheidung, so der Senat, habe das BSG klargestellt, dass eine spezifische Sehstörung nicht mehr Voraussetzung ist, um eine Person als blind anzuerkennen. Ob ein Defekt der Augen oder des Gehirns vorliegt, wäre unerheblich. Damit, so der 13. Senat des LSG weiter, habe das BSG seine bisherige Rechtsprechung aufgegeben. 

Hintergrund - Störungen beim „Erkennen” und beim „Benennen” - nach BSG-Urteil vom 11.08.2015 - AZ: B 9 BL 1/14 R
Das BSG hatte bis zu seiner Entscheidung vom 11.08.2015 wie folgt zwischen Schädigungen des Sehapparates und solchen bei der Verarbeitung optischer Reize unterschieden:
  • Schädigungen des Sehapparates: Störungen beim „Erkennen”
  • Schädigung in der Verarbeitung optischer Reize: Störungen beim „Benennen”
Diese Differenzierung hatte das BSG mit seiner Entscheidung aus 2015 verworfen. Gerade bei cerebral geschädigten Menschen wäre diese Differenzierung kaum nachvollziehbar, weil sich die Ursache der Beeinträchtigung des Sehvermögens nicht genau bestimmen lasse, so die Auffassung des BSG. 

Die weiteren Erwägungsgründe

Vor diesem Hintergrund ließ sich das LSG von folgenden weiteren tragenden Erwägungen leiten:
  • Ausreichend für die Zuerkennung des Merkmals „bl” sei, dass objektiv ein Sehvermögen festgestellt wird, das unter der Blindheitsschwelle liegt. Hierfür wäre nicht entscheidend, ob die Ursache in einem Defekt der Augen, des Sehnervs oder des Gehirns liegt.
  • Vielmehr würden der Gleichheitssatz des Grundgesetzes sowie der UN-Behindertenrechtskonvention die Gleichbehandlung der unterschiedlichen Ursachen gebieten.
  • Zwar fehle der Klägerin das Augenlicht nicht vollständig. Ebenso konnte nicht bewiesen werden, dass deren Sehschärfe beidäugig mehr als 1/50 beträgt.
  • Der Senat zeigte sich aber überzeugt davon, dass bei der Klägerin andere schwere Sehstörungen vorliegen, die der oben genannten Beeinträchtigung der Sehschärfe gleichzustellen sind. Zu einer differenzierten Sinneswahrnehmung sei die Klägerin jedenfalls nicht in der Lage.
Quelle: PM des LSG Niedersachsen-Bremen vom 18.12.2017 zum Urteil vom 22.11.2017 

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(ESV/bp)

Programmbereich: Sozialrecht und Sozialversicherung