OLG Hamm: Bedingungen in Testamenten können unzumutbaren Druck auf die Erben erzeugen (Foto: Jeanette Dietl / stock.adobe.com)
Erbrecht – Bedingungen im Testament
OLG Hamm zu testamentarischem Hausverbot für Lebensgefährten der Erbin
ESV-Redaktion Recht
21.07.2023
Kann eine Erbin an eine testamentarische Bedingung gebunden sein, nach der ihr Lebensgefährte das ererbte Grundstück nicht mehr betreten darf? Hierüber hat das OLG Hamm kürzlich entschieden.
In dem Streitfall erbte die Klägerin zu 1) von ihrer Mutter als Miterbin ein Hausgrundstück mit einem frei stehenden Einfamilienhaus in Bochum. In der einen Wohnung des Hauses lebte die Erblasserin bis zu ihrem Tode. In der anderen Wohnung lebte die Klägerin zusammen mit ihrer Tochter – der Klägerin zu 2) und weiteren Miterbin, die 2016 auszog. Das Haus befand sich schon seit Jahrzehnten im Eigentum der Familie.
In der Nachbarschaft wohnte der langjährige Lebensgefährte der Klägerin zu 1) in seiner eigenen Wohnung. Als Ziehvater der Enkelin der Erblasserin ging er in dem Haus ein und aus und nahm auch Reparaturen an dem ererbten Haus vor. Die Beteiligten lebten wie eine Familie zusammen und es gab unstreitig zu keiner Zeit Streit oder Zerwürfnisse.
Das notarielle Testament enthielt jedoch zwei Bedingungen: Einerseits durften die Erbinnen das Grundstück nicht an den Lebensgefährten der Tochter übertragen. Andererseits sollten die Erbinnen dem Lebensgefährten der Klägerin zu 1) dauerhaft untersagen, das Grundstück zu betreten. Zur Überwachung dieser Bedingung setzte die Erblasserin den Beklagten als Testamentsvollstrecker ein. Bei einem Verstoß sollte dieser die Immobilie veräußern und den Erlös zu je einem zu ¼ unter der Tochter und der Enkelin aufteilen. Der Rest sollte gemeinnützigen Zwecken zukommen.
Klägerinnen: Testamentarische Bedingung des Hausverbots für Lebensgefährten sittenwidrig
Vor dem LG Bochum beantragten die Erbinnen mit Erfolg die Feststellung, dass die testamentarische Bedingung des Betretungsverbots für den Lebensgefährten der Klägerin zu 1) nichtig ist – mit der Begründung, dass diese Bedingung sittenwidrig wäre. Gegen die stattgebende Entscheidung der Ausgangsinstanz zog der beklagte Testamentsvollstrecker dann mit einer Berufung vor das OLG Hamm.
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OLG Hamm: Bedingung schafft unzumutbaren Druck auf Erben
In der mündlichen Verhandlung kam auch der 10. Zivilsenat des OLG Hamm zu dem Ergebnis, dass die streitgegenständliche Bedingung sittenwidrig ist und daher entfällt. Der Senat erteilte den Parteien im Rahmen der mündlichen Erörterung hierzu folgende Hinweise:
- Grundsätzlich weitreichender Gestaltungsspielraum des Erblassers: Zwar ist bei der Bewertung, ob eine testamentarische Bedingung sittenwidrig ist, ist zu beachten, dass der Erblasser aufgrund der grundgesetzlich geschützten Testierfreiheit einen sehr großen Gestaltungsspielraum hat. Dies gilt auch für Bedingungen.
- Ausnahmen möglich: Eine Ausnahme kann dann aber dann vorliegen, wenn die Bedingung in höchstpersönliche Freiheitsrechte des betroffenen Erben eingreift.
- Abwägung im Einzelfall: In diesen Fällen sind die Testierfreiheit des Erblassers und die Freiheitsrechte des Erben anhand des Einzelfalls gegeneinander abzuwägen.
- Unzumutbarer Druck auf Erben: Zwar liegt in der angefochtenen Bedingung ein Bezug zur Nutzung des vererbten Hausgrundstücks vor. Im Streitfall steht aber im Vordergrund, dass dem langjährigen Lebensgefährten der Tochter, der als Ziehvater der Enkelin vor dem Erbfall in der Wohnung ein und ausging, plötzlich der Zugang zum streitgegenständlichen Haus verwehrt sein soll. Darüber hinaus nahm dieser auch Reparaturen an dem Haus vor. Somit kann das bis zum Erbfall unstreitig praktizierte familiäre Zusammenleben ohne erkennbaren Grund nicht mehr wie bisher weitergeführt werden. Die nur bedingte Zuwendung schafft daher einen unzumutbaren Druck auf die Bedachten, sich in ihrem höchstpersönlichen Bereich auf eine bestimmte Art und Weise zu verhalten. Dies führt zur Sittenwidrigkeit und Nichtigkeit der Bedingung.
Der Beklagte nahm aufgrund dieser Hinweise seine Berufung zurück, sodass das Urteil des LG Bochum rechtskräftig wurde.
Quelle: PM des OLG Hamm vom 19.07.2023 zum Urteil vom selben Tag – 10 U 58/21 vom 19.07.2023
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