Die gesetzliche Unfallkasse wollte den Vorfall – im Gegensatz zum LSG Sachsen-Anhalt – dem nicht versicherten Familienalltag zuordnen (Foto: MQ-Illustrations / stock.adobe.com)
Gesetzliche Unfallversicherung
LSG Sachsen-Anhalt: Schlag mit Vase auf Kopf eines Betreuers kann Arbeitsunfall sein
ESV-Redaktion Recht
02.08.2024
Auch ehrenamtliche Betreuer können sich grundsätzlich auf den gesetzlichen Unfallversicherungsschutz berufen. Voraussetzung hierfür ist jedoch, dass sich der Unfall im Rahmen der Betreuertätigkeit ereignet hat. Ob dies anzunehmen ist, wenn die Beteiligten miteinander verwandt sind und sich der Vorfall innerhalb der gemeinsamen Wohnung ereignet, hat das LSG Sachsen-Anhalt jüngst entschieden.
In dem Streitfall hatte ein Sohn seinem Vater eine Vase auf den Kopf geschlagen. Der Vater fungierte als ehrenamtlicher Betreuer seines 38-jährigen Sohnes, der geistig behindert ist. Zum Aufgabenkreis des Vaters gehörte auch die Gesundheitsfürsorge. Die beiden Männer stritten sich im Februar 2016 in der gemeinsamen Wohnung: Der Grund: Das Zimmer des Sohnes war von Schimmel befallen. Als ein Bausachverständiger den Schaden begutachten wollte, hatte der Vater versucht, seinen Sohn dazu zu überreden, die Besichtigung zu dulden. Zudem sollte der Sohn noch einen Teil seiner Lego-Steine aufräumen, damit der Gutachter die dort betroffenen Stellen untersuchen konnte. Hierbei zog sich der Sohn zunächst in sein Zimmer zurück. Kurz darauf schlug er voller Wut mit einem Hammer durch die Zimmertür. Anschließend wählte der Vater den Notruf. Hierbei trat der Sohn aus dem Zimmer und schlug seinem Vater eine Vase auf den Kopf. Dabei erlitt der Vater eine Platzwunde.
Unfallkasse: Ereignis gehört zum nicht versicherten Familienalltag
Die Unfallkasse lehnte die Anerkennung eines Arbeitsunfalls ab. Zwar unterstehe der Vater auch als ehrenamtlicher Betreuer dem Schutz der gesetzlichen Unfallversicherung, so die Unfallkasse. Allerdings habe sich der Vorfall außerhalb der versicherten Tätigkeit ereignet. Demnach gehört es zum nicht versicherten Familienalltag, wenn Eltern ihre Kinder dazu anhalten, ihr Zimmer aufzuräumen. Der Fall landete nun in zweiter Instanz vor dem LSG Sachsen-Anhalt.
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LSG Sachsen-Anhalt: Wahl des Notrufs war auch von der Gesundheitsfürsorge des Betreuers umfasst
Die gegen die Ablehnung gerichtete Klage des Vaters war vor dem LSG Sachsen-Anhalt erfolgreich. Dem LSG zufolge war der Vorfall der versicherten Tätigkeit des Klägers in seiner Eigenschaft als Betreuer seines Sohnes zuzurechnen. Die tragenden Erwägungen des LSG:
- Begriff des Unfalls: Unfälle sind nach § 8 Abs. 1 Satz 2 SGB VII zeitlich begrenzte Ereignisse, die von außen auf den Körper einwirken und die zu einem Gesundheitsschaden oder zum Tod führen. Ein Unfall in diesem Sinne lag dem LSG zufolge vor.
- Arbeitsunfall und Schutzbereich für Betreuer: Arbeitsunfälle sind Unfälle von Versicherten im Rahmen einer Tätigkeit, die den Unfallversicherungsschutz begründen, so § 8 Abs. 1 Satz 1 SGB VII. Von diesem Schutzbereich, so das LSG weiter, werden nach § 2 Abs. 1 Nr. 10 Buchst. a SGB VII auch ehrenamtliche Betreuertätigkeiten für Körperschaften des öffentlichen Rechts erfasst.
- Wahl des Notrufs als Teil der Gesundheitsfürsorge: Der Vater hatte den Notruf nicht nur wegen des Streits im gemeinsamen Haushalt und zum Selbstschutz angerufen. Vielmehr hatte er als Betreuer – schon aufgrund der ihm übertragenen Gesundheitsfürsorge – auch die Pflicht, ärztliche Hilfe für seinen Sohn anzufordern.
Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig.
Anmerkung der Redaktion:
Die Argumentation der Unfallkasse, wonach das Ereignis zum nicht versicherten „Familienalltag“ gehören soll, mutet seltsam an. Es kann jedenfalls nicht zum normalen Familienalltag gehören, wenn ein Vater seinen 38-jährigen Sohn zum Wegräumen von Legosteinen auffordert und der geistig behinderte Sohn deshalb gewalttätig wird. Die Sache ist offensichtlich auch aufgrund der geistigen Behinderung eskaliert. Genau wegen dieser Gefahren, in denen es zu Selbst-und Fremdgefährdungen kommen kann, wurde der Vater zum Betreuer bestellt – und zwar auch für die Gesundheitsfürsorge.
Quelle: PM des LSG Sachsen-Anhalt vom 31.07.2024 zum Urteil vom 26.06.2024 – L 6 U 19/23
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Autoren: Udo Diel, Dr. Edlyn Höller, Wolfgang Keller, Ass. jur. Karl Friedrich Köhler
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(ESV/bp)
Programmbereich: Sozialrecht und Sozialversicherung