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Gesundheit und Produktivität gehören zusammen (Foto: Marco2811 - Fotolia)
Betriebliche Organisation

Präsentismus - ein versteckter Trend der modernen Arbeitswelt?

Patricia Pela
11.12.2015
„Bin im Stress, keine Zeit!“ – Gestresst sein gehört heutzutage zum Alltag unserer hochdynamischen Gesellschaft und wirkt dazu noch schick, weil Stress mit hoher Leistungsbereitschaft und Motivation assoziiert wird. Stress kann sich jedoch negativ auf die Mitarbeiter auswirken, wenn er regelmäßig und ohne ausreichende Erholungsphasen auftaucht.
Zwar ist die tarifliche Wochenarbeitszeit auch 2014 mit 37,7 Stunden in Deutschland unverändert niedrig, allerdings hat das zusätzliche Freizeitangebot kaum einen Einfluss auf mehr innere Ausgeglichenheit und ein höheres Maß an Selbstbestimmung in der Bevölkerung der Bundesrepublik Deutschland.

Eine neue Studie des Projekts Gesundheitsmonitor der Bertelsmann Stiftung kommt  sogar zu dem Ergebnis, dass die wachsenden Zielvorgaben und der erhöhte Erwartungsdruck an die Mitarbeiter und Manager in Deutschland sowohl das persönliche Wohlbefinden deutlich beeinträchtigen als auch zu selbstgefährdendem Verhalten führen. Selbstgefährdendes Verhalten äußert sich nicht nur in dem bewussten Verzicht auf Erholung, sondern auch in einem übermäßigen Konsum von Nikotin und Medikamenten oder durch die Missachtung von Arbeitssicherheitsmaßnahmen und Qualitätsstandards. Ca. ein Viertel der 1.000 Befragten gaben an, dass sie zurzeit ein Tempo vorlegen, welches sie langfristig nicht durchzuhalten glauben. 18 Prozent der Erwerbstätigen arbeiten regelmäßig bis zu ihrem Leitungslimit und 23 Prozent verzichten regelmäßig auf Arbeitspausen. Jeder Achte erscheint krank im Unternehmen. Dieses Phänomen ist auch unter dem Begriff Präsentismus bekannt. Aber was bedeutet es eigentlich, wenn Mitarbeiter trotz gesundheitlicher Beschwerden ihren Arbeitsplatz aufsuchen?

Präsentismus: Ein vielfältiges Konzept

Präsentismus lehnt sich an den gängigen Begriff  Absentismus an. Mit Absentismus sind allgemein die Fehlzeiten von Mitarbeitern gemeint, die auf Probleme im privaten Umfeld oder motivationale Gründe, aber nicht auf krankheitsbedingte Ursachen zurückzuführen sind. Präsentismus hingegen bezeichnet das Verhalten von Erwerbstätigen, die trotz gesundheitlicher Beschwerden krank zur Arbeit erscheinen. Jedoch gibt es bis heute weder ein allgemeingütiges Konzept von Präsentismus noch eine eindeutige Definition. Im deutschsprachigen und europäischen Raum versteht man unter Präsentismus das Verhalten von Mitarbeiten trotz Krankheit am Arbeitsplatz zu erscheinen, obwohl ein Fehlen durch die gesundheitliche Einschränkung, die bspw. durch eine ärztliche Krankschreibung belegt ist, begründet wäre. In den USA gibt es bereits seit dem Ende der 1990er mehrere Studien, die sich besonders mit der Frage beschäftigen, wie sich die eingeschränkte Leistungsfähigkeit anwesender kranker Erwerbstätiger kostentechnisch auf das Unternehmen auswirkt. Hierbei zeigt sich, dass in den USA Präsentismus vor allem im Zusammenhang mit den betriebswirtschaftlichen Einbußen der Arbeitsproduktivität betrachtet wird, weshalb vor allem chronische Erkrankungen wie Diabetes, Depression, Rückenbeschwerden und deren Auswirkungen auf die Leistungsfähigkeit im Fokus stehen. In Deutschland und Europa stehen hingegen die Ursachen von Präsentismus und die daraus resultierenden gesundheitlichen Folgen im Blickfeld. Beide Ansätze zeigen, wie bedeutend und interdisziplinär das Thema Präsentismus ist und dass sich die Forschung bisher noch in ihrer Anfangsphase befindet.

