
„Mein ganzes Haus riecht schon nach braunen Kuchen“
Antwortbrief auf Nr. 62
Es wird Weihnachten! Mein ganzes Haus riecht schon nach braunen Kuchen – versteht sich nach Mutters Recept! – und ich sitze, so zu sagen, schon seit einer halben Woche im Schein des Tannebaums. Ja, wie ich den Nagel meines Daumen besehe, so ist auch der schon halbwege vergoldet; denn ich arbeite Abends jetzt nur in Schaumgold, Knittergold und bunten Bonbonpapieren, und während ich Netze schneide und Tannen- und Fichtenäpfel vergolde, und die Frauen d. h. meine Frau und Röschen Klein-Lisbeths Puppe ausputzen, liest Onkel Otto uns die „Klausenburg“ von Tiek vor, oder giebt hie und da eine Probe aus den Bilderbüchern, die Hans und Ernst auf den Teller gelegt werden sollen.
Gestern Abend habe ich sogar den Frauen Mandeln und Citronat für die Weihnachtskuchen schneiden helfen; auch Kardemum dazu gestoßen und Hirschhornsalz, mit welchem Letzteren man sich in einem messingenen Mörser sehr in Acht nehmen muß. Den Vormittag war ich stundenlang auf den Bergen in den Wäldern herumgekrochen, um die Tannäpfel zu suchen; ja Ihr hättet mich sogar in meinem dicken Winter-Sürtout hoch oben in einer Tannen sitzen sehen können. Freilich hatte ich mich vorher gehörig umgesehen; denn der Herr Kreisrichter durfte sich doch nicht auf ganz offenbarem Waldfrevel ertappen lassen.
Jeden Morgen, die letzten Tage, kommt der Postbote und bringt ein Päckchen oder einen Brief; aus der Heimath oder aus der Fremde, von Freunden oder Verwandten. Die Weihnachtzeit ist doch noch grade so schön, wie sie in meinen Kinderjahren war. – Wenn nur noch der Schnee kommen wollte; wir wohnen hier so schön einsam zwischen den Bergen, da müßte der Weihnachtbaum, wenn er erst brennt, prächtig in die Winterlandschaft hinausleuchten!
Ein schönes Autoren-Exemplar vom illustrirten Immensee in gepreßtem Kalbsleder lege ich auf den Weihnachtstisch mit der Zuschrift: „Meiner kleinen Lisbeth in Hoffnung künftiger Stunden“ und darunter, was freilich mehr nur von den Zeichnungen, als von den theilweise ganz verunglückten Holzschnitten gilt:
Aus diesen Bildern steigt der Duft des Veilchens,
Das dort zu Haus auf unsern Haiden stand;
Jahr aus Jahr ein, von welchem Niemand wußte
Und das ich später nirgends wiederfand.
Dieses Veilchen ist keine poetische Fiktion; ich habe es auf der Haide des Schobüller Bergs gefunden; es ist unscheinbarer in der Farbe als das Gartenveilchen und hat ganz den aromatischen Duft der Haidekräuter. Wann es aber blüht, weiß ich nicht. Ich glaube die Pflanze (sie blühte aber nicht) auch diesen Sommer bei den Freischütten herum gefunden zu haben, und habe damals Krebs gebeten einige davon in den Garten zu nehmen.
24 December Vormittag.
Gestern Morgen, als ich eben zu meinem Actuar in den Wagen steigen wollte um auf einem 1 ½ Ml entlegnen Dorfe einen kranken Müller als Zeugen zu vernehmen brachte mir der Postbote 1) einen Brief von Bertha u Lucie aus Potsdam 2. den Frachtbrief über die Ränzel für die Jungens, die ich aus Göttingen verschrieben 3. Den Weihnachts Schreibe- und Frachtbrief für Rosa 4. Eure Briefe mit der Einlage von Dir an Const.
Die letztern nahm ich mit in den Wagen und las sie unterwegs; – liebe Mutter Du weißt ich habe schwache Nerven, und kann so viel Freundlichkeit und Liebe – wenigstens körperlich – nicht immer gut vertragen; ich weiß nicht, was mein alter Actuarius gedacht hat, daß ich den ganzen Weg so stumm neben ihm saß; ich sehe die Geschichte mit der grünen Einlage und Vaters zarte Betheiligung dabei so deutlich als wäre ich dabei gewesen.
