Sie haben folgende Möglichkeiten:
  1. zum Login.
  2. zur Navigation.
  3. zum Inhalt der Seite.

Hartmann von Aue, Autorenporträt im Codex Manesse; Cod. Pal. germ. 848, Große Heidelberger Liederhandschrift. (Universitätsbibliothek Heidelberg, CC-BY-SA-3.0)
„Stimme und Ort“

Markus Greulich über „Die Einkleidung der Enite“

ESV-Redaktion Philologie
22.01.2018
Um 1200 wurde an den Höfen im deutschsprachigen Raum eine damals neuartige Erzählliteratur populär: die höfisch-weltliche Epik. Diese Höfische Erzählliteratur entwickelt sich in einem Spannungsfeld unterschiedlicher sozialer, literarischer und medialer Faktoren.
Markus Greulich hat darüber eine Studie verfasst und zentrale Texte der Autoren Heinrich von Veldeke, Hartmann von Aue und Wolfram von Eschenbach untersucht. Eines der untersuchten Werke ist der Artusroman Erec Hartmanns von Aue, der nicht nur den Stoff von Chrétien de Troyes übernimmt, sondern auch in der Konzeption der Erzählinstanz stark durch die altfranzösische Vorlage beeinflusst ist, wie Markus Greulich erläutert.

Lesen Sie im Folgenden einen Auszug aus Greulichs Untersuchung Stimme und Ort. Narratologische Studien zu Heinrich von Veldeke, Hartmann von Aue und Wolfram von Eschenbach, die im Februar im Erich Schmidt Verlag erscheinen wird. Es geht um die Einkleidung der Enite im Erec.

Die Einkleidung Enites

Die Kunst der descriptio

Ebenso wie bei Heinrich von Veldeke wird auch bei Hartmann von Aue die Kunstform der descriptio u. a. an höfische Kleidung gebunden. Beide Verfasser haben hierdurch Anteil an der vestimentären adaptation courtoise und einem spezifischen Kleiderkult des 12. und 13. Jahrhunderts, der sich in der Literatur bis ins 14. Jahrhundert verfolgen lässt. Dabei wird die „Beliebtheit der Kleiderbeschreibung […] verständlich, wenn diese unter dem Blickwinkel der Selbstdarstellung einer Gesellschaft in der Dichtung gelesen wird“, in der sich zugleich auch „der Herrschaftsanspruch der mittelalterlichen Feudalgesellschaft“ artikuliert. Neben dieser literatur- und kulturgeschichtlichen Beobachtung ist darauf hinzuweisen, dass sich Hartmann, wie im Folgenden gezeigt werden wird, hinsichtlich der Kleiderbeschreibung nachweislich auf den ‚Eneasroman‘ bezieht und sein Erzählverfahren merklich an Heinrich von Veldeke anschließt.

Enite wird eingekleidet

Nach dem Erfolg in der Sperberaventiure werden Erec und Enite am Artushof gefeiert. Ausführlich wird Enites Einkleiden durch die Königin erzählt. In der Armen Herberge wurde zuvor der „strahlend schöne Leib von armseligen, verschmutzten Kleidern verdeckt, deren Risse und Löcher ihre weiße Haut hier und dort durchschimmern“ ließen und den Erzähler in Anspielung auf Maria von der Lilie sprechen ließ, die unter schwarzen Dornen steht. Nun aber werden zwar die Farben der descriptio der Armen Herberge erneut aufgegriffen (weißes Hemd, grünes Kleid), doch wird „die zweite Schönheitsbeschreibung als überbietendes Gegenstück zur ersten [gestaltet] und [...] dieses Verhältnis durch eine allegorische Anspielung [markiert]: Frau Armut muß schamvoll weichen, Frau Reichtum nimmt ihren Platz ein (v. 1579–1585)“. Wird Enite in der Armen Herberge mit Maria assoziiert, so erscheint sie im Festsaal der Artusgemeinschaft nun als ein engel (v. 1843).

Die Beschreibung der Kleidung

Enites Kleiderbeschreibung bezieht sich dabei intertextuell nachweislich auf die Jagdkleidung Didos. So folgen die Beschreibungsgegenstände in der gleichen Reihenfolge wie bei Heinrich von Veldeke: „Hemd (1541–43), Rock (1544–55), Gürtel (1556–59), Mantel (1566–72) und Kopfschmuck (1573–77)“. Beiden Beschreibungen ist auch ein deutliches Hervortreten der Erzählerstimme eigen, das sich jedoch in der jeweiligen spezifischen Ausgestaltung durchaus unterscheidet. An die ausführliche Darstellung von Enites Einnähen in das Kleid aus dem Arsenal der Königin und der Beschaffenheit des Stoffes (v. 1537–1584) schließt folgende Erzählerrede an:

Rîcheit sich in ir gesæze zôch.
alsô schoene schein diu maget
in swachen kleidern, sô man saget,
daz si in sô rîcher wât
nû vil wol ze lobe stât.
vil gerne ich si wolde
loben als ich solde:
nû enbin ich niht sô wîser man,
mirn gebreste dar an.
selh sin ist mir unkunt.
ouch hât sich sô manec wîser munt
in wîbes lobe gevlizzen,
daz ich niht möhte wizzen
selhen lop ich ir vunde,
ezn sî vor dirre stunde
baz gesprochen wîben.
si muoz von mir belîben
ungelobet nâch ir rehte,
wan daz gebrist mir tumben knehte.
doch bescheide ichz sô ich beste kan
und als ichz vernomen han,
sô was ûzer strîte:
ez was vrouwe Ênîte
diu aller schoeniste maget
diu ie, sô man saget,
in des küneges hof kam.
(v. 1585–1610)

Der Erzähler

Anders als bei Veldeke erscheint der Erzähler in dieser Akkumulationspassage ausschließlich in der 1. Person Singular. […] Dies ist gegenüber seinem Vorgänger bereits bemerkenswert und verweist auf die Übernahme von Chrétiens personalisiertem Erzähler. Aufschlussreich ist es zudem, welche Erzählerfunktionen Verwendung finden: Es ist hier für sämtliche Momente der durch ein Personalpronomen markierten Erzählerrede möglich, von einer metanarrativen Erzählerfunktion auszugehen. Dabei wird das Lob in Vers 1606f., dass Enite das schönste Mädchen gewesen sei, das je an den Artushof gekommen wäre, durch die variationenreiche Verweigerung des Erzählers, einen Schönheitspreis zu erzählen, perpetuiert und zugleich pointiert vorbereitet: Zunächst gibt er an, nicht das erzählerische Vermögen zu besitzen, die Schönheit adäquat wiedergeben zu können – ein Spiel mit der in den Rhetoriken verfügbaren Bedeutung der descriptio – bevor er auf die „klugen Münder“ verweist, die sich auf das Schönheitslob wohl verstünden, bevor schließlich nochmals auf die Unfähigkeit des eigenen Erzählens abgehoben wird. Die variantenreiche Weigerung selbst ist jedoch eine geschickte rhetorische Trickserei. [...]

Vergleich zu Chrétien de Troyes

Die Verbindung zur Beschreibung von Didos Jagdkleidung ist hier alles andere als kontingent. Auffallend ist bei Hartmann, dass er im Vergleich mit Chrétien die Beschreibung des Kleides ändert. Jener lenkt die Aufmerksamkeit v. a. auf den Steinbesatz des Kleides, die Verarbeitung wertvoller Tierfelle und die Einarbeitung von Gold. Auch Hartmann nennt Zobel und Hermelin, auch er erwähnt die Edelsteine und die Goldfäden – aber er weiß auch den Stoff zu benennen: der was ein grüener samît (v. 1549). Von grünem samît berichtet auch Veldeke – aus ihm ist Didos Kopfschmuck anläßlich des Jagdausritts. Ein weiteres Detail, das belegen kann, dass das „Vorbild für die Darstellung der Kleidung […] Didos Jagdgewand“ ist. Und ausgerechnet an dieser Stelle begegnete auch erstmals eine Erzählerrede mit kommunikativer und testimonialer Erzählerfunktion, mit einem narrativen Mehrwert, der auf die Artifizialität der Narration verwies. Mit Sicherheit ist es Heinrich von Veldeke, der zu denjenigen gerechnet werden muss, deren wîser munt (v. 1595) das Lob der Frauen verkündete – zumindest, wenn man es auf die descriptio beziehen möchte. Die Erwähnung von grünem samît und das Hervortreten der Erzählerstimme bilden auf diese Weise einen Anschluss an das Erzählprinzip Veldekes. Anders als die verhältnismäßig dezente Verwendung der Erzählerstimme und des narrativen Mehrwerts beim Dichter des ‚Eneasromans‘, baut Hartmann die Erzählerrede weit aus.

Stimme und Ort

Autor: Dr. Markus Greulich

Höfische Erzählliteratur um 1200 entwickelt sich in einem Spannungsfeld unterschiedlicher sozialer, literarischer und medialer Faktoren. Diese Studie widmet sich sieben zentralen Texten aus der Zeit zwischen 1170 und 1210: sämtlichen epischen Werken Heinrichs von Veldeke und Hartmanns von Aue sowie Wolframs von Eschenbach ‚Titurel‘.

Sie erläutert in exemplarischen Analysen den Einsatz der Erzählerstimme(n) und inter- und architextueller Referenzen. Dabei zeigt sich, dass beide narrativen Mittel in den höfisch-weltlichen Texten in spezifischer Weise Verwendung finden und sich damit eine interdiskursive Fläche eröffnet, in der Wahrheitsindifferenz und medialer Status der noch neuen Erzählliteratur zugleich verhandelt werden. 

Programmbereich: Germanistik und Komparatistik