Die Forscher sind sich dennoch bisher einig, dass bis auf wenige Ausnahmen Erwerbstätige, die krank zur Arbeit gehen und sich dabei bewusst gegen den ausdrücklichen ärztlichen Rat, einer Gefahr für sich selbst (akute Gesundheitsgefährdung, Chronifizierung, höheres Unfallrisiko) und andere (Ansteckungsgefahr, Unfallgefahr, Mehrarbeit) aussetzen. Diese Gefahrenquellen müssen vor allem aus Sicht der Arbeitssicherheit berücksichtigt werden. Ein grundlegendes Problem dabei ist, dass bei der Entscheidung krankheitsbedingt Zuhause zu bleiben nicht nur medizinisch diagnostizierbare Gesichtspunkte eine Rolle spielen, sondern auch die subjektive Einschätzung des eigenen Wohlbefindens, der Arbeits und Umweltanforderungen sowie der Frage, ob ein Fehlen auch gerechtfertigt werden kann. Die meisten Erwerbstätigen entscheiden sich dann aufgrund von beruflichen Verpflichtungen wie etwa dem Einhalten von wichtigen Deadlines, Geschäftsterminen oder Projekten, die zeitnah fertiggestellt werden müssen, trotz Krankheit am Arbeitsplatz zu erscheinen. Berücksichtigt man dazu noch die Prävalenz von chronischen Krankheiten wie Diabetes, HerzKreislauf-Störungen oder Rückenschmerzen, so erscheint das Phänomen vieler Beschäftigter trotz gesundheitlicher Beeinträchtigungen zur Arbeit zu erscheinen mehr die Regel als die Ausnahme zu sein. Zudem darf man nicht vergessen, dass Gesundheit keine dichotome Ausprägung „gesund“ oder „nicht gesund“ hat, sondern vielmehr „ein Kontinuum gradueller Beeinträchtigungen darstellt, das zwischen den Polen „völlig gesund“ und „schwer krank“ verläuft“. Es entspricht daher der heutigen Lebenswirklichkeit mit gesundheitlichen Beschwerden zu leben bzw. arbeiten zu gehen. Doch ab wann wird ein Mitarbeiter, der krank zur Arbeit geht, zu einem potenziellen Risiko?

Präsentismus als Risikofaktor: Warum gehen Mitarbeiter überhaupt krank zur Arbeit?

Eine der Hauptursachen, warum Präsentismus ein immer wichtigeres Thema im Bereich der Arbeitsforschung ist, ist die Tatsache, dass sich unsere Hochleistungsgesellschaft durch permanent wachsende Anforderungen auszeichnet, die bei Erwerbstätigen zunehmend ihren Tribut fordern. In der Studie Gesundheitsmonitor der Bertelsmann Stiftung gaben 42 Prozent der Befragten an, dass ihr Arbeitsumfeld durch steigende Leistungs  und Ertragsziele geprägt ist. Jeder Dritte weiß nicht mehr, wie er mit den wachsenden Ansprüchen im Unternehmen umgehen soll. Dadurch fühlen sich die Mitarbeiter auch schnell überfordert und frustriert am Arbeitsplatz. Schaffen sie dennoch ihre Vorgaben, so wird schnell eine erhöhte Messlatte als neuer Standard eingeführt, um die Unternehmensleistung noch weiter zu steigern. Nur jeder zweite Arbeitnehmer glaubt dabei dieser endlos erscheinenden Spirale noch entfliehen zu können. 51 Prozent der Befragen sagten zudem aus, dass sie keinen oder nur geringen Einfluss auf ihr Arbeitsvolumen haben und über 40 Prozent gaben dasselbe bzgl. ihrer Entscheidungsbefugnis über ihre Arbeitsziele an. Insgesamt zeigt diese Studie, dass sich die Situation der Erwerbstätigen aktuell vor allem durch hohe Leistungsbereitschaft, geringe Selbststeuerung und Stress auszeichnet, wodurch sich eine veränderte Belastungssituation der Arbeitnehmer und der Manager ergibt. Gleichzeitig haben die meisten Erwerbstätigen im Gegensatz zu früheren Zeiten körperlich weniger belastende Tätigkeiten zu bewältigen, weshalb eine Anwesenheit am Arbeitsplatz trotz erheblicher gesundheitlicher Beeinträchtigungen möglich erscheint. Diese Faktoren sind nur einige der Ursachen, die zu Präsentismus als Verhaltensform führen. Auch spielt der demografische Wandel mit der damit eingehenden Verlängerung der Arbeitszeit, die zunehmende Flexibilisierung der Arbeit sowie die Veränderung der gesellschaftlichen Struktur zu einer Wissensgesellschaft eine Rolle. Aber bedeutet das, dass jeder Arbeitnehmer potenziell zu einem Risikokandidat für Präsentismus werden kann?