Es war ein äußerst heiterer Wintertag, und als wir nachher vom Dorfe durch die sonnige Schneelandschaft nach der kleinen Wassermühle gingen, die allein in dem reizendsten Thale liegt, da war mein Herz voll reinster Weihnachtsheiterkeit. – Nachher zu Hause habe ich den Brief in ein goldnes Couvert geschlagen, der kommt denn auch auf Constanzens Weinachtsteller. Für die Knaben sind zwei Bilderbücher von Corrodi gekauft; auf dem ersten weißen Blatt steht: „Von Großmama Storm“. Von mir erhalten die Jungens eine Vogelstange; darauf sitzt ein prächtiger hölzerner schwarzer Adler mit goldner Krone Scepter und Reichsapfel, darunter eine Scheibe; eine Armbrust hängt dabei<.>
Was ich für Constanze erwartete – den Jahrgang von der neuen Argo (mein Autoren-Exemplar) und ein wollenes Halstuch, das ich aus Berlin verschrieben, wird leider – da der Postbote noch nicht da ist – beides nicht mehr zu heut Abend anlangen.
Nachmittag Den Weihnachtsbaum, der auf der Diele steht, und genau bis an die Decke reicht, hab ich bis aufs letzte Fädchen ganz allein herstellig gemacht außerdem eine schöne Tannenverzierung über dem Sopha, vor welchem nach alter Weise der Theetisch mit den braunen Kuchen steht; ungefähr so:
Die Zeichnung ist nicht ganz geglückt die beiden Bogen erheben sich viel freier und höher, überdieß sind sie mit Äpfeln, Kringeln, Knittergold und
vergoldeten Fichtenzäpfchen behangen, so daß das Ganze einen sehr heimlichen und weihnachtlichen Eindruck macht. Daneben steht die Vogelstange, wie sie hier in treuer Abbildung zu sehen ist; ferner ein Tisch<ch>en mit dem noch nicht ausgepackten Weihnachtskorb für Röschen
und den illustrirten Immensee für sie, natürlich Alles mit Knittergold und Tannenreis bekränzt, dann der Tisch für die Jungens, dazwischen Losches
kleiner Tisch etc etc. Die Frauen, da sie nichts dabei gethan, haben mir in die Herrlichkeit gar nicht hinein dürfen; die Teller mit Aepfeln, Nüssen, Kuchen und (sehr leckern) selbstfabrizirten Marzipan, die sie für jeden, auch für sich und mich aufgebaut haben, sind ihnen von mir vor der Thüre abgenommen. Constanze ist so vergnügt, wie ich sie am Weihnachtsabend fast noch nicht gesehen, wenigstens in den letzten Jahren nicht. Und auch mir ist recht friedlich und still zu Muthe. Draußen – wir haben auch Ottos Stube aufgeputzt – liegt eine wunderschöne Schneelandschaft; es ist äußerst anmuthig hier auf dem stillen Weihnachtskämmerchen. Eben kommt Schlüter noch um sich die Herrlichkeit anzusehen, er hat zu Hause leider keine Kinder und nur eine kranke Frau. Ich verkehre gerne und oft mit ihm, ich glaube wohl, daß sich ein recht intimes Verhältniß zwischen uns begründen wird.
Und jetzt liebe Mutter wünsche ich Euch herzlich vergnügtes Neujahr, und gebe die Feder in Constanzens Hand.
Ps Einen Deiner braunen Kuchen erbitte ich mir durch Otto.
Theodor.
28 December 1856
In diesem Sinne wünsche wir allen ein schönes Weihnachtsfest!
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Theodor Storm und seine Eltern Herausgegeben von Regina Fasold Die erstmals vollständig vorgelegten Briefe, die Theodor Storm zwischen 1852/53 und 1864 aus dem Exil in Preußen, aus Potsdam und Heiligenstadt, an die in Husum im Familienhaus zurückgebliebenen Eltern richtete, gehören zu den erzählerisch schönsten, die wir von dem Dichter kennen. Zusammen mit den noch nie veröffentlichten Briefen von Constanze Storm, die den Schreiben ihres Mannes oft beilagen, und den gleichfalls noch unbekannten Gegenbriefen von Lucie Storm – die Briefe von Johann Casimir Storm sind bis auf wenige leider nicht erhalten –, gewähren sie einen tiefen Einblick in ein wichtiges Lebensjahrzehnt des Dichters. In diesen Jahren, in denen er im preußischen Justizdienst die beruflich schwierigste und körperlich aufreibendste Zeit durchlitt, gelang ihm gleichwohl der literarische Durchbruch und der Aufstieg zu einem überregional anerkannten Autor. |
Programmbereich: Germanistik und Komparatistik