Eine Vielzahl von Studien konnte bisher belegen, dass es bestimmte Einflussfaktoren gibt, die das Verhalten krank zur Arbeit zu erscheinen, bestimmen. Dazu gehören beispielweise Alter, Geschlecht, Beziehungsstatus, Gesundheitszustand, Loyalität, Einkommen, Beruf, Unternehmensgröße, Arbeitsplatzunsicherheit, Restrukturierungen, Arbeitsorganisation sowie Organisationskultur und Führung.

Die Tabelle 1 (s. PDF) zeigt, wie sich Präsentismus auf die Faktoren Geschlecht, Alter, Unternehmensgröße und Beruf auswirkt.

Beruf:
Präsentismus ist vergleichsweise stark verbreitet im Bereich der personenbezogenen Dienstleistungen, wie bspw. in pädagogischen Berufen wie Lehrer und Sozialarbeiter oder bei Beschäftigten im Gesundheitswesen. Nur 10 Prozent der befragten Erwerbstätigen im Gesundheitswesen und 13 Prozent der Lehrer und Sozialarbeiter waren letzte Woche krankheitsbedingt zuhause geblieben, während in der Fertigungsbranche (20 Prozent) und in den technischen Berufen (24 Prozent) deutlich häufiger Beschäftigte aufgrund gesundheitlicher Beschwerden ihrem Arbeitsplatz fern geblieben sind. 65 Prozent der befragten Lehrer und Sozialarbeiter bestätigen dagegen, dass sie letzte Woche krank zur Arbeit erschienen sind. Zu ähnlichen Ergebnissen kamen bereits auch andere Studien. In der Studie von Rosvold & Bjertness gaben 80,1% der dort befragten norwegischen Ärzte an, dass sie einmal im vergangen Jahr trotz Krankheit zur Arbeit gegangen sind. Davon gaben 48,2% des Weiteren an, dass sie sogar zweimal  oder öfter bei der Arbeit erschienen sind. Und 66,3 Prozent der Befragten arbeiteten, obwohl sie an einer infektiösen Krankheit litten. Begründen lässt sich der erhöhte Präsentismus mit der beruflichen Identität, welche die Erwerbstätigen besonders im Gesundheitssektor und im erzieherischen Bereich haben. Sie sehen ihren Beruf als Berufung mit hohem Anspruch an sich selbst, weshalb sie ihre eigene Gesundheit zurückstellen, um für das Wohlbefinden und die Gesundheit ihrer Patienten bzw. ihrer anvertrauten Personengruppe da zu sein. Daher besteht ein erhöhtes Präsentismusrisiko vor allem im Bildungs und Gesundheitssystem bzw. bei personenbezogenen Dienstleistungsberufen, was auch der DGB-Index Gute Arbeit 2012 bestätigt. Die höchsten Anteile Beschäftigter, die mindestens zweimal krank zur Arbeit gehen, gibt es mit 56 Prozent im Gesundheits- und Sozialwesen und mit 55 Prozent im Bereich Erziehung und Unterricht. Zudem kam der DGB-Index bei der Auswertung nach Beschäftigungsgruppen zu dem Ergebnis, dass 58 Prozent der Beschäftigten, deren reale Arbeitszeit 45und mehr Stunden pro Woche ausmacht, 55 Prozent der Vollzeit beschäftigen Frauen sowie 54 Prozent der Vorgesetzten wiederholt krank zur Arbeit gehen.

Alter:
Präsentismus ist bei den Erwerbstätigen in allen Altersklassen zu finden. In Tabelle 1(s. PDF) zeigt sich, dass die unter 30Jährigen mit 11 Prozent vergleichsweise selten angeben, wegen Krankheit gefehlt zu haben (30 bis 39Jährige: 9 Prozent, 40 bis 49Jährige: 13 %, 50 bis 59Jährige: 18%, 60 bis 65 Jährige: 36 %). Jedoch zeigt sich in der Altersgruppe, dass sich die Beschäftigten mit 74 Prozent wiederum krankheitsbedingt in ihrer Produktivität eingeschränkt gefühlt haben (30 bis 39Jährige: 56%, 40 bis 49 Jährige: 53%, 50 bis 59Jährige: 61%, 60 bis 65Jährige: 50%).

Es zeigt sich demnach ein Trend auf, dass jüngere Arbeitnehmer eher zu Präsentismus neigen als Ältere. Eine Erklärung dafür könnte sein, dass sich jüngere Beschäftigte mögliche Karrierechancen nicht aufgrund von Fehlzeiten verbauen wollen oder dass sie aufgrund eines befristeten Vertrages ihre Möglichkeiten weiterhin beschäftigt zu bleiben nicht aufs Spiel setzen wollen. Diese Erkenntnis wird auch von einer Studie von Schnee & Vogt (2012) bestätigt, die sich mit dem Zusammenhang von Präsentismus, Burnoutgefährdung und Mobbingerfahrungen beschäftigt haben. Während es keinen signifikanten Zusammenhang zwischen Präsentismus und den Merkmalen Geschlecht, Gesundheitszustand und soziale Schicht gab, zeigt sich jedoch ein signifikanter Zusammenhang zwischen der Altersgruppe und Präsentismus (siehe Tabelle 2, S. PDF). Die Autoren nennen Präsentismus daher auch ein Phänomen der jüngeren Erwerbstätigengruppe.

Hektik und Stress:
Ein weiterer Risikofaktor für Präsentismus ist die Belastungssituation von Beschäftigten. Auffällig ist, dass besonders Erwerbstätige, die gehetzt, entgrenzt und/oder mit wachsender Intensität arbeiten, oftmals diejenigen sind, die im Krankheitsfall nicht die verordnete ärztliche Schonung in Anspruch nehmen, sondern am Arbeitsplatz erscheinen. Der DGB-Index kam zu dem Ergebnis, dass je größer die Arbeitshetze ist, dem die Beschäftigten ausgesetzt sind, desto höher ist der Anteil derjenigen, die wiederholt krank zur Arbeit gegangen sind.

Schaut man sich den Zusammenhang zwischen Arbeitshetze und Präsentismus näher an, dann fällt auf, dass 70 Prozent unter den sehr häufig gehetzten und gestressten Arbeitenden mindestens zweimal im Jahr krank zur Arbeit gehen, während in den anderen Beschäftigtengruppe der Anteil deutlich geringer ist (54 Prozent unter den oft, 40 Prozent unter den selten und 28 Prozent unter den nie Gehetzten).

Ähnliches lässt sich auch feststellen, wenn man den Zusammenhang zwischen Arbeitsintensität und Präsentismus anschaut. Bei den Erwerbstätigen, die „voll und ganz“ den Eindruck haben, immer mehr in der gleichen Zeit leisten zu müssen, gingen 66 Prozent wiederholt krank zur Arbeit, währenddessen der Anteil bei der „eher“ Gruppe lediglich 47 Prozent, bei den „eher nicht“ bei 38 Prozent und bei den „überhaupt nicht“ bei 34 Prozent lag. Damit zeigt sich, dass Stress und eine erhöhte Arbeitsintensität Mitarbeiter eher dazu verführt, krank zur Arbeit zu gehen.

Führung und Organisationskultur:
Nicht nur die Beschäftigten selbst haben einen Einfluss auf die Entscheidung krank zur Arbeit zu erscheinen. Eine wichtige Rolle spielt das Unternehmen selbst. Insbesondere die Organisationskultur und der Führungsstil der Manager können Präsentismus fördern, ohne dass dies den Organisationsmitgliedern bewusst ist. So können beispielweise falsche bzw. falsch verstandene Interventionen wie etwa Anwesenheitsprämien, die eigentlich dazu dienen sollen, die Fehlzeiten im Betrieb zu reduzieren, genau das Gegenteil fördern. Mitarbeiter wie bspw. Alleinerziehende würden trotz Krankheit arbeiten gehen, weil sie ansonsten ihren Anspruch auf die Zusatzzahlung verlieren würden, die sie dringend brauchen. Ein weiteres Problem kann auch die betriebliche Fehlzeitenregelung darstellen. Zwar besteht laut Gesetz die Pflicht eine ärztliche Krankschreibung vorzuweisen erst ab dem vierten Tag der Arbeitsunfähigkeit, allerdings ist der Arbeitgeber berechtigt die Vorlage auch früher zu verlangen, sogar schon am ersten Tag. Um dieser arbeitsrechtlichen Pflicht nachzukommen, wäre der Arbeitnehmer gezwungen einen Arzt aufzusuchen. An dieser Stelle entscheiden sich einige Beschäftigte lieber krank zur Arbeit zu gehen, anstatt zum Arzt zu gehen, weil damit ein zusätzlicher Aufwand verbunden wäre. Neben diesen arbeitsrechtlichen Aspekten spielen auch Normen und Werte eine Rolle, die in dem Unternehmen gelten und das wünschenswerte Verhalten von Mitarbeitern spiegeln. So kann ein von Stress, Hektik und Druck geprägtes Betriebsklima zu einem erhöhten Präsentismus führen. Dies gilt auch für eine etablierte Anwesenheitskultur, in der eine Abwesenheit direkt von den Kollegen registriert wird und dies durch soziale Sanktionen wie bspw. Mobbing geahndet wird.

Ähnliches gilt auch für den Führungsstil der Führungskräfte und ihren Umgang mit dem Personal. Unwürdige Behandlung von Mitarbeitern, mangelnde Integrität der Führungskraft oder ein autoritärer Führungsstil führen dazu, dass Beschäftigte eher krank zur Arbeit erscheinen.

Insgesamt geben die genannten Faktoren einen Hinweis darauf, welche Personengruppen potenziell gefährdet sein könnten. Jedoch ist es wichtig, sich die persönlichen, arbeits und organisationsbedingten Einflussfaktoren sowie strukturelle bzw. Umweltfaktoren immer in Bezug auf die eigene Unternehmenswirklichkeit anzuschauen. Denn Präsentismus ist ein vielschichtiges Phänomen, welches in unterschiedlichen Formen erscheint. Doch wie sollten Unternehmen in Zukunft damit umgehen?

Der Kostenfaktor Präsentismus im Unternehmen

Dass Präsentismus ein zunehmendes Phänomen in deutschen Unternehmen darstellt, wurde bereits zuvor erläutert. Das bedeutet allerdings, dass die bisherige registrierte Anwesenheit der Mitarbeiter keine hinreichende Kennzahl mehr für eine gesunde Belegschaft darstellt. Es ist eine Veränderung betriebspolitischer Prioritäten eingetreten, in der sich Unternehmen zunehmend auch mit den negativen betriebswirtschaftlichen Auswirkungen beschäftigen müssen, die durch Mitarbeiter entstehen, die krank zur Arbeit erscheinen. In einer viel zitierten, unveröffentlichten Studie der amerikanischen Bank One wurden die Produktivitätsverluste durch Präsentismus auf 84% und die Produktivitätsverluste durch Absentismus auf 16% der betrieblichen Krankheitskosten geschätzt.
Auch in einer anderen amerikanischen Studie, an der 12.397 Beschäftigten der Firma Dow Chemical teilnahmen, kam Baase zu dem Schluss, dass durch krankheitsbedingte Beeinträchtigungen jährlich pro Beschäftigtem 661$ durch Fehlzeiten, 2.278$ durch medizinische Behandlungen und 6.771$ durch eingeschränkte Arbeitsfähigkeit an Kosten anfallen.

Die betrieblichen Krankheitskosten beliefen sich damit insgesamt auf 9.710$ pro Mitarbeiter. Diese Ergebnisse lassen sich auch auf deutsche Unternehmen übertragen, so dass sich sagen lässt, dass der klassische Indikator „Fehlzeiten“ im Gesundheitsreporting dringend um Kennzahlen über den Gesundheitszustand der Beschäftigten erweitert werden muss. Zudem müssen Unternehmen auch über ein geeignetes Präsentismus-Management nachdenken, um einerseits die anfallenden Kosten, bedingt durch Präsentismus, zu senken und diese durch Präventionsmaßnahmen zu minimieren. Allerdings darf sich das Präsentismus-Management im Rahmen der betrieblichen Gesundheitspolitik nicht alleine auf die Bekämpfung der Ursachen von Unfällen, Gesundheitsrisiken und Fehlzeiten beschränken. Es müssen effektive Maßnahmen ergriffen werden, die sich positiv auf Wohlbefinden, Kreativität, Unternehmensbindung und Innovationsbereitschaft der Mitarbeiter auswirken. Dazu gehören sowohl Investitionen in das Sozialkapital eines Unternehmens, die Etablierung einer Vertrauens- und Wertschätzungskultur als auch die Kommunikation von Beratungsangeboten, Coachings und Kursen. Doch wie lässt sich Präsentismus im eigenen Betrieb messen?

Betriebliche Messinstrumente
Um Präsentismus im eigenen Unternehmen näher untersuchen zu können, ist es hilfreich das „Präsentismus-Management“ als Teil des betrieblichen Gesundheitsmanagements einzuführen. Es folgt den klassischen fünf Projektschritten: Vorbereitung, betriebliche Situations­analyse, Maßnahmen-Planung, Durchführung und Evaluation (s. Abb. 3 im PDF). Langfristig soll sich dadurch ein routinierter Kreislauf ergeben, um daraus ein lernendes System entstehen zu lassen, welches einen geeigneten Umgang mit Präsentismus gestattet. Hierbei sollte vor allem darauf geachtet werden, die Mitarbeiter kontinuierlich über dieses Projekt und seine Schritte zu informieren, um so möglichen aktiven oder passiven Widerständen vorzubeugen. Denn die Erfassung des Präsentismus erfolgt in erster Linie über Mitarbeiterbefragungen. Sträuben sich die Beschäftigten gegen eine Erhebung, so wird das Ergebnis durch zu niedrige Beteiligungszahlen falsifiziert und für das Unternehmen unbrauchbar. Der Erfolg des Projekts hängt mit der Motivation aller Mitarbeiter zusammen, weshalb es wichtig ist, jeden Beschäftigten auf das Projekt aktiv aufmerksam zu machen.

Für die Erfassung der eingeschränkten Arbeitsproduktivität durch anwesende kranke Mitarbeiter werden meist Selbsteinschätzungen der Beschäftigten im Rahmen von Befragungen eingesetzt. Arbeitnehmer werden hierbei z.B. nach Fehlzeiten und deren Ursachen (Krankheit oder andere) gefragt oder auch danach, wie sehr sich nach eigener Einschätzung die wahrgenommenen Gesundheitsprobleme in den vergangenen sieben Tagen auf die eigene Produktivität während der Arbeit ausgewirkt haben. Insofern basieren die vorliegenden Forschungsergebnisse zum Präsentismus auf subjektiven Einschätzungen der Mitarbeiter, was entsprechend mitzudenken ist.

In einem von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin veröffentlichten Review zum Thema Präsentismus wurden neun Befragungsinstrumente analysiert und auf ihre psychometrischen Eigenschaften Reliabilität, Validität, Sensitivität und Praktikabilität untersucht.

Bei den Instrumenten handelt es sich um die folgenden:

  • Endicott Work Productivity Scale (EWPS)
  • Health and Labour Questionnaire (HLQ)
  • Health and Work Performance Questionnaire (HPQ)
  • Health and Work Questionnaire (HWQ)
  • Stanford Presenteeism Scale (SPS)
  • Work and Health Interview (WHI)
  • Work Limitations Questionnaire (WLQ)
  • Work Productivity and Activity Impairment Questionnaire (WPAI)
  • Work Productivity Short Inventory (WPSI)

Diese Instrumente zeichnen sich laut den Autoren durch eine gute Praxistauglichkeit aus, weil sie sowohl die psychometrischen Eigenschaften erfüllen, als auch die wissenschaftlichen Standards einhalten, wodurch sie belastbare Ergebnis liefern. Unternehmen können daher die große Auswahl an validen und unterschiedlichen Befragungsinstrumenten für ihre interne Umfrage nutzen. Jedoch ist es wichtig, dass Experten neben einer evtl. Übersetzung in die Landessprache, die Fragebögen an die Unternehmensstruktur und -umwelt individuell anpassen. Effektive Interventionsmaßnahmen können erst erarbeitet werden, wenn die spezifische Ursache von Präsentismus im Betrieb geklärt ist. Das Ziel des Präsentismus-Management sollte es immer sein den Praktikern ein Set an nachweislich wirksamen und effizienten Maßnahmen zu geben, die auf ihr Unternehmen angepasst sind.

Fazit

In den letzten Jahren investieren Unternehmen, Verwaltungen und Dienstleistungsorganisationen immer mehr in die Gesundheit ihrer Beschäftigten und versuchen auch eine Kultur der Achtsamkeit für Gesundheit zu entwickeln. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und dem zunehmendem Druck in der Arbeitswelt, sollte es deshalb in ihrem eigenen Interesse stehen auch Präsentismus als ein neues Phänomen in den Blick nehmen. Die Präsentismusforschung zeigt bereits heute, dass es einen engen Zusammenhang zwischen dem Gesundheitszustand der Beschäftigten und ihrer Produktivität gibt und dass eine nachhaltig gesunde und eine nachhaltig produktive Organisation zwei Seiten derselben Medaille sind. Betriebliches Gesundheitsmanagement sollte deshalb nicht nur die Fehlzeiten von Beschäftigten als mögliche Beeinträchtigung des Betriebsergebnis wahrnehmen, sondern auch psychische oder physische Probleme der Mitarbeiter betrachten. Bisherige Untersuchungen belegen, dass die bislang nicht erfassten, beeinträchtigungs-
bzw. krankheitsbedingten Produktivitätseinbußen z.T. deutlich über den Kosten durch Absentismus liegen.

Schlussfolgend lässt sich sagen, dass Unternehmen immer stärker darauf angewiesen sind, ihren erkrankten Mitarbeitern eine hochwertige und zügige Behandlung und Rehabilitation zu ermöglichen, um das Verhalten krank zur Arbeit zu erscheinen einzudämmen. Deshalb sollten Unternehmen verstärkt auf eine präventive Gesundheitspolitik setzen, die ihre Mitarbeiter über die Konsequenzen von Präsentismus informiert und einen Raum dafür schafft, offen über dieses Problem zu sprechen.

Alle Fußnotenbelege, Literaturangaben, Abbildungen und Tabellen sind im PDF enthalten.

Die Autorin

Patricia Pela ist wissenschaftliche Hilfskraft am Lehrstuhl für Bevölkerungsschutz, Katastrophenhilfe und Objektsicherheit an der Bergischen Universität Wuppertal und Studentin im Master "Sozialwissenschaft - Management und Regulierung von Arbeit, Wirtschaft und Organisation" an der Ruhr-Universität Bochum.


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Programmbereich: Arbeitsschutz